Unser Autor isst gern Lagman – eine Nudelspeise aus der Region Xinjiang. Vielen lange Zeit unbekannt, trägt die politische Situation in China dazu bei, dass auch in Deutschland mehr über die Heimat der Uiguren berichtet wird.

Die kasachische Küche ist reich an fleischlastigen Gerichten. Beschbarmak, Kuurdak oder Kasy sind die bekannten Klassiker. Dass in Zentralasien traditionell viel Fleisch auf den Tisch kommt, ist ein Überbleibsel der Nomadenkultur. Die zentralasiatischen Völker reisten seit jeher ihren Herden durch die endlos weiten Steppengebiete und Hochgebirgsebenen Kasachstans, Kirgistans oder der Mongolei hinterher. Riesige, vegetationslose Territorien, die sich aufgrund starker Winde, großer Höhenlagen, extremer Hitze oder auch Kälte denkbar schlecht für Sesshaftigkeit und Landwirtschaft eignen.

Weite Teile der kasachischen Landmasse werden von der sogenannten Hungersteppe bestimmt. Dieser einsame Landstrich trägt seinen Namen nicht zu Unrecht. Die kasachische Hauptstadt Astana liegt in unwesentlich fruchtbarerem Gebiet und duelliert sich mit dem mongolischen Ulan-Bator um den zweifelhaften Titel der kältesten Hauptstadt der Welt. Der sogenannte Pol der Unzulänglichkeit, der Ort auf der Erde, der am weitesten von einem Weltmeer entfernt ist, befindet sich in der Wüste Gurbantünggüt im Gebiet Xinjiang im Nordwesten der Volksrepublik China. Für in solch kargen Landschaften nomadisch lebende, sich selbst versorgende Völker ist fettes Hammelfleisch überlebenswichtig.

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Dieser gottverlassene Ort in der Region Xinjiang liegt rund 280 Kilometer entfernt von Ürümqi, Hauptstadt des Autonomen Gebiets der Uiguren. Dies alles dürfte den wenigsten bekannt sein, die sich auch sonst nicht weiter mit der Region Zentralasien beschäftigten. Allerdings taucht der Name dieser Region inzwischen selbst in dXinjiangen deutschen Medien häufiger auf, nachdem sich die politische Situation in Xinjiang in letzter Zeit deutlich verschärft hat und immer mehr Muslime in Umerziehungslagern verschwinden. Spätestens seit im Frühjahr dieses Jahres ein Asylbewerber rechtswidrig aus München nach China abgeschoben wurde und seither jedes Lebenszeichen des jungen Uiguren fehlt, ist diese abgeschiedene Region in China ein Politikum auch in behäbigen deutschen Amtsstuben.

München ist abseits der weißwurstzuzelnden bayrischen Weißbiergemütlichkeit die Heimat der größten uigurischen Diaspora in Europa. Ganze drei uigurische Restaurants zählt die bayrische Hauptstadt. Das Volk der Uiguren, ein muslimisches Turkvolk, ist jahrtausendealt. Ihr Gebiet im nordwestlichen China grenzt direkt an Kasachstan. Von Almaty nach Ürümqi sind es etwas mehr als 800 Kilometer, Nachtbusse und direkte Personenzüge fahren mehrmals pro Woche zwischen den Städten. Viele Kasachen leben heute in Xinjiang, ebenso haben sich viele Uiguren in ganz Zenzralasien niedergelassen und ihre Kultur und insbesondere ihre Speisen mitgebracht.

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Der Dauerbrenner der uigurischen Küche und praktisch in jeder Kantine, jedem Bistro und jedem Restaurant zu finden, ist Lagman. Dieses Nudelgericht aus Lamm- oder Rindfleisch, angebratenem Gemüse und mit den charakteristischen, unendlich langen Nudeln, existiert in unzähligen Varianten, als Suppe oder gebraten, in großen Stücken angerichtet oder kleingehackt. Der Legende nach verläuft unter den Uiguren die Brautwahl nach einem ganz bestimmten Prinzip: diejenige Dame, die die längste Lagman-Nudel rollt, wird als die zukünftige Angetraute auserwählt.

Meine Ehefrau ist keine Uigurin, insofern speise ich Lagman oft und gerne auswärts. Das beste Lagman wird tatsächlich außerhalb der Innenstadt zubereitet, in billigen Durchgangslokalen rund um den Bahnhof. Oder weit draußen an den Ausfallstraßen, in einfachst ausgestatteten Imbissen, wo offen gekocht wird und Fernfahrer eine kurze Rast einlegen. Wer den Ausflug zum beeindruckenden Charyn-Canyon unweit der chinesischen Grenze bereits schon einmal erleben durfte, wird die kleinen, urigen Dörfer kennen, wo man sich noch einmal stärkt, bevor es in die unsäglich heiße und menschenleere Mondlandschaft des Nationalparks geht. Hier saß ich einmal, auf einem alten, wackeligen Holzschemel an der staubigen Straße. Vor mir stand eine Schale noch warme Stutenmilch und eine Schüssel mit dem wohl besten Lagman, das ich jemals hatte.

Philipp Dippl

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