Immer wieder sieht man Bilder von misshandelten Streunern in den sozialen Medien Kasachstans. Um die Straßen zu ‚säubern‘, werden die Tiere teils grausam getötet. Dabei gäbe es laut einigen Tierschutzorganisationen bessere Lösungen.

Am Straßenrand steht ein junger Mann und hält einen Hund fest am Nacken. Der Hund wehrt sich, doch drückt der Mann seinen Kopf durch die Metalltür eines liegenden Kühlschranks. Der Mann springt auf die Tür, der Hund beginnt wegen der Schmerzen zu winseln und sich zu winden – doch bleibt der Mann auf der Tür stehen und hört nicht auf, den Hund zu quälen.

Diese Szene spielte sich Ende Mai in der Nähe von Atyrau ab. Videos davon kursierten in sozialen Medien und sorgten für Empörung. Derartige Bilder sind in Kasachstan jedoch leider keine Seltenheit. In den letzten zehn Jahren wurden in Kasachstan über 400 Fälle von Tiermisshandlung registriert, kaum einer kam zur Anzeige. Immer wieder prangern Tierschützer deshalb den grausamen Umgang mit Streunern in Kasachstan an.

„Wie ein Stiefel oder ein Spielzeug“

„Wir haben große Lücken im Gesetz“, erzählt Lillia Sarsenowa, Präsidentin von Inucobo, einem kasachischen Tierschutzverein. Streuner haben die gleichen Rechte „wie ein Stiefel oder ein Spielzeug“, so Sarsenowa. „Wenn Tiere keinen Besitzer haben, werden sie zu einer herrenlosen Sache“. Zusätzlich ermächtigen Gesetze „über das Veterinärwesen“ Veterinärorganisationen, „streunende Hunde und Katzen zu fangen und zu beseitigen“.

„Wir haben regionale Staatsanwälte angeschrieben mit der Bitte, die Vorschriften zum Einfangen der Streuner als ungültig anzuerkennen“, erzählt Lillia Sarsenowa. „Wir erhielten Erklärungen bezüglich des geringen Budgets für Tierheime und der Unmöglichkeit, Streuner zu kastrieren“, so die Tierschützerin weiter. „Manchmal bekamen wir auch widersprüchliche Antworten oder Versprechen, an neuen Vorschriften zu arbeiten“.

Manche Verbesserungen gäbe es bereits, doch seien diese unzureichend. So werden in Nur-Sultan streunende Hunde zwei Monate aufbewahrt und können dann adoptiert werden. In den Tierheimen werden die Tiere jedoch nicht regelmäßig kastriert, erläutert Sarsenowa: „Nur einmal im Jahr wird es bei einigen gemacht, und dadurch vermehren sich die Hunde direkt im Tierheim.“

Am wichtigsten sei es laut den Tierschützern, den rechtlichen Status der Tiere zu ändern. Zusammen mit anderen Organisationen schlug Inucobo der Regierung ein Gesetzesprojekt zur „verantwortungsvollen Haltung von Tieren“ vor.

Am 8. Dezember hatte Lillia Sarsenowa auch die Gelegenheit, Präsident Tokajew bei der Abschlussfeier zum „Freiwilligenjahr“ auf das Thema anzusprechen: „Er stimmte zu, dass die Gesetzgebung entwickelt und verbessert werden muss“, erzählt sie. Das Gesetz „Über den verantwortungsvollen Umgang mit Tieren“ ist im Parlament für Juni 2021 geplant.

Brief an Tokajew

Auch Tierschützer im Ausland sind auf die Lage der Straßenhunde in Kasachstan aufmerksam geworden. Das wohl prominenteste Beispiel ist der offene Brief der französischen Schauspielerin Brigitte Bardot an Präsident Tokajew. Im Dezember vergangenen Jahres verurteilte sie darin die grausame Behandlung von Streunern in Kasachstan. Sie beschrieb „Agenturen“, die gut dafür bezahlt würden, die Straßen „ohne Reue und ohne Mitleid“ von herumstreunenden Tieren zu „säubern“. In manchen Städten, so Bardot, würden lebendige Tiere verbrannt, ohne sie davor zu betäuben. Sie forderte einen humaneren Umgang mit Straßentieren: „Ich bitte Sie, Herr Präsident, auf die Haltung gegenüber heimatlosen Tieren zu achten“.

Im Februar äußerte sich Präsident Tokajew auch öffentlich im Fernsehen zu Bardot’s Brief und befürwortete ihren Einsatz: „Wir müssen uns als barmherzige Nation zeigen und nicht nur auf den Schutz unserer Kinder, sondern auch auf den Schutz unserer Tiere achten“, verkündete Tokajew.„Wir sind froh, dass der Präsident sich sehr positiv geäußert hat“, sagt Brigitte Auloy von der Fondation Brigitte Bardot, einer von Bardot gestifteten Tierschutzorganisation. Brigitte Auloy ist für die Organisation in Kasachstan aktiv und führte mehrere Gespräche mit kasachischen Politikern.

Tötet man Streuner, kommen neue nach

Laut Auloy sei es ein weit verbreiteter Irrglaube, dass das Töten von Streunern der effizienteste Weg wäre, sie loszuwerden. „Töten hilft nicht wirklich, es macht es nur schlimmer“, erklärt sie. Leert man den Platz von Hunden, ist das „Territorium“ frei, und andere Hunde kommen nach: „Wenn es anders wäre, gäbe es keine Hunde mehr auf den Straßen“. Werden die Hunde jedoch sterilisiert und an denselben Platz zurückgegeben, verteidigen sie ihr Territorium. Gleichzeitig sind sie nach der Sterilisation weniger aggressiv und pflanzen sich nicht fort.

Sterilisation sei deshalb der beste Weg, die Population der Straßenhunde langfristig in den Griff zu bekommen, so Brigitte Auloy. „Es muss sehr systematisch gemacht werden“, erzählt sie. „Man braucht Tierärzte, die qualifiziert sind und die Hunde nicht traumatisieren, sowie Chirurgen, damit keine Komplikationen nach der Operation auftreten und die Hunde nicht leiden“.

„Es werden Unmengen von Geld für das Einfangen und Töten der Hunde ausgegeben. Also gibt es ein Budget, um etwas ganz Anderes zu tun“, so Auloy. „Es ist wichtig, umzudenken und sich für eine Regelung zu entscheiden, die tatsächlich funktioniert“.

Man müsse jedoch geduldig sein und die Situation immer wieder neu evaluieren. Damit sich die Maßnahmen auswirken, brauche es Zeit. „Die ersten zwei, drei Jahre sieht man oft keine große Veränderung“, sagt Auloy. „Aber mit der vollbrachten Arbeit pflanzt man Samen, die aufblühen werden“.

Ein menschlicher Umgang mit Tieren

Solche Samen in Kasachstan zu „pflanzen“ versucht auch der Verein Tierschutz/ Entwicklungshilfe in Kasachstan. Schon seit Jahren arbeitet die deutsche Organisation an Kastrationsaktionen, z.B. im russischen Kaliningrad. Ein kleiner Tierschutzverein aus Semei kontaktierte die Tierschutz/Entwicklungshilfe und bat sie um Hilfe, erzählt Wilhelm Funke, Vorstandsmitglied des Vereins. Der Verein entschloss sich, die kasachischen Tierschützer gemeinsam mit der Fondation Brigitte Bardot zu unterstützen.

In Kasachstan trafen sie auf „viele engagierte Menschen“, erzählt Funke. Viele seien auf die negativen Umstände aufmerksam geworden und setzten sich für Veränderungen zum Wohl der Tiere ein. So hätten sich zahlreiche kasachische Veterinäre und Tierschützer bei dem Verein gemeldet, um mitzuhelfen, aber auch, um von seiner Erfahrung zu lernen.

Die Unterstützung durch die kasachische Politik sei eine gute Basis für positive Veränderungen, so Wilhelm Funke: „Das ist ein eindeutiges Zeugnis dafür, dass sich die kasachische Regierung der Problematik nicht verschließt, offen ist und nach Lösungen sucht. Hierbei geht es auch um den Respekt innerhalb der Völkergemeinschaft, um internationales Ansehen.“

Bisher gäbe es noch Probleme in der Gesetzgebung, in der „keine eindeutige oder klare Regelung zum Tierschutz besteht“. Durch klare gesetzliche Bestimmungen zum Umgang mit Tieren sowie eindeutige Strafen „hätten die ‚Täter‘ zumindest eine gewisse Scheu, ihre Straftaten so öffentlich zu begehen“, so Funke.

Den Tierschutzgedanken in der Bevölkerung etablieren

Doch sei eine Gesetzesänderung nicht die einzige Lösung. Für viele sei die Gewalt gegenüber Tieren von Kindheit an normal, beobachtet Wilhelm Funke: „Viele haben von ihren Vätern gelernt, dass man nach einem streunenden Hund mit einem Stein wirft“.
Es sei wichtig, einen „gerechten Umgang mit anderen Lebewesen“ zu lernen, so Wilhelm: „Wenn der vernünftige Umgang mit Tieren nur aus Angst vor gesetzlichen Repressalien geschieht, ist dies ein weitaus schwächeres Fundament, als wenn der Tierschutzgedanke von einem Großteil der Bevölkerung von innen heraus getragen wird“.

Der Verein Tierschutz/Entwicklungshilfe versucht deshalb, Menschen vor Ort über die Umstände und Lösungen wie Kastration aufzuklären. „Vielen werden allein dadurch schon die Augen geöffnet.“, erzählt Funke. Ebenso hätten einige, die an den Aktionen teilgenommen haben, die Tiere dadurch neu kennengelernt: „Für viele ist dadurch der Hund erst wirklich als treuer, empfindsamer Gefährte des Menschen erkannt worden“.

Es sei wichtig, Menschen möglichst schon von Kindheit an Respekt und Achtung vor anderem Leben beizubringen, betont Funke: „Es gilt, Wege zu finden, die die Menschen für die Probleme sensibilisieren und zu einem Umdenken in der Gesellschaft führen“.

Antonio Prokscha

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