Die usbekische Filmemacherin und Künstlerin Saodat Ismailova stellt ihr neues Projekt Chilltan auf der diesjährigen documenta in Kassel vor. Dabei wird sie von der Forschungsgruppe DAVRA unterstützt, die aus Künstlerinnen und Künstlern aus Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan besteht.

Bei Ismailovas Beitrag zur documenta 15 handelt es sich um ein Labyrinth, das verschiedene Räume im Untergeschoss des Museums Fridericianum miteinander verbindet. Dabei spielt die zentralasiatische Konzeptfigur der Chilltan eine zentrale Rolle: Chilltan gelten in der zentralasiatischen Kultur als Gestaltwandler, die für Flexibilität und Anpassungsfähigkeit stehen. Diese Wesen können der Sage nach die Form von jungen und älteren Frauen, von Tieren und sogar von Naturphänomenen wie Gewittern annehmen. Die Geschichte dieser halbgöttlichen Lebewesen stammt noch aus der vormuslimischen Zeit. Damals symbolisierten sie den Schutz der Natur. Das Wort an sich stammt aus dem Persischen und bedeutet „40 Körper“ oder „40 Wesen“, die kein bestimmtes Geschlecht aufweisen. Bereits in ihrem Debutfilm 40 Days of Silence (2014) thematisierte Ismailova dieses Motiv.

Auseinandersetzung mit traditionellen Kulturen

Die Installation ist ein Zusammenspiel aus Film, Performance, Environment, Musik, Tonplastik und traditionellen Materialien wie Seidentüchern, handgefertigten Matratzen und schamanischen Bitttexten. Besucher können sich das vierzigtätige Programm des Kunstkollektivs DAVRA anschauen, welches Tanzaufführungen, Videokunst, Filmvorführungen, Vorträge und Meisterklassen von zentralasiatischen Künstlern beinhaltet. Hier liegt der Fokus deutlich auf zentralasiatischen Traditionen. Die Künstler beschäftigen sich in ihren Werken mit Themen wie Heimat, Erinnerung, Spiritualität und Unsterblichkeit. Anstatt ihre kulturellen Wurzeln zu verstecken oder zu unterdrücken, wird die künstlerische Auseinandersetzung mit traditionellen Kulturen aus dem zentralasiatischen Raum eine Art Kommunikationskanal für die Künstler und Künstlerinnen, um sich von kolonialen Narrativen zu lösen und die eigene Herkunft positiv zu besetzen.

Zu den eingeladenen Künstlern und Künstlerinnen des Kollektivs gehören unter anderem Aida Adilbek, die sich in ihren Arbeiten besonders mit Feminismus und Postkolonialismus auseinandersetzt. Auch die usbekische Malerin Daria Kim, aktuell Kunststudentin der Universität der Künste in Berlin, ist Teil der Gruppe. Sie spielt mit Formen und Plastiken und malt vor allem mit Öl- und Acrylfarben. Die Talente innerhalb der Gruppe erstrecken sich von Stoffdrucken mit verträumten Mustern und knalligen Farben (Diana Rakhmanova), hin zu Performancevorstellungen, in denen rituelle Texte vorgelesen werden (Diana U).

Verbreitung zentralasiatischer Kultur als Ziel

Zwischen Paris und Taschkent setzt sich Ismailova in Zusammenarbeit mit der Gruppe DAVRA für die Untersuchung, Dokumentation und Verbreitung zentralasiatischer Kultur ein und verarbeitet dieses generierte Wissen in ihren Filmen. Besonders in Dokumentarfilmen wie Aral: Fishing in an Invisible Sea oder im Kurzfilm The Haunted drückt sich dieses Bedürfnis aus. Ihre Filme wurden schon in Norwegen, Frankreich, den USA und auch auf der Biennale in Venedig gezeigt.

Seit 1955 findet die documenta im 5-Jahres-Rhythmus in Kassel statt. Die Ausstellungsreihe gilt als eine der wichtigsten Veranstaltungen für die internationale Gegenwartskunst und als renommierte Plattform, Künstler miteinander zu vernetzen, kunsttheoretische Debatten anzustoßen und neue Methoden der künstlerischen Inszenierung zu finden. Für Saodat Ismailova und das von ihr gegründete Künstlerkollektiv bedeutet die Einladung zur documenta, dass ihre Werke international anerkannt werden und zentralasiatische Kulturen eine öffentliche Plattform bekommen. Dabei stechen die Arbeiten von DAVRA wegen ihrer künstlerischen Verbindung zwischen Tradition und Moderne besonders heraus.

 Antonia Skiba

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