Immer wieder stoße ich auf die Frage, wie es denn war in Russland, wie Russland ist und was es für mich bedeutet. Große Fragen zu einem großen Land. Und viele. Wenn ich antworte, rede ich viel. Auch viel über mich. Dass es eine Herausforderung war, dass ich mich selbst besser kennen gelernt habe.

Dass es gut, aber nicht immer schön war. So in etwa. Um diesmal nicht die Vernunft antworten zu lassen, die immer gleich alles reflektiert, analysiert, interpretiert, habe ich das Assoziationsspiel gespielt, alles sofort aufzuschreiben, was mir bei dem Gedanken an Russland in den Sinn kommt. Gespannt war ich schon, was meine Emotionen und mein Unterbewusstsein zutage fördern. Schauen wir uns das Ergebnis mal an. Die ersten Assoziationen waren Wodka, dicke Bäuche, laute Stimmen, Bären und Wald. Wie peinlich, lauter Klischees. Gut, schauen wir weiter. Es folgten: grau, Schmutz, langsame Züge (Ich will hier anmerken, dass ich zuvor nie den Schmutz als besonderes Kennzeichen erwähnt habe, und auch das Zugfahren mochte ich sehr.). Dann kam der Baikalsee und komischerweise gleich darauf Mücken (Dabei bin ich am Baikalsee nicht von einer einzigen Mücke attackiert worden.). Dann Bier. Das steht etwas außer der Reihe, denn die nachfolgenden Begriffe passen ganz wunderbar zusammen: Babuschkas, Walenki, Markt, Äpfel und riesengroße Möhren. Der darauf folgende Staub lag ja nicht nur auf den Märkten, sondern überall, aber na gut. So geht das eben, das Assoziationsspiel. Wo danach die Hitze herkommt, weiß der Kuckuck, die aber die Kälte nach sich zog, was relativ spät kommt – wie ich finde. Denn über die Kälte in Russland rede ich recht oft und gern. Allerdings passen zur Kälte weniger die Kinder mit Zöpfen, die aber an weiße Kniestrümpfe und viel zu süße Bonbons erinnerten. Das wiederum sagte mir, dass immer alles viel zu süß war und drum auch der viel zu süße Sekt. Da meine Gedanken schon mal auf Nahrung eingeschossen waren, kamen nun Schaschlik, laute Musik, Lagerfeuer und folgerichtig der Müll. Dann noch Fleischkonserven, dicke Brotscheiben, Kaviar, sehr dicke Wurstscheiben, sehr fettige Wurst und Trinksprüche. Eine gewisse Logik erkenne ich auch in der Aneinanderreihung von Angler, Tarnkleidung, Banditen, Zahnlücken, Goldzähne, Kopftücher, Schürzen und Kartoffeln. Den Schlussakkord bilden praktisches Wohnen, viele Menschen in wenigen Zimmern, Pfannkuchen, Kaffee, Tee, Eier, Plastiktüten und Ananas. Natürlich ist das Bild damit nicht vollständig, aber ich habe mich auf ca. eine Minute beschränkt. Tja, ohne mich groß in Statistiken oder Psychoanalyse zu verlieren – hier steht eindeutig das Essen und Trinken im Vordergrund. Was nicht so sehr verwundert, da ja im Leben sowieso und überall das Essen und Trinken im Vordergrund steht, der Geschmack ein starkes Sinnesorgan ist und man sich jeden Tag aufs Neue darum kümmern muss. Dann könnte man eigentlich für jedes Land, das man je bereist hat, zusammenfassen, ob es dort lecker zugeht oder nicht. Ob das Gemüse groß oder klein ist. Und wer es verkauft. Ansonsten muss ich sagen, dass ich in Zukunft doch lieber dabei bleibe, auf die Fragen meinen Verstand und nicht meine Assoziationen antworten zu lassen. Dann können wir wieder die Banditen, den Müll und Staub herausreflektieren.

Von Julia Siebert

23/06/06

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