Tilman Hecker und sein künstlerisches Team haben in Almaty fast sieben Wochen an „Rainmaidens of Eastworld“ gearbeitet. Im DAZ-Interview verrät der aus Karlsburg bei Usedom stammende Regisseur, wie die Idee zum aktuellen Stück entstand.
Herr Hecker, wie sind Sie darauf gekommen, ein Theaterprojekt in Almaty umzusetzen?
Das Projekt ist entstanden, nachdem wir die Video-Performance „Midnight“, die ich entwickelt habe, im Alexandrinski-Theater in Sankt-Petersburg aufgeführt hatten. Dort hat uns Olga Sultanowa mit „Midnight“ zum Otkrowenije-Festival eingeladen, das sie bis 2018 in Almaty organisiert hat. Wir haben das Stück dann im Auesow-Theater aufgeführt, wo es auch Natascha Dubs gesehen hat. Sie fragte, ob wir nicht auch ein Stück für das Deutsche Theater machen möchten. Ich habe ihr angeboten, ein Stück zu entwickeln, das auf die Schauspielenden und die Situation hier zugeschnitten ist.
Inwiefern ist „Rainmaidens of Eastworld“ auf die Situation in Almaty zugeschnitten?
Wenn man von Berlin nach Almaty kommt, fällt einem schnell die schlechte Luft auf. Wenn man aus dem Theater kommt und auf den Bus oder das Taxi wartet, fällt das Atmen schwer. Die beeindruckenden Berge kann man nur deutlich sehen, nachdem es geregnet hat. Der Klimawandel, Luftverschmutzung, Gletscherschmelze, drohender Trinkwassermangel, das sind natürlich weltweit drängende Themen. Das Deutsche Theater wollte auch einen deutschen Bezug und so haben wir uns auf Theodor Storms „Die Regentrude“ verständigt, ein visionäres Klimawandel-Märchen von 1863.
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Haben Sie neben Storms Regentrude noch andere Inhalte einfließen lassen?
Wir waren Ende März hier und haben einen Workshop gemacht. Auf unseren Proben ging es nicht nur um den Klimawandel und die aktuelle Lage des Planeten, sondern darum, wie wir in der derzeitigen Situation angekommen sind, und wie wir vielleicht wieder herauskommen. Feministische Theorie und Utopie bietet hier vielfach Lösungsansätze. „Unruhig bleiben“ von Donna Haraway war eine wichtige Quelle, das wunderbare Buch „Arts of Living on a Damaged Planet“, aber auch „Homo Deus“ von Yuval Noah Harari, und die Fernsehserie „Westworld“. Virginie Despentes’ „King Kong Theorie“, eine feministische Streitschrift von 2006 hat die Schauspielenden beeindruckt. Aus diesen Materialien haben wir das Stück entwickelt, die Regentrude war dabei ein roter Faden, eine Art Gerüst, in das wir die Interjektionen mit den Schauspielenden eingearbeitet haben.
Können Sie das näher erläutern?
Wir wollten ein Stück über uns heute hier machen. Deshalb war es wichtig für uns, dass die Schauspielenden alle eine Stimme haben und – wenn sie wollen – etwas von sich erzählen können. Dass auch darüber gesprochen wird, was sie interessiert. Es gibt ein paar kleine Monologe und Einschübe, die die Schauspielenden selbst geschrieben haben und auch sprechen – aus Material, das sie interessant fanden.
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Gab es auch Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit den hiesigen Schauspielenden?
Die Zusammenarbeit beginnt auf der Ebene des Creative Teams, nicht alle sind aus Berlin und New York eingeflogen. Wir haben mit Jelena und Wiktor Worobjowi zwei Bühnenbildner, die in Almaty leben und arbeiten. Was die Schauspielenden betrifft: Ich glaube, dass die meisten hier noch keine Stückentwicklung mitgemacht haben, wie ich sie am liebsten mag: wenn man eine Uraufführung, eine eigene Kreation schafft und kein fertiges Skript vorliegt, das Stück sich also quasi während der Proben selbst schreibt. Das ist für sie ein ungewöhnlicher, teilweise schwerer und mutiger Schritt. Aber wir haben das gut im Ensemble gelöst. Es ist ein Ensemble-Stück geworden. Es gibt keine Aneinanderreihung solistischer Nummern. Es sind den ganzen Abend alle auf der Bühne.
Wie funktioniert die Umsetzung eines Stückes, in dem vier Sprachen gesprochen werden?
Das ist kein Problem. Wir hören diese ganzen Sprachen hier nebeneinander, teilweise im Dialog: der eine spricht Englisch, der andere antwortet auf Russisch. Es ist natürlich das Deutsche Theater, wo auch eine bestimmte Form der deutschen Sprache kultiviert werden soll. Wir haben aber eine Gewichtung auf das Russische. Es gibt hier normalerweise eine Simultanübersetzung der deutschen Szenen ins Russische. Allerdings ist die Übersetzung auch ein Zwischenmedium, ein störender Filter. Da das Märchen relativ kurz ist, werden viele Passagen in allen vier Sprachen wiederholt.