Noch immer bin ich mit meinem Einzug in die neue Wohnung beschäftigt, und immer wieder spielen die Zuwanderer eine Rolle dabei. Multikulturalität prägt wesentlich die ideellen Werte der Wohnatmosphäre und die kulinarischen Genüsse der Gastronomiestruktur. Aber die kulturellen Unterschiede machen sich auch im Handwerk und bei den Dienstleistungen bemerkbar.
In meiner Umgebung kann ich zwischen deutschen großen Kaufhäusern und Baumärkten, dem Einzelhandel auf kölsche Art und dem Geschäft von Migranten wählen. Die Angebote unterscheiden sich wie folgt: In den deutschen großen Häusern bekommt man fast alles in reicher Auswahl, in verhältnismäßig guter Qualität und zu verhältnismäßig günstigen Preisen. Aber die Beratung ist – wenn überhaupt – sehr sachlich und oberflächlich. Im Einzelhandel auf kölsche Art ist die Auswahl eingeschränkt, die Fachkenntnisse sind vorhanden, die Preise sind relativ hoch, und ich kann ein Plaudergespräch führen, das amüsant, aber nicht sehr interessant ist. In den kleinen Läden der Migranten bekomme ich relativ viele verschiedene Produkte und Dienstleistungen, die Fachkenntnisse sind breit, aber nicht tief, die Qualität etwas niedriger, dafür werden aber die Preise flexibel angepasst, weil das Plaudergespräch nett und interessant ist. Zum Beispiel heute: Ich zog mit meiner Erledigungsliste los und heftete meinen Adlerblick auf die Auslagen der Ladenlokale. Bei einem Geschäft rief es: „Alles“. Wie bitte? „Ich habe alles!“ wiederholte der Ladenbesitzer, „Wimpel, WM-T-Shirts, WM-Mützen…“. Er zeigte stolz auf das Sortiment. Natürlich, ein Migrant, türkischer Herkunft, wie ich vermutete. Deutsche Ladenbesitzer werben nicht so offensiv um ihre Kunden. Und schon stand ich, von der freundlichen Ansprache gelockt, drin im Laden und sah mich näher um (obwohl ich alles Mögliche brauchte, nur keine WM-Artikel). Und entdeckte Gravuren. Genau, die Anfertigung eines Firmenschildes stand ja auch auf meiner Liste. Und schon stand der Ladeninhaber an seiner Gravurmaschine. Also gut. Während er gravierte, sah ich auch den Schlüsselservice, auf ca. drei Quadratmetern untergebracht. Ja, genau, ich wollte ja auch noch Ersatzschlüssel anfertigen lassen. Und während er die Schlüssel schliff, sah ich Schuhe. Dieser winzige Laden mit den WM-Artikeln beherbergte zugleich eine Schusterei! Kaputte Schuhe hatte ich zwar nicht, dafür aber einen Lederkoffer, der dringend repariert werden musste. Und das alles gab es zu Sonderkonditionen – für die Schilder und Schlüssel einen Preisrabatt, und dass er den Koffer annahm, war sowieso eine Sonderleistung, weil so große Koffer in so einem winzigen Laden ja eigentlich keinen Platz haben. Dazu gab es gratis ein nettes und interessantes Gespräch. Im Ergebnis waren die Firmenschilder zwar krumm und schief, aber immerhin konnte ich gleich drei Punkte meiner Erledigungsliste abhaken. Die Alternative wäre gewesen, in ein deutsches Fachgeschäft zu gehen. Dann wären zwar die Firmenschilder gerade gewesen, es wäre aber auch sachlicher und teurer zugegangen, und mein Koffer wäre immer noch kaputt. Man kann eben nicht alles haben.
Von Julia Siebert
30/06/06