Ich bin in den letzten Tagen umgezogen, und weil meine Lebensrealität vor allem daraus besteht, Kartons auszupacken, will ich darüber schreiben und ausnahmsweise nicht über Migration und Integration. Und überlege nun, was ich in den vergangenen 48 Stunden getan, gedacht und gesehen habe.
Da ist zum einen mein neues Stadtviertel. Da ich noch keinen Kühlschrank und auch sonst wenig in der Küche habe, muss ich mich außer Haus versorgen. Was hier gar kein Problem ist, da sich Imbissbetriebe und Kioske aneinander reihen. An einem Abend gab es Pizza, am nächsten habe ich mich über türkische Lammkoteletts hergemacht, und morgen teste ich den nepalesischen Grill. Die Läden werden auch von Afrikanern und Polen aufgesucht. Ich bin inmitten eines internationalen Stadtteils gelandet, was sich auch durch eine Betriebsamkeit und Belebtheit in den späten Abendstunden ausdrückt.
Und wo viele Migranten sind, gibt es auch viele Internetcafés. Was mir auch entgegenkommt, da ich zu Hause noch keinen Anschluss habe. Auch spüre ich das multikulturelle Leben in meiner unmittelbaren Nachbarschaft. In meinem Haus wohnen unter anderem eine türkische und eine polnische Familie. In den Höfen der Nachbarhäuser sitzen oft türkische Familien. Und sogleich fühle ich mich heimisch und wohler als in meinem alten Wohnviertel, das studentisch geprägt war. Warum eigentlich? Was ist anders in einem mutikulturell geprägten Umfeld, frage ich mich. Nun, zum einen ist es sowieso interessanter, verschiedene Kulturen zu erleben. Zum anderen geht es lebhafter und geselliger zu. Finde ich. Meine türkische Kollegin findet das allerdings nicht. Sie würde nicht hier leben wollen. Zu viele Ausländer, sagt sie. Warum, das haben wir noch nicht klären können.
Ich habe heute einen Job in einem Pflegeheim angefangen, es sollte nur ein Job sein. Aber auch hier kommen mir meine Erfahrungen mit Migranten zugute. Nicht nur kann ich auf Anhieb die Namen der türkischen Kollegen und Heimbewohner richtig aussprechen, während ein anderer neuer Kollege noch rätselte, ob Cigdem italienischer oder griechischer Herkunft sei. Auch erweisen sich meine Russischkenntnisse mehr als hilfreich, da meine Kollegin Viktoria noch nicht so gut Deutsch versteht. Außerdem gibt es mit Thomas aus Indien und Katharina aus Korea Anknüpfungspunkte. Aus den letzten Tagen fallen mir noch zwei kleine Situationen ein. Ein Freund wunderte sich über die türkischen Cafés, was mich wiederum wunderte, da ich schon in einem war, mit meinen türkischen Freunden Fußball gucken. Und er wunderte sich gleich darauf über eine Sprache, die hinter uns gesprochen wurde. Na klar, das ist Russisch, meinte ich und wieder wunderte ich mich. Vieles erscheint mir doch selbstverständlich, was für viele gar nicht selbstverständlich ist – der natürliche Umgang mit Menschen aus anderen Ländern. Und sicher gab es auch mal solche Zeiten für mich – als es noch nicht selbstverständlich war. Und ich frage mich, wie es dazu kam, dass es das wurde – selbstverständlich. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Aber ich hoffe, dass es das noch für viele mehr wird – ein natürlicher Umgang. Sie sehen, man kommt gar nicht umhin, über Integration nachzudenken, auch wenn man eigentlich nur umzieht.
Von Julia Siebert
09/06/06