Als Sänger der Rockband „Kino“ sorgte Viktor Zoi noch zu Sowjetzeiten für Begeisterung bei seinen Fans. Nach seinem frühen Tod wurde er zu einem Idol für viele, die unter dem Chaos der 1990er-Jahre litten. Viel verband die Rocklegende mit dem heutigen Kasachstan, wo man ihn auch nach über 30 Jahren vor nicht vergessen hat.
Still und schweigsam steht er an der schattigen Tolebajew-Allee in Almaty und hält mit ernster und musternder Mine sein Feuerzeug hin. Man möchte sich fast eine Zigarette herausholen und diese dankbar anzünden lassen. Denn bei dem bronzenen Gesellen handelt sich um keinen Geringeren als den sowjetischen Rockstar Viktor Zoi, der dort 2018 als Statue verewigt wurde. Doch warum wurde ihm ausgerechnet in Almaty ein Denkmal gesetzt?
Die Skulptur ist seiner Rolle im Kinofilm „Igla“, zu Deutsch „die Nadel“, gewidmet, die an ebendieser Stelle den Filmtod stirbt. Ein tragisches Schicksal, welches auch die junge Rocklegende nur zwei Jahre später bei einem Autounfall in Lettland treffen wird. Er stirbt, um unsterblich zu werden, denn die Musik seiner Band „Kino“ erklingt auch viele Jahre nach seinem Tod weiterhin in den ehemaligen Republiken der UdSSR. Viele haben von seiner Karriere als Musiker in der Leningrader Rockszene und seinem großen Konzert im Moskauer Luschniki-Stadion gehört, doch wenige wissen von seiner Karriere als Schauspieler und wie viel ihn dabei auch mit Kasachstans alter Hauptstadt verbindet.
„Kino“ auf der großen Leinwand
Zoi, in der Rolle des Gesetzlosen Moro, steigt mit struppigen Haaren und schwarzer Kleidung gelassen auf den Haltesteg des Bahnhofs in Alma-Ata (heute Almaty) aus. Neben ihm weist eine Bahnangestellte ihn auf etwas hin, rüttelt an ihm, worauf er ihr prompt den mittleren Finger hinhält. So beginnt die erste Szene des Kunstfilms „Igla“ aus dem Studio Kasachfilm. Ein Affront und zugleich auch eine Revolution – denn zum ersten Mal erhält eine so obszöne Geste Einzug im sowjetischen Film.
Regisseur Raschid Nugmanow will unbedingt, dass Zoi mit seiner rebellischen gelassenen Art die Hauptrolle in dem Film übernimmt. Er mimt den unabhängigen Rebellen Moro, der im düsteren Almaty der 80er-Jahre Schulden bei einem alten Bekannten eintreiben will.
Zugleich Drama und Arthouse, spricht „Igla“ Themen an, die lange Zeit in der Sowjetunion tabuisiert wurden. Drogen, organisierte Kriminalität, eine graue und trostlose Großstadt inmitten der Zeiten von Perestroika. Ein starker Kontrast zu Leonid Gaidais schillernden Komödien der 60er-Jahre.
Auf der Leinwand beweist Zoi, dass in ihm ein talentierter Schauspieler steckt. Ohne große Vorerfahrung wird er für seine Rolle als Moro, in einer Umfrage des Magazins „Советский экран“, zum besten Schauspieler des Jahres 1989 gekürt.
Eines seiner bekanntesten Lieder entstand in Almaty
Während der Dreharbeiten Ende 1987 wohnt er nicht etwa in einem Hotel, sondern in der Wohnung Nugmanows, zu dem er eine gute Freundschaft hegt. Zusammen arbeiten sie am Film und gehen die Szenen durch. Zoi verbringt in Alma-Ata viel Zeit in der Innenstadt. Gerne geht er in koreanischen Restaurants essen. Im Café Alina hängt bis heute über dem Tisch, an dem er öfters gesessen hatte, ein Bild des Rockstars. Seine freien Stunden nutzt er, um an seinen Liedtexten zu arbeiten. Eines seiner bekanntesten Lieder „Zvezda po imeni Solntse“ (Ein Stern mit dem Namen Sonne) schrieb er während seiner Zeit in Alma-Ata.
Neben dem Filmdreh verbindet den gebürtigen Leningrader persönlich viel mit Kasachstan. Sein koreanischer Vater Robert Zoi ist im kasachischen Kysylorda geboren und aufgewachsen. 1975 besucht Viktor im Alter von 13 Jahren dort zum ersten Mal seine Familie. Auch heute noch wohnen viele seiner Verwandten in der Stadt. Für Zoi war Kasachstan somit auch eine zweite Heimat. Denn nicht umsonst wird sich Zoi während seines Aufenthalts in Alma-Ata laut seinem Freund Nugmanow „wie ein Fisch im Wasser“ gefühlt haben.
Posledniy Geroi, der letzte Held
Nach Abschluss der Dreharbeiten gibt Zoi mit seiner Band „Kino“ mehrere Konzerte in Almat-Ata. Seine Fans kommen stets in großer Zahl, kreischend und stundenlang wartend, nur um einen Blick auf ihr Idol zu erhaschen. Bei einem Konzert 1989 wurde ein Kleinbus der Marke „Rafik“ mit den Bandmitgliedern kurzerhand von der Menge angehoben und getragen. Die Stadt vergisst ihren Helden nicht. Erst 2020 erschien ein großes Wandbild in der „Jegisbajewa“Straße, das ihn darstellt. Täglich kann man auf dem Arbat vielen Straßenmusikern zuhören, die seine Lieder spielen, und manch einer lässt sich das Porträt des Rockhelden sogar gleich an das eigene Auto anbringen.
Doch was macht ihn und seine Musik nach all diesen Jahren noch so populär?
Mit seiner 1982 gegründeten Band „Kino“ macht sich Viktor Zoi inmitten der rebellischen Leningrader Rockszene schnell einen Namen. Von anfänglichen kleinen Konzerten in einfachen Wohnungen bringt er es in wenigen Jahren auf die großen Bühnen der Hauptstadt Moskau. Schnell entfacht er mit seinen Liedern die Herzen von Millionen Zuhörern, die sich an den neuartigen Mix an Punkrock und neuer Welle erfreuen. Für viele sprechen seine Texte in den chaotischen und unverständlichen Zeiten der Perestroika eine verständliche Sprache. Seine Lieder handeln von Nöten, Sorgen, Einsamkeit, aber auch von Hoffnung, Aufbruch und Zuversicht.
Sein junger Tod mit nur 28 Jahren machte den rebellischen Jugendhelden für viele zu einem Idol.
Jeden 15. August, seinem Todestag, versammeln sich Tausende an den zahlreichen Denkmälern und ihm gewidmeten Wänden, egal ob in Moskau, Tiflis oder Almaty, um seine Lieder zu hören und ihrem Idol zu gedenken. Die Begeisterung für seine Musik ist insbesondere in heutigen Zeiten eines der wenigen Dinge, welche die postsowjetische Welt noch vereint.