Unabhängige Kunst hat in Kasachstan einen schweren Stand. Erbossyn Meldibekow, der sich selbst als „zentralasiatischen Konzeptualisten“ bezeichnet und in Europa bereits erste Erfolge feiert, kann davon ein Lied singen

Erbossyn Meldibekow, „Pastan 3“, 2002, Fotografie

Unabhängige Kunst hat in Kasachstan einen schweren Stand. Erbossyn Meldibekow, der sich selbst als „zentralasiatischen Konzeptualisten“ bezeichnet und in Europa bereits erste Erfolge feiert, kann davon ein Lied singen

„Wer Kunst macht“, schrieb Sergei Maslow in seinem Manifest „Die Toten kommen“, „gehört in eine der drei folgenden Kategorien: a) Vampire, b) Zombies, c) gewöhnliche Menschen“. Maslow, selbst Künstler, hätte sich vermutlich der ersten Kategorie zugeordnet. Denn Vampire sind ständig „energetisch berauscht“, heißt es in seinem Manifest, sogar „lebendiger als alles Lebendige.“ Zombies dagegen sind Untote, kopierende Künstler, die auf den Zug der zeitgenössischen Kunst gesprungen sind und nun viel Geld damit machen.

Der vor fünf Jahren gestorbene Maslow gehörte zu den Hauptfiguren der unabhängigen Kunstszene in Kasachstan. Die Kommerzialisierung dieser Szene ab Mitte der 90er Jahre betrachtete er mit kritischen Augen. Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sahen die Dinge zunächst auch noch ganz anders aus. Während man nie sicher sein konnte, ob es im Laden um die Ecke auch morgen noch Brot und Käse geben würde, machten plötzlich kaum bekannte Kunstformen die Runde. Es gab wilde Happenings und Performances, und die ersten klassisch ausgebildeten Künstler entdeckten die Videokunst als neue Gestaltungsform für sich. Das war gestern, heute dominiert die Beschaulichkeit in den Galerien von Almaty: dekorative Kunst, abstrakt-nomadische Bezüge und das, was man mit gutem Willen „Eso-Art“ nennen könnte.

Dass die unkonventionelleren Ansätze auch ohne staatliche Förderung nicht versandeten, ist vor allem ausländischen Organisationen wie zum Beispiel dem Zentrum für zeitgenössische Kunst von der Soros Stiftung zu verdanken. Koordinatorin ist Valeria Ibraewa, eine Kunstkritikerin, die seit Jahren die Nationenbildungsprozesse in Kasachstans Kultur untersucht. „Zu Sowjetzeiten war es die Bildung einer virtuellen glücklichen Welt – heute ist es die Bildung eines glücklichen goldenen Jahrhunderts der Vergangenheit“, beschreibt Ibraewa die Herausbildung einer „neuen“, archaisierenden Bildersprache in Kasachstan. Zum Beweis der Kontinuität zwischen damals und heute führt sie das 1996 errichtete Unabhängigkeitsdenkmal auf dem Platz der Republik von Almaty an. „Phallus der Unabhängigkeit“ nennt Ibraewa die 28 Meter hohe Säule mit dem Schneeleoparden als Spitze und dem Goldenen Krieger aus der sakischen, präkasachischen Kultur auch.

Umgeben wird das Monument von einem Rondell, das panoramatisch die Geschichte Kasachstans erzählt – von den nomadischen Anfängen der Kasachen über den Krieg der Sowjetunion gegen den Faschismus bis zum Präsidenten Nursultan Nasarbajew, dessen Handabdruck am Fuße des Denkmals in einem kupfernen, aufgeschlagenen Buch zu sehen ist. Es ist das ikonografische Zentrum des Landes, der Punkt, der regelmäßig von frisch vermählten Hochzeitspaaren aufgesucht wird, um die Hand der Braut in die des „Vaters der Nation“ zu legen – und den rituellen Akt für das künftige Familienalbum gleich mehrfach festzuhalten. Die Engführung von Bilderproduktion und nationaler Symbolik ist Programm. So soll der auf zwei Jahre angelegte staatliche Kulturfonds „Kulturelles Erbe“ auch explizit kasachischen Kulturleistungen zugute kommen – neuen Denkmälern, traditionell bildenden Künstlern und Literaten sowie ethnischen Kasachen, die im nahen Ausland die kasachische Sprache lebendig halten.

Aber auch avanciertere Projekte wie „Tamyr“ werden durch den Fonds unterstützt. Seit Ende des Informationsvakuums in Kasachstan holt die vierteljährlich erscheinende Intellektuellenzeitschrift die philosophische Postmoderne im Schnelldurchgang nach – und schließt sie mit kasachischen Traditionen kurz. Essays wie „Die Stadt und die Steppe“ oder „Steppen-Wissen“ sind genau gezimmerte nomadologische Strategiepapiere, die der Selbstvergewisserung gegenüber dem Westen und Eurasien dienen. Chefredakteur Auekschan Kodar weiß sich dabei genau auf der Höhe der Zeit. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung habe sie nun endlich begonnen, die „Epoche der kasachischen Kultur“, sagt er. Allerdings hapere es noch an der nationalen Repräsentation: „Wir müssen uns besser in die Kontexte einschreiben.“ Dass er dabei wie ein moderner Imageberater klingt, der die Regierung auf der Suche nach dem richtigen Branding unterstützt, ist kein Zufall. Keine Sache scheint derzeit so wichtig wie das Bekanntwerden Kasachstans in der westlichen Welt – und Tamyr als das den postsowjetischen Diskurs bestimmende Blatt leistet dabei auf der Ebene des Begriffs einen durchaus nützlichen Beitrag.

Währenddessen weiß Ibraewa nicht, wie sie die nächste geplante Ausstellung eigentlich finanzieren soll. Auch die Soros Stiftung habe den Gürtel enger geschnallt, sagt sie. „In einem halben Jahr kann ich hier wahrscheinlich schließen“. Wo dann das Videoarchiv untergebracht werden soll, wisse sie nicht. „Wir suchen noch nach einem sicheren Ort.“ Für die unabhängige Kunst sieht sie in Kasachstan kaum eine Zukunft. Es sei kein künstlerischer Nachwuchs in Sicht. „Die Jungen, Talentierten gehen in die Werbung“. Dabei erfreuen sich zentralasiatische Kulturexporte in den europäischen Kunst- und Modemetroplen immer größerer Beliebtheit. Auf der letzten Biennale in Venedig waren erstmals Künstler aus Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan vertreten. So auch der kasachische Künstler Erbossyn Meldibekow, den Ibraewa zu den hoffungsvollsten Vertretern der unabhängigen Kunst ihres Landes zählt. Ein Unbekannter in der internationalen Szene ist Meldibekow längst nicht mehr. Er hat an mehreren Berliner Ausstellungen teilgenommen, und eine wichtige italienische Enzyklopädie der zeitgenössischen Kunst listet ihn inzwischen mit Abbildungen seiner Werke auf.

Kaufen kann sich Meldibekow von seiner wachsenden Bekanntheit in der internationalen Kunst-Community jedoch in aller Regel nichts. Er lebt mit Frau und Kind in einer kleinen Einzimmerwohnung in Almaty und arbeitet nebenher als Wachschutz. Als Lehrer dürfe er nicht arbeiten, sagt er, trotz seines erfolgreich beendeten Studiums an der Kunstakademie. „Ich gelte als Vergifter der Jugend“. Tatsächlich kann man sich den 41-Jährigen nur schwer hinter dem Pult eines Klassenraums vorstellen. Vielleicht liegt es an der sich überschlagenden, immer wieder nach Worten suchenden Stimme, mit der er dem Besucher einen Ausschnitt aus seinem Werk präsentiert. Oder an der Geste, die er zur Beschreibung der Verhältnisse in Zentralasien immer wieder ausführt: zwei Hände, die eine Lineallänge weit auseinander liegen und senkrecht wie an einem Seil entlang eine langsame, feste Drehbewegung machen – als wollten sie jemanden erwürgen.

Die Omnipräsenz der Gewalt ist das grundlegende Thema in den Arbeiten Meldibekows.  „Pastan“, jenes imaginäre, von Meldibekow geschaffene Land, in dem statt Früchte Granaten serviert werden und in dem Drangsalierungen und Folter an der Tagesordnung sind, bringt in künstlerischer Übertragung Prozesse von Militarisierung bis zu Islamisierung zusammen. „Zentralasiatischer Konzeptualismus“ nennt Meldibekow das. Neben einer Videoperformance, in der sich der Künstler stundenlang ohrfeigen und in allen zentralasiatischen Sprachen wüst beschimpfen lässt, besitzt die „Pastan“-Serie auch einen dekorativeren Teil. Er besteht aus Tellern, die zunächst ganz normal alter heimischer Produktion entsprungen sind. Ihre Ränder sind ornamentverziert, in der Mitte allerdings zeigen sie nicht mit den Ornamenten in Einklang zu bringende Bilder: einen blinzelnden Afghanen, der sich aus einer amerikanischen Flagge einen Turban gefertigt hat oder ein in der Wüste knieendes Kamel, dessen Rücken schwerstes, losfeuerndes Flakgeschütz trägt.

Meldibekows Methode ist die der Gegenüberstellung, des Kollidierens getrennter Bildwelten – der Folklore, des Militärischen oder Religiösen –, und dabei wendet er sich besonders der kasachischen Mythenwelt zu. Der Adler als traditionell männlich konnotiertes Steppentier erlebt unter des Künstlers Händen eine skurrille Travestie. Und auch sonst bevölkern merkwürdige Tierkreationen den auf Synthesierung angelegten Meldibekowschen Werkkosmos. Eine Flussfischhälfte ist mit einem Ozeanfisch zusammengenäht. Und der Wolf ist plötzlich nur noch zur einen Hälfte Wolf, zur anderen Schaf. „Ich drehe alles links herum, verbinde das Unverbindbare“, beschreibt Meldibekow mit fuchtelnden Händen die Arbeit an der Bricolage, das Umdrehen und Gegen-den-Strich-bürsten von „Schamanisierung, Archaiisierung und der neuen Mythologie, dass alles mit allem verbunden ist“.

Manchmal ist das Schockhafte dieser Dekonstruktionen auch einfach lustig anzusehen. „Denkmal des Helden“ zum Beispiel nennt Meldibekow seinen eigenen persönlichen Beitrag zum allseits wiederbelebten kasachischen Denkmals- und Heldenkult. Er besteht aus einem monumentalen Sockel, auf dem fünf Pferdefüße montiert sind, die bis zur Ferse reichen. Dann kommt nichts mehr. Manchmal, sagt Meldibekow, hat es auch was Gutes, in einem Land wie Kasachstan Künstler zu sein. „Ich kann hier arbeiten, weil es die meisten sowieso nicht verstehen.“

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