Zuletzt war ich in Indien, was schon gar nicht mehr stimmt, da meine Indienreise mit jedem Tag in immer weitere Ferne rückt. Aber noch immer warten diverse Leute auf meinen Reisebericht, auf Fotos, Mitbringsel, sonst was, das bestätigt, dass Indien ein tolles und vielfältiges Land ist.

Indien findet jeder toll. Diejenigen, die schon ein Mal oder viele Male, kürzlich oder vor längerer Zeit, dort waren, möchten ihre eigenen Erinnerungen wiedersehen; diejenigen, die noch nie dort waren, möchten ihre Vorstellungen bestätigt bekommen. Meine bisherigen Versuche, Indien zu beschreiben, sind gescheitert. Ebenso, wie meine dortigen Versuche, Fotos zu schießen. Was ich wahrnahm, passte nicht in den Ausschnitt, zudem hätten das turbulente Treiben und die Geräusche gefehlt. Auch vermochte ich aus der Vielzahl der interessanten Dinge kein Souvenir auszuwählen. In der Auslage sah alles so interessant aus; kaum nahm ich etwas in die Hand, wurde es, losgelöst aus dem Gesamtkunstwerk, zu einem belanglosen kitschigen Ding, das mit Indien wenig zu tun hat. Immer, wenn mich jemand nach Indien fragt und dabei erwartungsvoll anschaut und ich dann meine Indienbilder wachrufe, schlägt es über mir ein – eine Kakophonie aus Geräuschen, Farben, Ereignissen, Schönem und Absurdem, Gerüchen und Gestank, Freundlichem und Nervigem. Dann läuft ein schneller Film ab, der sich nicht anhalten lässt. Versuche ich, einzelne Eindrücke aus der Kulisse herauszugreifen und in einzelnen Sätzen hintereinander weg zu beschreiben, wirken sie farblos und nichtssagend.

Oder was könnte etwa faszinierend daran sein, dass die indischen Männer ständig leuchtendgrünen Schleim in ungehöriger Menge ausrotzen? Oder dass es ständig in verschiedenen Frequenzen hupt! Oder das unbeschreibliche riesengroße Chaos am Flughafen in Delhi. Oder die bunte Parade mit den erleuchteten Elektrolampen, die sich tanzend und musizierend in pinkgoldener Bommeltracht durch die eh schon viel zu vollen und engen Gassen quetscht, gefolgt von dem armen Knilch, der sich abplackt, den Wagen mit dem Generator zu ziehen, der die Lampen zum Leuchten bringt. Eben! So etwas muss man selbst erlebt haben. Oder was soll toll daran sein, dass man von alldem, was man sieht und riecht, fast nichts essen darf, weil man davon mindestens einen hartnäckigen Magendarminfekt bekommt? Ständig wird man an der Nase herumgeführt und von den Rikschafahrern nur über Umwege und äußerst halsbrecherisch zu seinem Ziel gefahren. Man muss ihnen lächelnd aber streng daherkommen – damit lässt sich gewiss keine Werbung für das Land machen. Auch nicht damit, dass man ständig Staub und Schmutz einatmet und zu keiner Tages- und Nachtzeit schlafen kann, weil immer überall ein Heidenlärm aus Hundegebell, Hochzeitsfeiern und Reparaturarbeiten herrscht. Na, also, sag ich doch!

Zudem fragt sich, ob es das Land selbst ist, das fasziniert oder ob nicht im Grunde immer glücklich macht, was einen nicht tötet. Vielleicht ist es an dieser Stelle ehrlicher, die Gesetze der Biochemie anzuerkennen, anstatt sich in ethnografischen und kulturellen Betrachtungen zu verlieren. Spätestens seit meinem damaligen zweijährigen Russlandaufenthalt weiß ich: Wenn man Herausforderungen bewältigt, schüttet das Nervensystem irgendwelche Stoffe aus, die stolz und glücklich machen. Nach der Tortur kommt die Erleichterung, so wie man froh ist, wenn man wieder auftaut, nachdem man fast erfroren ist. Dann erinnert man sich schrecklich gern an die Situation, wie man in warme Decken gehüllt, mit einem Tee in der Hand vor dem Kaminfeuer sitzt. Freunde von mir sind einst in Indien erfolgreich vor einem Bären geflohen. Dass sie mit heiler Haut davongekommen sind, hat sie so glücklich gemacht, dass sie gleich wieder dorthin wollten. So was kann süchtig machen. Sicherlich auch bestechend an Indien ist, dass dort immer alle lächeln, egal, ob etwas gewaltig schief läuft oder man nach Strich und Faden betrogen und belogen wird. Wem kann man ernsthaft böse sein, der einen anstrahlt und dabei lustig mit dem Kopf hin und her wackelt (was auch immer das heißen mag)?! So könnte ich noch tagelang weiter reden, ohne das Land wirklich angemessen und zufrieden stellend zu beschreiben. Drum lasse ich es lieber.

Julia Siebert

25/04/08

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