Sobald die Sommerferien beginnen, zieht es Familie Asichanow aus Tschemolgan in die Berge. Seit 60 Jahren haben sie dort einen Bauernhof. Dieser soll auch die Zukunft der Söhne noch sichern
Ablaichan soll Tierarzt werden. Sein Vater scheint ganz gelassen, als er das sagt. Kein übertriebener Ehrgeiz in den Augen, kein „meinen Kindern soll es besser gehen“, das mitschwingt. Ablaichans Vater kann einen Tierarzt einfach gut gebrauchen. 1.000 Schafe, 200 Pferde und 50 Kühe nennt er sein eigen. Wird Ablaichan das Alter haben, in dem es Zeit für eine Karriere als Tierarzt ist, sollen es noch mal so viele Tiere sein. Wenn es nach Ablaichans Vater geht. Vorerst ist Ablaichan noch 12 Jahre alt. Und er selbst sagt nichts zu seiner Zukunft. Der Junge senkt die Augen, schweigt und hat beschlossen, dies auch den Rest des Tages zu tun. Neugierige Fragen sind ihm unangenehm.
Assema, neun Jahre alt, mit den gleichen Sommersprossen im Gesicht wie ihr Bruder, ist sich sicherer. „Ich will Ärztin werden“, sagt sie selbst. Und am liebsten möchte sie immer in den Bergen wohnen. Hier, wo sie gerade die Ferien verbringt. Hier, auf 2.000 Metern Höhe, zwischen den sattgrünen Ausläufern des Alatau, wo es schon keine Bäume mehr gibt und es sich anhört wie ein Platzregen, wenn die Pferde durch den kniehohen wilden Kohl über die Hügel galoppieren.
Den Sommer verbringt die ganze Familie von Ablaichan und Assema in den Bergen. Neben Vater Muhammed und Mutter Meiramchan gehört noch der anderthalbjährige Rolan dazu, das Nesthäkchen, und laut Meiramchan ganz sicher das letzte Kind. „Er wird die Landwirtschaft hier oben übernehmen“, sagt Vater Muhammed. Und, „er kommt nach seinem Vater“, sagt Meiramchan. Rolan indessen spielt mit den jungen Hunden, denen dereinst die Wacht über den Bergbauernhof zugedacht ist.
Dieser Hof ist seit knapp 60 Jahren Familiensitz der Asichanows. 1946 ließen sich die Eltern von Muhammed hier nieder, der Vater Kasache, die Mutter Uigurin. Zwölf Kinder wurden in den Bergen geboren, 20 Kilometer von Tschemolgan, dem nächsten Ort, entfernt. Muhammed ist der Jüngste, er ist jetzt 36 Jahre alt.
Mit seinem Bruder Nurlan betreibt er seit zwölf Jahren eine private Landwirtschaft. 120 Hektar gehören ihnen hier oben, sie bauen Kartoffeln an und leben vom Verkauf der Schafe, Kühe und Pferde. Die Brüder haben so viel Arbeit, dass sie Helfer einstellen müssen, für die Feldarbeit oder wenn die Schafe zu scheren sind. Muhammed plant, demnächst eine Jurte zu kaufen, eine gebrauchte, weil die billiger sind. Die alte Jurte der Familie wurde irgendwann entsorgt. Jetzt denkt er, wäre eine Jurte praktisch, um die Pferde und Schafe zehn Kilometer weiter in die Berge zu treiben, wo es mehr Futter gibt. Schließlich müssen die Hirten irgendwo schlafen. Er selbst will dann nicht mit hinaufziehen, aber Ablaichan wird dabei sein. Ablaichan, der wie sein Vater den ganzen Tag zu Pferd unterwegs ist, nach dem Vieh schaut, seinem Vater und dem Onkel zur Hand geht.
Früher haben Muhammed und Nurlan noch für den sowjetischen Kolchos in Tschemolgan gearbeitet. Jetzt sind beide überzeugt davon, dass es ihnen heute weitaus besser geht. „Wir arbeiten für uns selbst“, sagt Nurlan, der das ganze Jahr hier oben wohnt, dem die Frau weggelaufen ist, „in die Stadt“, wie er sagt, und dessen 21-jähriger Sohn nun in Almaty Wirtschaft studiert.
Muhammed dagegen wohnt nicht immer in den Bergen. Er pendelt, häufig zu Pferd, zwischen dem Bauernhof und dem Haus, das die Familie in Chemolgan besitzt. Da leben jetzt auch die Eltern von Muhammed, beide inzwischen Rentner. Und da wohnt die Familie, wenn nicht gerade Ferien sind.
Dann fühlt sich auch Meiramchan dem Leben näher, von dem sie einst träumte. Sie ist 31, und wenn sie lacht, erscheint eine vollends vergoldete Reihe von Schneidezähnen in ihrem Gesicht. Studieren wollte sie, absolvierte eine Paar Kurse für Buchhaltung, bis sie von Muhammed gestohlen wurde, wie sie unter aufblitzendem Gold erzählt. Ein bisschen zu früh sei ihr das gewesen, und eigentlich sei sie ein Stadtmensch, erklärt sie, doch in Frage stellt sie ihr jetziges Leben nicht. „Ich arbeite für meine Kinder, das ist mir das Wichtigste“, sagt Meiramchan und beruhigt die Kuh, die langsam ungeduldig wird, weil die Frau heute mehr Zeit als sonst zum Melken braucht.
Was meint sie, wird Ablaichan einmal studieren? Er sei ruhiger als die beiden anderen, sagt Meiramchan. „Er sieht schnell, wo welche Arbeit zu tun ist hier oben, bei den Schafen und Pferden, er fühlt sich wohl in den Bergen“. Und: „Er kommt mehr nach mir“.