Wie sehen Migrations- und Integrationsprozesse in Deutschland und Kasachstan aus? Was können beide Länder voneinander lernen? Zu diesen Fragestellungen fand am 14. September eine Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der Versammlung des Volkes Kasachstans an der Nasarbajew-Universität in Astana statt.

Der Konferenzsaal der Nasarbajew-Universität ist gut gefüllt an diesem Freitagvormittag. Es sind Wissenschaftler aus Deutschland und Kasachstan, Vertreter von Minderheiten in Kasachstan und Politiker gekommen. Am 14. September veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) veranstaltet eine Konferenz zum Thema Migrationspolitik in Deutschland und Kasachstan.

Noch vor Beginn der eigentlichen Veranstaltung unterzeichnete die Versammlung des Volkes Kasachstans ein Memorandum mit der Nasarbajew-Universität. Sie soll der Grundstein für die Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen sein. „Migration ist momentan ein heißes Thema in Deutschland und Kasachstan“, sagte Universitätspräsident Shigeo Katsu. In Kasachstan habe es bisher weniger im Vordergrund gestanden. Leonid Prokopenko, stellvertretender Vorsitzender der Volksversammlung, betonte, dass es in Kasachstan das Modell der öffentlichen Zustimmung und der nationalen Einheit gebe. Er wies darauf hin, dass es verschiedene Arten von Integration und Multikulturalismus gebe. Kasachstan habe sein eigenes System einer polyethnischen Gesellschaft entwickelt. „Wir haben das Konzept der nationalen Minderheit abgelehnt. Unsere Verfassung beginnt mit den Worten ‚Wir sind das Volk Kasachstans‘.“ Alle Minderheiten hätten sich in Kasachstan für Integration und gegen Separation entschieden, so Prokopenko. Er unterstrich die Bedeutung der Volksversammlung als Ort, wo die Interessen aller ethnischen Gruppen ihren Ausdruck fänden.

Migration als Chance

KAS-Leiter Thomas Helm sagte in seiner Begrüßungsrede, dass die Bevölkerung der Erde stetig wachse. „In zehn Jahren werden wir neun Millionen Menschen sein.“ Mit der wachsenden Bevölkerungsanzahl werden auch die Migrationsprozesse zunehmen. „Es ist Zeit, das Thema Migration intensiver zu diskutieren.“ Helm verwies auch darauf, dass die Haushaltsgespräche, die vergangene Woche in Berlin geführt wurden, im Zeichen der Migrationspolitik und der Vorfälle in Chemnitz und Köthen standen. „Bei Migration geht es aber nicht nur um die Probleme, sondern auch um die Chancen, schließlich können alle profitieren.“

Eine der größten ethnischen Gruppen in Kasachstan sind die noch etwa 180.000 Deutschen. Mit dem Deutschen Theater, der Deutschen Allgemeinen Zeitung und der Förderung der deutschen Sprache stellen sie eine aktive Minderheit dar, so Prokopenko. Dabei wurde auf der Konferenz allerdings kaum über die Problemen des Deutschen Theaters, der Minderheitenmedien oder der Verfechter der deutschen Sprache diskutiert.

Der Vorsitzende der Vereinigung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“, Albert Rau, ging vor allem auf die Emigration der Deutschen aus Kasachstan ein. Deren Integration hätte in den 90er Jahren problemlos geklappt. Sie hätten schnell Jobs gefunden, da sie bereit gewesen seien, jede Arbeit anzunehmen. Die Spätaussiedler, die er kenne, schwebten zudem in Nostalgie, so Rau. „Kasachstandeutsche verlieren in Deutschland nie ein schlechtes Wort über Kasachstan.“ Mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Mitgliedschaft Kasachstans in der Eurasischen Wirtschaftsunion forderte er, dass die Staatsbürgerschaft auf dem gemeinsamen Arbeitsmarkt egal sein sollte und die Bürokratie daher verschlankt werden sollte, ähnlich wie in der Europäischen Union. „Russland braucht die Fachkräfte aus Kasachstan.“ Außerdem könne Kasachstan von Deutschland lernen, wie man die Diaspora unterstützt.

Damit sprach er ein wichtiges Thema der hiesigen Migrationspolitik an: Arbeitsmigration. Während nicht wenige Kasachstaner im Ausland, vor allem in Russland, beschäftigt sind, leben in Kasachstan rund eine Million Migranten aus den anderen zentralasiatischen Staaten, die hier meist illegal ihr Geld verdienen.

Vertriebene, Übersiedler, Gastarbeiter, Flüchtlinge, Aussiedler

Der deutsche Migrationsexperte Thomas Faist von der Universität Bielefeld betonte, dass Migration Länder miteinander vernetze. „Migration funktioniert nicht nur in eine Richtung“, sagte er. Wissenschaftlich werde zwischen ethnischen Gruppen, die in Deutschland historisch verwurzelt sind und deshalb einen Minderheitenstatus haben, und Migranten unterschieden. Letztere verlassen ihr Ursprungsland meist aus politischen, wirtschaftlichen oder humanitären Gründen. Auch Expats, zum Beispiel Deutsche, die in Kasachstan arbeiten, oder Austauschstudenten sind als eine Art Migranten anzusehen.

Laut Faist lassen sich in Deutschland aus der Geschichte heraus fünf Migrationsgruppen identifizieren. Kamen infolge des Zweiten Weltkrieges fast zwölf Millionen Vertriebene nach Deutschland, folgten bald nach der Teilung des Landes die sogenannten Übersiedler aus der DDR. Mit dem wirtschaftlichen Wachstum suchte die junge Bundesrepublik händeringend nach Arbeitskräften und schloss Anwerbeabkommen mit Italien Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Südkorea, Portugal, Tunesien und Jugoslawien ab. Die sogenannten Gastarbeiter unterstützen Deutschland ab Mitte der 50er Jahre. In den 80er Jahren und insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kamen dann millionenfach Aussiedler aus Mittel- und Osteuropa. Seit 2015 ist die Migration vor allem durch die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Subsahara-Afrika geprägt. Heute haben 20 Prozent der Deutschen einen Migrationshintergrund. „Die Demographie ändert sich von einer homogenen zu einer sehr heterogenen Gesellschaft“, so Faist.

Der Soziologe betonte, dass sich Deutschland bei der Diskussion um ein Einwanderungsgesetz nicht nur auf Fachkräfte beschränken dürfe. In Deutschland und der Europäischen Union seien die Regularien für Fachkräfte bereits sehr gut entwickelt, unter anderem durch die „Blue Card“. Woran es fehle, sind hingegen Ausbildungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Deutschland brauche auch weniger gut ausgebildete Menschen, die einfache und körperlich schwere Aufgaben erledigen, die Deutsche kaum noch machen wollen. „Dabei geht es nicht um einen Wettbewerb zwischen Ausländern und Deutschen“, so Faist. Viele Ausländer landeten nämlich erst gar nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Von einer homogenen zu einer heterogenen Gesellschaft

Aigul Sadwokasowa, Leiterin des Zentrums für Interethische und Interkonfessionelle Studien in der zentralasiatischen Region, betonte, dass es in Zentralasien aufgrund der Seidenstraße schon immer viel Migration gegeben habe. „Aber erst in der Sowjetunion entwickelte sich Kasachstan von einer homogenen zu einer polyethnischen Gesellschaft.“ Die Gründe hierfür liegen einerseits in der Flucht von Kasachen vor den Bolschewiki ins Ausland, aber auch der Holodomor Anfang 1932 bis 1933, bei dem in Kasachstan etwa 1,5 Millionen Menschen starben. Ab der zweiten Hälfte der 30er Jahre wurden immer mehr Menschen nach Kasachstan zwangsumgesiedelt. „44 Prozent der Deportierten starben gleich am Anfang“, sagte sie.

Die Kasachen, die einst flohen, siedelten sich vor allem in der Mongolei, China und der Türkei an. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verblieben viele Kasachen auch im postsowjetischen Ausland wie zum Beispiel Usbekistan. Die Regierung Kasachstans hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Kasachen zurück nach Kasachstan zu holen, um dem Bevölkerungsschwund der 90er Jahre entgegenzuwirken. Rund eine Million Rückkehrer (Oralmanen) sind bisher in ihre historische Heimat gekommen, ein Großteil (61 Prozent) aus Usbekistan. Vielerorts haben sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Diejenigen, die nicht in der Sowjetunion aufgewachsen sind, sprechen häufig kein Russisch und haben es daher schwerer, eine gut bezahlte Arbeit zu finden.

Temporäre Migranten

Der Soziologe und ehemalige Präsident der Deutsch-Kasachischen Universität, Markus Kaiser, verglich die Situation von Migranten in Deutschland und Kasachstan in vielen Bereichen. Während die EU zum Beispiel „Blue Cards“ für Fachkräfte ausstellt, lädt Kasachstan ausländische Topmanager zum Arbeiten ein. Im universitären Bereich öffne sich Kasachstan langsam für Studenten aus dem Ausland, indem ähnlich wie in Deutschland immer mehr englischsprachige Studiengänge angeboten werden. Auch gebe es in beiden Ländern Gastarbeiter. Diese leiden in Kasachstan jedoch unter sehr schlechten Bedingungen. So seien Fälle von Bauarbeitern bekannt, die auf der jeweiligen Baustelle leben müssten und diese nicht verlassen dürften. Ebenso wie in Deutschland kommen auch Flüchtlinge nach Kasachstan, allerdings in einem sehr viel geringeren Umfang. Flüchtlinge werden in Kasachstan nicht als solche registriert und erhalten somit keinen Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung. Anders als in Deutschland gebe es hierzulande außerdem noch keine Sprach- oder Integrationskurse für Migranten. „Migranten müssen akzeptiert werden und brauchen Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt und zu medizinischer Versorgung. Deutschland und Kasachstan müssen sich auf eine zunehmende Migration einstellen und an deren Integration arbeiten“, mahnte Kaiser.

Kasachstan habe es vor allem mit „temporären Migranten“ zu tun und weniger mit Menschen, die dauerhaft in Kasachstan sesshaft werden wollen, erklärte hingegen Caress Schenk, Dozentin an der Nasarbajew-Universität. Das größte Problem für die Wissenschaftler ist, verlässliche Daten zu finden, da viele der Migranten illegal im Land seien. Zwar gibt es ein Quotensystem in Kasachstan, welches sich allerdings nur auf Fachkräfte beschränkt. Viele Migranten, vor allem aus Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan arbeiten aber auf Basaren oder auf dem Bau. Diese sind zwar wichtig für die Wirtschaft in Kasachstan, werden aber nicht anerkannt und arbeiten meistens schwarz.

Integration vs. Assimilation

Die Konferenzteilnehmer waren sich einig, dass sich sowohl Deutschland als auch Kasachstan nicht nur um Fachkräfte, sondern auch um einfachere Arbeiter bemühen und Schranken für deren Zuwanderung abbauen müssen. In Deutschland hat vor allem die Flüchtlingskrise dazu beigetragen, dass vermehrt Sprach- und Integrationskurse stattfinden. Hier muss Kasachstan noch nachziehen. Die Integration von Minderheiten scheint in beiden Ländern erfolgreich zu sein. Es ist jedoch wichtig die Interessen aller ethnischen Gruppen zu berücksichtigen. Sonst bleibt die Frage, wo Integration aufhört und Assimilation anfängt, offen.

Othmara Glas

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