Vor zehn Jahren hat die damalige Europäische Union (EU) das Programm angenommen, bis 2010 der weltweit dynamischste Wirtschaftsraum der Welt zu sein. Die Zeit ist vorbei, und das Programm ist gescheitert. Die EU steht jetzt zwar nicht als Zwerg da, sie ist aber auch nicht die wirtschaftlich entscheidende Region dieser Welt geworden.
Trotz einer fast doppelt so großen Bevölkerungszahl wie der USA bleibt das volkswirtschaftliche Produktionsvolumen weit hinter dem der USA zurück. In den Zuwachsraten des Bruttoinlandproduktes (BIP), die heute noch allgemein als Kriterium für „dynamisch“ gelten, führen China, Indien und andere asiatische Staaten mit uneinholbarem Vorsprung. Zwar liegen nun wieder China und Indien beim absoluten BIP und auch bei dessen Pro-Kopf-Größe sehr weit hinter der EU zurück, doch das beruhigt nur noch für einige Jahrzehnte.
Nun stellt sich die Frage, warum der Plan nicht realisiert werden konnte, bzw. die Frage, ob man sich ein solches Ziel überhaupt stellen muss und sollte. Für den Bürger Kasachstans mag diese Fragestellung befremdlich klingen, schließlich werden hierzulande alle Entwicklungsprobleme in einem großen Programm zusammengefasst, um sie von Staats wegen einer Lösung zuzuführen. Die meisten kasachstanischen Entwicklungsprogramme scheitern genauso wie das der EU.
In den meisten westlichen Industriestaaten ist allgemein zu beobachten, dass die Mehrzahl gut gemeinter staatlicher Aktionen in der Wirtschaft bei Weitem nicht den erwarteten Effekt bringt. Mit anderen Worten: es werden sehr oft staatliche Mittel ziemlich uneffektiv und oft auch unnötig ausgegeben. Manche Analysten ziehen daraus den radikalen Schluss, dass sich der Staat nicht nur finanziell, sondern auch ideell aus der Wirtschaft zurückziehen sollte und die Wirtschaft dem Markt zu überlassen hat.
Diese radikale Position hat sich – wie die Ereignisse der jüngsten Finanz- und Wirtschafskrise zeigen – nicht bewährt. Die Frage des Verhältnisses zwischen Staat und privater Wirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ist eines der schwierigsten Probleme von Wirtschaftstheorie und –praxis überhaupt. Sowohl nach Ländern, als auch nach Zeitperioden werden in dieser Hinsicht sehr unterschiedliche Antworten gefunden. Die Diskussionen um das beste Modell geraten dabei oft zu einer Art wirtschaftspolitischen Glaubenskriegs.
Der Realität am nächsten kommen wohl die Ansichten, dass man den Staatseinfluss in der privaten Wirtschaft nicht als eine einmal und für immer fixierte Größe sehen darf, sondern sein Ausmaß von der jeweiligen Situation abhängig ist. Allerdings kritisiert ein Gutteil der Wirschaftstheoretiker eine solche pragmatische Position dann auch schnell wieder als prinzipienlos.
Doch zu den Erklärungen für das Scheitern des EU-Programms. Es war vor zehn Jahren eigentlich nicht zu übersehen, dass die meisten Länder dieses Programm ohne besonders großen Enthusiasmus mitgetragen haben. Sie waren also nicht restlos von seiner Notwendigkeit überzeugt, und das wirkt natürlich dann sofort auf die Motivation seiner Umsetzung. Weiterhin ist das Programm außerordentlich komplex angelegt. Die Frage, ob man mehr allgemeine Komplexziele wie z. B. die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung um soundso viel Prozent setzen oder besser konkrete Komplexprojekte wie z. B. die forcierte Entwicklung der erneuerbaren Energieträger fördern soll, kann auch nicht allgemein beantwortet werden. Es scheint jedoch, dass die letztere Variante erfolgversprechender erscheint, aber das nur dann, wenn sich der Staat nicht zu detailliert z. B. durch Vorschreiben bestimmter Technologien in die Wirtschaftsprojekte einmischt.
Und dann darf nicht vergessen werden, dass im letzten Jahrzehnt die EU um zehn neue Staaten erweitert sowie der Euro eingeführt wurde und zahlreiche Grundsatzfragen diskutiert und gelöst werden mussten. Die mittlerweile 27 Staaten mit zum Teil doch erheblichen Entwicklungsunterschieden auf ein gemeinsames Ziel zu verpflichten ist praktisch somit sehr schwer, wenn auch nicht unbedingt aussichtslos.