Vom Gegeneinander über langsames Kennenlernen zum Füreinander – über lange Jahre beeinflusste Heinrich Schultz als Vorsitzender des dänischen Interessenverbandes SSF die Geschicke im deutsch-dänischen Grenzland. In seiner Position als Vizepräsident der Förderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) unterzeichnete er Mitte November in Almaty ein Memorandum über die Zusammenarbeit der Volksversammlung Kasachstans und der FUEV. Auf der zweitägigen Konferenz der Assoziation der gesellschaftlichen Vereinigungen der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“ und der Volksversammlung Kasachstans ging es neben wissenschaftlichen Vorträgen über Toleranz und Zivilgesellschaft auch ganz konkret um Möglichkeiten der humanitären Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kasachstan.

/Bild: Christine Karmann. ‚Heinrich Schultz (Mitte) unterzeichnet das Memorandum über die Zusammenarbeit der Volksversammlung Kasachstans mit der FUEV.’/

In Kasachstan isst Heinrich Schultz keinen Fisch. In seiner Heimatstadt Flensburg hat er die Ostsee direkt vor der Haustür. Fragt man den engagierten Interessensvertreter der dänischen Minderheit in Deutschland nach seinen größten Erfolgen, so sind es für ihn die „schwierigen historischen Schlachten“. Wie zum Beispiel der blutige Kampf im Deutsch-Dänischen Krieg bei Oeversee, wo 1864 die mit den Preußen verbündeten Österreicher das dänische Heer vernichtend schlugen.

„Jahrzehntelang nahmen nur Deutsche an dem Gedenkmarsch nach Oeversee teil. Als der Vorsitzende des Stammkomitees von 1864 e.V. vor 15 Jahren auf die Idee kam, den Tag gemeinsam mit den Dänen zu begehen, erteilte ihm der dänische Generalkonsul mit dem Ausspruch ,Dänen marschieren nicht´ eine Abfuhr“, erzählt Heinrich Schultz.

Unangepasste Eigenständigkeit

Auch seine Vereinskollegen wollten erst nicht, dass er als Vorstand des dänischen Interessensverbandes SSF an dem Gedenkmarsch teilnahm. So ging er in den ersten Jahren als Privatperson hin, jedoch nicht völlig inkognito. „Die wussten natürlich alle, wer ich war“, sagt er. Über die Jahre entwickelte sich eine Zusammenarbeit. Heute nehmen Deutsche und Dänen gemeinsam an dem Gedenkmarsch teil, singen deutsche und dänische Lieder und legen je einen Kranz am deutschen, dänischen und österreichischen Denkmal in Oeversee ab. Für Heinrich Schultz „eine richtige Sonnenstrahl-Geschichte“, aus der er gelernt hat, „dass man ruhig erzkonservativ seinen Standpunkt vertreten kann, solange man den Standpunkt des anderen respektiert.“

Als Vizepräsident der Förderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) arbeitet er daran, dass die „unangepasste Eigenständigkeit der Minderheiten erhalten bleibt.“ „Das Widerstandspotential der Minderheiten hat gelegentlich zu Verkrustungen geführt, was den Minderheiten insgesamt den Ruf eintrug, konservativ zu sein, aber es ist darin auch eine Stärke in sich, ein Einstehen für das, was man für wichtig und gut hält, auch wenn es einem zunächst schadet“, stellt Heinrich Schultz klar.

Humanitäre Zusammenarbeit

Politikprofessorin Shirin Akiner.

Mitte November unterzeichnete Heinrich Schultz ein Memorandum über die Zusammenarbeit der Volksversammlung Kasachstans mit der FUEV. Für den Vizepräsidenten ist das in „blumigen Worten“ geschriebene Dokument ein Ausgangspunkt, der viel Raum lässt, gemeinsame Projekte im Bereich Bildung, Kultur, Kommunikation und Schutz von Minderheiten gemeinsam auszuarbeiten und umzusetzen. „Über die juristische Basis hinaus ist es notwendig, den Dialog fortzusetzen und sich regelmäßig bei formellen und informellen Treffen über konkrete Maßnahmen auszutauschen“, kommentierte Shirin Akiner, Politikprofessorin aus London, das Memorandum.

Welche konkreten Möglichkeiten der humanitären Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kasachstan möglich sind, stellten Heike Richter als Vertreterin der Euro-Schulen in Bitterfeld-Wolfen und die Unternehmerin des Jahres in Sachsen-Anhalt Cornelia Heinrich vor. Die Euro-Schulen bieten als privater Bildungsträger Ausbildungen in sozialen Berufen wie Alten- und Krankenpflege an. Dieses Know-how wurde in verschiedenen Projekten (Schulungen von Multiplikatoren aus Karaganda, Druck von Lehrmaterialien, Einrichtung eines Pflegekabinetts im Deutschen Haus Almaty) bereits weitergegeben und kann nach Bedarf auf weitere Regionen in Kasachstan mit Partnern wie zum Beispiel Cornelia Heinrich ausgeweitet werden.

Die Unternehmerin sichert die verschiedenen Formen der häuslichen Kranken- und Seniorenpflege ab, von den Fliegenden Schwestern, die von Haus zu Haus fahren und Pflegeleistungen anbieten bis hin zur Wohngemeinschaft, in der die pflegebedürftigen Mieter Tag und Nacht betreut werden. Viele Anregungen für soziale Dienstleistungen, die auch zur Festigung der Toleranz und Entwicklung der Zivilgesellschaft in Kasachstan führen können.

Grenzlose Reisefreiheit

Politiker Göran Lindblad.

Dass es dabei nicht zwangsläufig um Integration gehen muss, machte Göran Lindblad, ehemaliger Vorsitzender des Komitees der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) in seiner Rede deutlich. Der schwedische Politiker spricht ungern von Integration. „Da müsste man erstmal klären, wer, von wo, in was integriert werden soll.“ Stattdessen bevorzugt er den Ausdruck „Empowerment“, den er so versteht, dass die „Menschen Teil der Gesellschaft werden sollen“. Seine Vision einer grenzlosen Reisefreiheit scheint noch utopisch, macht es aber um so lohnenswerter, die Politiker dazu zu bringen, „die Sprachen- und Kulturvielfalt nicht als Instrument der Macht zu missbrauchen, sondern als unantastbaren Bestandteil der persönlichen und kollektiven Identität der Menschen zu respektieren“, wie es Heinrich Schultz in seiner Rede forderte.

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Förderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV)

Die FUEV ist mit 86 Mitgliedsorganisationen in 32 europäischen Ländern der größte Dachverband der autochthonen (einheimischen), nationalen Minderheiten in Europa. Sie wurde 1949 in Versailles gegründet. In den 46 zu Europa gehörenden Staaten existieren nach Angaben der FUEV über 300 Minderheiten mit rund 100 Millionen Angehörigen. Dies bedeutet, dass sich circa jeder siebte Europäer zu einer autochthonen, nationalen Minderheit bekennt. Die Assoziation der gesellschaftlichen Vereinigungen der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“ ist seit 1993 Mitglied der FUEV und in der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten aktiv.

Christine Karmann

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