Waldemar Hottmann aus Nordrhein-Westfahlen zählt zu den vielen Kasachstandeutschen, die es nach dem Zerfall der Sowjetunion in die historische Heimat verschlug. Waldemar aber bleibt seinem Geburtsland und seinen Traditionen bis heute treu: Er stellt mit seinen eigenen Händen das kasachische Nationalinstrument, die Dombra, her. Wir haben mit Waldemar gesprochen, wie er zu dieser außergewöhnlichen Arbeit kam.

Herr Hottmann, erzählen Sie etwas über ihre Herkunft, über ihre Kindheit. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Leben in Kasachstan?

Ich wurde in dem Dorf Astrachanka in der Region Aqmola geboren. Dieses liegt etwa 130 Kilometer von der Stadt Tselinograd (heute Astana) entfernt. Meine Eltern sind Deutsche. Die Vorfahren meiner Mutter stammen aus der Wolgaregion, die Vorfahren meines Vaters aus der Ukraine. Mein Vater hat kasachisches Blut in seinen Adern und spricht seit seiner Kindheit fließend Kasachisch, Deutsch und Russisch.

Als ich drei Jahre alt war, trat mein Vater in das Staatliche Konservatorium von Alma-Ata ein, später war er dort als Musiklehrer tätig. Also zog unsere Familie nach Almaty, und dort verbrachte ich meine Kindheit und Jugend. Ich denke gerne an diese Zeit zurück; diese war die beste Zeit meines Lebens. Übrigens sind die ehemaligen Klassenkameraden meines Vaters bekannte Dombristen – Karshyga Achmedjarow, Shamil Abiltajew und Aitzhan Toktaganow. Er hat eine ganze Reihe von kasachischen Dirigenten ausgebildet, darunter Aitkali Zhaimow.

Als wir nach Deutschland übersiedelten, war ich gerade 25 Jahre alt geworden. Am 2. April hatte ich Geburtstag, und am 12. April flogen wir ins „Weltall“, es war der Tag der Kosmonautik, ein denkwürdiger Tag. Meine Seele aber ist immer in der Stadt Almaty, wo ich aufgewachsen bin. Anders wird es auch nie sein.

Verbindet Sie etwas mit der Musik? Wie kamen Sie zu Ihrer Arbeit und der Herstellung von Dombras? Wer hat Ihnen dieses Handwerk beigebracht?

Als ich ein Kind war, habe ich neben der Schule auch eine Musikschule besucht. Ich lernte dort das Klavier- und Geigespielen. Am besten aber beherrschte ich das Bajan; übrigens hing deswegen mein Foto an der Ehrenwand meiner Schule. Mittlerweile bereue ich es immer noch, dass ich nicht professionell gelernt habe, auf der Dombra zu spielen.
Nach der Armee besuchte ich oft das Musikstudio des Konservatoriums, in welchem mein Vater arbeite, und sah kasachischen Dombra-Handwerkern bei der Herstellung des Instrumentes zu. Dies weckte sofort mein stetiges Interesse, wie ein Nationalmusikinstrument aus einfachem Holz hergestellt wurde. Später bekam ich eine Stelle als Lehrling in dieser Werkstatt, und ich erinnere mich noch gut an die Herzlichkeit und Freundlichkeit der Meister Musa Aga, Tolganbaj, Nurbek, Serik und Aman. Wir hatten immer eine Dombra, die von morgens bis abends spielte. Wenn einer aufhörte, spielte ein anderer weiter.

Spielen Sie auch selbst auf der Dombra? Welcher Kjujshi (kas. Dombrist) gefällt Ihnen besonders gut?

Auf der Dombra bin ich ein Autodidakt. Wie ich schon sagte; ich bereue es sehr, dass ich nie professionellen Unterricht genommen habe. Manchmal setze ich mich zu Hause hin und spiele ein paar Melodien, die ich selbst komponiert habe. Wenn die Töne dieses Instrumentes erklingen, werde ich sofort von Erinnerungen an Kasachstan, an meine Kindheit und Jugend überflutet. Ich mag die Melodien von Tlendijew und „Konil Tolkyny“ von Seken Turysbekow sehr.

Gab es bei Ihren Anfängen eventuell Schwierigkeiten bei diesem Handwerk? Mussten Sie – beispielsweise bei der Wahl der Holzart – experimentieren?

Als ich nach Deutschland kam, stieß ich auf viele mir unbekannte Edelhölzer aus Afrika, Amerika, Portugal, Brasilien, ganz Europa und vielen weiteren Regionen der Welt; ich könnte diese endlos aufzählen. Ich experimentiere seit vielen Jahren, denn jedes Holz hat seine Einzigartigkeit, und verleiht dem Instrument einen eigenen Klang. Das Holz muss seine eigene Dicke haben, bis auf den Millimeter genau. Im Moment habe ich mich für ein Holz entschieden, das einen klingenden und einzigartigen Laut erzeugt.

Welche Schwierigkeiten im Allgemeinen bringt das Herstellen einer einzigen Dombra mit sich? Wie viel Zeit benötigen Sie für eine Anfertigung?

Um eine Dombra herzustellen, braucht man einen Ofen, eine Maschine, Schablonen und alle notwendigen Werkzeuge. In Deutschland hatte ich nur die Schablonen zur Hand und mein Wissen im Kopf, alles andere musste ich selbst machen. Also habe ich anschließend aus dem Gedächtnis meinen eigenen Ofen, meinen eigenen Webstuhl und alle übrigen notwendigen Werkzeuge hergestellt.

Ich brauche etwa einen Monat für eine Dombra, manchmal mehr, manchmal weniger. Dies hängt davon ab, wie viel Zeit ich habe. Übrigens habe ich gerade die Arbeit an einem neuen und sehr schönen Instrument beendet, ich nenne sie Tiger Dombra (siehe Bild).

Unterscheidet sich demnach Ihre Art der Herstellung von der, wie es nach traditionell kasachischer Art vorgesehen ist?

Ich versuche, die klassische Herstellungsmethode nicht zu ändern; abgesehen von einigen Nuancen, die ich selbst erfunden und hinzugefügt habe. Das Holz ist ein anderes, und natürlich der Leim. Ich bin jetzt auf einen sehr guten Qualitätsleim für Gitarren und Geigen umgestiegen, der der Dombra auch einen guten Klang verleiht.

Wie ist die Nachfrage in Deutschland nach dem kasachischen Musikinstrument? Wie würden Sie ihre Kunden beschreiben?

Ich bekomme Bestellungen aus ganz Europa, teilweise sogar aus Amerika. Die meisten jedoch aus Deutschland. Die Kommunikation mit den Kunden erfolgt meist auf Englisch oder Deutsch; tatsächlich weiß ich manchmal nicht einmal, wer die Dombra bestellt hat.
Kürzlich bestellte eine Frau zwei Dombras, kommuniziert hatten wir auf Deutsch. Sie beschloss, die Instrumente selbst abzuholen. Ich dachte zu Beginn, sie sei eine Kasachin, aber als sich meine Tür öffnete und eine Einheimische aus Deutschland vor mir stand, war ich überglücklich. Die Frau heißt Stefanie und träumt davon, das Spielen auf dem kasachischen Musikinstrument zu erlernen.

Meine Kunden sind alle unterschiedlich, natürlich bestellen überwiegend Kasachen bei mir Dombras, mit einigen sprechen wir nur Russisch und mit anderen nur Deutsch. Manchmal wird das Instrument auch von Türken bestellt. So lernte ich einen Türken aus Belgien kennen, er heißt Hakan und spielt auch sehr gerne auf der
Dombra.

Welche Bestellung und Herstellung einer Dombra ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Für mich sind alle meine Dombras unvergesslich und wertvoll. Ich stecke ein Stück meiner Seele und Liebe in jede einzelne, die ich anfertige. Ein Auftrag aus Spanien ist mir aber besonders in Erinnerung geblieben: Ein Mann namens Dschangr bestellte eine kalmückische, ausgehöhlte Dombra. Das war eine neue und interessante Erfahrung für mich. Der Mann mochte die Dombra sehr, und zum Dank schenkte er mir ein Videoclip von der Dombra.

Im September 2022 schenkte Kassym-Schomart Tojakew Papst Franziskus bei seiner Abreise eine Dombra, dabei sagte er folgendes: „In der heutigen Zeit ist das [Instrument] sehr beliebt unter Kindern und Jugendlichen. Aber nach Ihren Worten, denke ich, dass das Interesse daran nicht nur in Kasachstan wachsen wird, sondern auch außerhalb der Grenzen Kasachstans.“ Was denken Sie darüber?

Präsident Tokajew hat völlig recht. Menschen aus der Türkei, Schweden, Frankreich, Österreich, Belgien, der Schweiz, Spanien, Deutschland und sogar Amerika wollen, dass ich ihnen das kasachische Nationalinstrument anfertige und zuschicke. Und das nicht nur von ethnischen Kasachen. Ich bin also ein kleiner Organisator dessen, was Tokajew bereits ausgesprochen hat.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Annabel Rosin.

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