Baikonur – für Kosmonautik-Fans ein magisches Wort. Viele versuchen, wenigstens einmal im Leben eine Reise zum berühmten Weltraumbahnhof in der kasachischen Steppe zu unternehmen und einen Raketenstart von ganz nah zu erleben.

Klick-klick-klick… Mein Fotoapparat musste so einiges aushalten während des Startes der „Progress-M-16M“. Auf der Besucherplattform des Kosmodroms Baikonur herrschte um 01:30 Uhr nachts geschäftige Hektik. Jeder prüfte seine Foto- oder Videokamera, lud Batterien nach, um auch ja die besten Fotos zu schießen. In einem Kilometer Entfernung war die Abschussrampe der Rakete im nächtlichen Scheinwerferlicht nur schemenhaft zu erkennen. Aber jeder wusste, sie war da!

Dann – zur festgesetzten Startzeit um 01:35 Uhr nachts – plötzlich gespannte Stille. Einige Besucher zählten die Sekunden rückwärts, bis dann endlich das technische Wunderwerk der Progress-Rakete mit einem tiefen Grollen und Dröhnen gen Himmel stieg.

Jubeln und Klatschen in der Besuchermenge, einige Amerikaner und Deutsche waren ebenfalls unter den Begeisterten. Nachdem ich jedoch einige Fotos von den ersten Sekunden des Starts gemacht hatte, ließ ich – begeistert vom beeindruckenden Schauspiel auf der Rampe „2“ – langsam den Fotoapparat sinken. Ein greller gleißender Lichtblitz der startenden Rakete erhellte die Dunkelheit ringsum, ich schien wie geblendet. Mit einer unglaublichen Schubkraft schob sich die „Progress“ in den Nachthimmel und hinterließ inmitten von ohrenbetäubendem Lärm staunende Besucher.

Mein Fahrer, den ich daraufhin nach seinen Erlebnissen auf dem Kosmodrom befragte, meinte, dass er schon so einige Raketenstarts miterlebt hätte. Aber jeder Start sei anders. Manchmal missglücke er auch oder der geplante Start müsse aus technischen Gründen verschoben werden.

Für mich erfüllte sich ein Kindheitstraum. Ich konnte sozusagen „live“ mit eigenen Augen einen Raketenstart miterleben. Leider saß ich nicht IN der Rakete, das hätte noch als „Weltraumtourist“ einen besonderen Reiz ausgemacht. Aber auch hier ist es nur eine Frage der Zeit, bis in einigen Jahrzehnten Weltraumreisen erschwinglich werden.

Für viele Raumfahrtbegeisterte war zum einen der Dokumentarfilm „Space Tourists“ des Schweizer Regisseurs Christian Frei sowie zum anderen der Film „Baikonur“ von Veit Helmer ein weiterer Anlass, sich mit der Materie etwas eingehender zu beschäftigen.

Baikonur galt während des Kalten Krieges lange Zeit als streng geschützter militärischer Sicherheitsbereich, der damals für die Westmächte mit der Bezeichnung „Baikonur“ getarnt wurde. 1955 kamen die ersten Offiziere in die kasachische Steppe an einen Ort namens Tjuratam (Türa-Tam), um dort das Kosmodrom aufzubauen. Hier auf der Großbaustelle in der kargen Steppe sollte das Testgelände für die ersten Interkontinentalraketen der Sowjetunion entstehen. Der Test von flüssigkeitsbetriebenen Langstreckenraketen war auch die wichtigste Aufgabe und Hauptzweck, die das Kosmodrom bis 1991 zu erfüllen hatte.

„Tjura-Tam, bitte aussteigen!“

Strategisch liegt Tjuratam recht günstig: Am Ufer des Flusses Syrdarja und an der Eisenbahnstrecke Moskau – Taschkent findet man hier in alle Himmelsrichtungen weit und breit keine großen Städte. Die nächstgelegene Stadt, aus der die Züge anrollen, ist Kysylorda im Süden, zu dessen Einzugsgebiet Baikonur gehört.

Die eigentliche Siedlung befand sich allerdings einige Hundert Kilometer weiter nordöstlich. Mehr als 50 Jahre lang starteten von Baikonur aus sowjetische bzw. russische Weltraum-Missionen. Heute gilt das Kosmodrom als der größte Raketenstartplatz der Welt. Mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von 75 km und einer West-Ost-Ausdehnung von 90 km erstreckt es sich auf einer Fläche von offiziell 6717 Quadratkilometern. Insgesamt neun Startkomplexe mit 15 Startvorrichtungen, vier Abschusseinrichtungen zur Erforschung interkontinentaler Langstreckenraketen und sogar zwei Flugplätze und ein riesiges Sauerstoff-Stickstoff-Werk befinden sich auf dem Areal.

Während der Busfahrt zur Abschussrampe 2 schien es mir, als könnten wir diese unendliche Weite einmal selbst erleben: wir fuhren fast eine Stunde durch die dunkle Nacht. Ab und zu blitzte ein angestrahltes Objekt auf, dann wieder Steppe. Die Straße nahm und nahm kein Ende. Interessant ist, dass in der Stadt sowie auf dem Areal des Kosmodroms sowohl russisches als auch kasachisches Recht gilt. Seit Ende 1994 wird die Stadt Baikonur von Russland gepachtet und steht damit unter russischer Verwaltung. Die Währung in den Geschäften und Restaurants ist Rubel und nicht Tenge, wie so mancher Tourist feststellen wird. Aber oft wird verhandelt, und wer nicht im Besitz von harter Rubelwährung ist, darf öfter auch mit Tenge bezahlen.

Der Aufbau des Kosmodroms verlief sehr schnell, denn schon zwei Jahre später, 1957, konnte der erste Sputnik von Baikonur aus in den Weltraum starten. Eine R-7-Rakete brachte den ersten Erdsatelliten überhaupt in den Orbit und gilt noch heute als Nachfolger der „V-2“-Rakete des deutschen Raketenkonstrukteurs Wernher von Braun.

Im Laufe der Jahrzehnte wurden Baikonur mehrere verschiedene Namen verliehen. Um das Kosmodrom herum entstand recht schnell eine Siedlung mit dem Namen Sarja (Morgenrot), die später Swesdograd (Sternenstadt) und Posjolok Leninski (Lenin-Siedlung) hieß. Mit dem Zuzug von Mitarbeitern und Kosmonauten-Familien wuchs die Bevölkerung und ab 1966 erhielt Leninsk das Stadtrecht. Reisende werden vergeblich den Schriftzug „Baikonur“ an der Bahnstation suchen, denn seit damals, 1955, heißt der Bahnhof Tjuratam. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ende 1995 wurde die Stadt Leninsk in Baikonur umbenannt und gehörte nun zur unabhängigen Republik Kasachstan. Nicht wenige Probleme entstanden für die Russische Föderation mit der Tatsache, dass Baikonur nun auf dem kasachischen Staatsgebiet lag. Russland schloss mit Kasachstan 1994 einen Vertrag zur Pachtung von Baikonur für jährlich 115 Millionen Dollar. Der Vertrag wurde nach nur zehn Jahren Laufzeit bis zum Jahr 2050 verlängert. Mit Auflösung der Sowjetunion begann auch die Krise in Baikonur. Fast die Hälfte der Bevölkerung verließ die Stadt. Von ehemals 140 000 Einwohnern zählt man heute laut Statistik nur noch etwa 70 000, davon 70 % Kasachen.

Der Betreiber des Raumfahrtprogramms ist seit den 90er Jahren die zivile Raumfahrtbehörde der Russischen Föderation Roskosmos mit Sitz im sogenannten „Sternenstädtchen“ («Звездный городок») bei Moskau. Nach der Ära der sowjetischen Raumstation „Mir“, die 1986 ihren Betrieb aufnahm und 2001 zum Absturz gebracht wurde, ist Ros-kosmos nun aktiv an der Internationalen Raumstation ISS (МКС – Международная Космическая Станция) beteiligt. Mit neuen Aufträgen im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit und gemeinsamen Starts konnte das Raumfahrtprogramm in Baikonur wieder weitergehen.

Die Sojus-Rakete und der Progress-Raumtransporter werden schon seit Jahrzehnten zur Versorgung und Forschung eingesetzt und sind eine der wichtigsten Konstruktionen und Erfindungen der Raumfahrt.

Baikonur ist gleichzeitig geprägt von herausragenden Namen der sowjetischen Raumfahrt. Auf Schritt und Tritt begegnet man auf den Straßen, Plätzen und Parks der Stadt Baikonur als auch auf dem Kosmodrom selbst Denkmälern sowie Schildern von Koroljow und Gagarin.
Ein Denkmal des berühmten sowjetischen Raketenkonstrukteurs Sergej Koroljow können interessierte Touristen in der Stadt Baikonur inmitten einer Parkanlage besichtigen. Koroljow gilt als wichtige Figur in der Geschichte der sowjetischen Raumfahrt. Mit seinen Ideen und Entwicklungen prägte er eine ganze Ära. Mit seinem Namen sind Konstruktionen wie die „R-7“, die erste Interkontinentalrakete der Welt oder der Sputnik-Start im Jahre 1957 verbunden. Seine Erfindungen wie die Sojus-Rakete und das Sojus-Raumschiff werden in veränderten Variationen bis auf den heutigen Tag eingesetzt. Die Sojus-Rakete ist zudem eine weiterentwickelte Raketenform der R-7. Der erste Weltraumflug eines Menschen 1961, des Kosmonauten Juri Gagarin, war Koroljows größter und bahnbrechendster Erfolg in der Entwicklung der Kosmonautik.

Oberstes Credo und Lebensmotto des Weltraumpioniers und Ingenieurs für Flugzeugbau war die Einfachheit: „Je einfacher eine Konstruktion ist, desto genialer ist sie. Kompliziert bauen kann jeder,“ so ein bekannter Ausspruch von Koroljow.

Auf der Abschussrampe 2 erwartete uns auch eine Sojus-Rakete in abgewandelter Form, denn offiziell ist dieses Sojus-Transportraumschiff als „Progress-M-16M“ («Союз-У»/Прогресс М-16М) bekannt und in ihrer Funktion ein Raumtransporter, der Nutzlasten wie Sauerstoff, Stickstoff oder Lebensmittel zur Internationalen Raumstation ISS bringt.

Mit fast 1000 Flügen und einer Zuverlässigkeitsquote von 97,5 % ist die Sojus-Rakete heute die meistgeflogene orbitale Rakete der Welt.

Der Start der Progress ging viel zu schnell vorbei: Innerhalb von Sekunden konnten die Besucher nur noch eine helle sonnenähnliche, sich schnell entfernende Kugel am Nachthimmel erkennen. Ein paar Stunden später sollte die Progress auch schon an der ISS andocken.

Als ich wieder im Zug nach Kysylorda saß, um von dort wieder nach Almaty zurückzufliegen, stand ich noch unter den unvergesslichen Eindrücken des Raketenstarts. Eines ist sicher: ich war nicht zum letzten Mal hier!

Von Malina Weindl

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