Kasachstan war einst Teil des riesigen Sowjetreiches, erst von Lenin, später von Stalin regiert. Ihre Spuren findet man noch heute. Und trotz Entstalinisierung sprießen derzeit neue Denkmäler des Diktators aus dem Boden – so wie kürzlich in Almaty.

Beinahe Skandalöses geschah am frühen Morgen des 6. Dezember, als die Bewohner des Stadtteils Turksib in Almaty auf dem Vorplatz des ehemaligen Kulturpalastes „Koloss“ eine Statue von Josef Stalin fanden. Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, wer in einer Nacht-und-Nebel-Aktion dem sowjetischen Gewaltherrscher abermals ein Denkmal gesetzt hatte.

Erst gegen Mittag desselben Tages brachte das Akimat von Turksib Licht ins Dunkle. Dieser Stalin aus Pappe ist Kulisse bei den Dreharbeiten zum Film „Evakuierung“ des Regisseurs Farhad Scharipow, der die Ereignisse in Alma-Ata im Kriegsjahr 1941 behandelt. Schon am nächsten Tag sollte von dem Styropor-General nichts mehr zu sehen sein.

Wie ein Land seine eigene Vergangenheit reflektiert, ist eine hoch spannende Angelegenheit, die ihren deutlichsten Ausdruck im Umgang mit den historischen Monumenten findet. Die allermeisten Stalin-Denkmäler verschwanden mit der staatlich verordneten Entstalinisierung in der Sowjetunion nach 1956. Das größte bekannte Stalin-Monument war übrigens bis 1962 in Prag zu finden. Einzig in Georgien fand eine Entstalinisierung nie richtig statt, wo Iosseb Dschughaschwili bis heute großes Ansehen genießt. Die bekannteste Statue von Stalin wird wohl jene in seinem Geburtsort Gori sein, doch auch die wanderte vor einigen Jahren vom Zentralplatz auf den Vorplatz des dortigen Stalinmuseums.

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Vor diesem Hintergrund erscheint der in letzter Zeit neu aufkeimende Neo-Stalinismus in Russland umso merkwürdiger. Abseits der Öffentlichkeit werden dort tatsächlich neue Stalin-Büsten und Statuen aufgestellt und eingeweiht. Hier ist die Verwunderung hingegen groß, wenn Stalin wieder plötzlich und ungefragt auftaucht. Zum Glück hatte sich der Sachverhalt in Almaty schnell aufgeklärt. In Zentralasien gibt es heute vermutlich kein einziges Stalin-Denkmal mehr, welches an seinem öffentlichen Originalplatz verblieb.

Was den Genossen Lenin angeht, mag sein, dass wir auch seine Persönlichkeit bis heute viel zu unreflektiert wahrnehmen. Fakt ist, Lenin gehört bis heute öffentlich zum Stadtbild vieler postsowjetischer Städte. Lediglich das Baltikum hat die steinernen Lenins soweit zurückgedrängt, dass nur noch ein einziger übrigblieb. Der fristet sein trauriges Dasein in einer unscheinbaren Ecke der Burg Narwa, mit Blick in Richtung der russischen Grenze auf der anderen Flussseite.

Es ist wohl eine Mischung aus neuer Reiselust, Internethype und dem Reiz einer gewissen nostalgischen Morbidität, aber die Welt nach den verbliebenen Lenins zu bereisen, ist ein wahrer Trend. Und dabei gibt es wirklich die ein oder andere Kuriosität zu entdecken. Auch in Deutschland lebt Lenin noch, meistens auf dem Gelände ehemaliger russischer Kasernen in Ostdeutschland. Der größte Lenin-Kopf der Welt findet sich im burjatischen Ulan-Ude, er soll asiatische Gesichtszüge tragen. Der nördlichste Lenin steht in  russischen Bergbausiedlung Barenzburg auf der norwegischen Insel Spitzbergen, der südlichste wurde 1958 von sowjetischen Polarforschern zum Südpol in die Antarktis geschafft.

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Den Lenins der Welt hinterherzujagen ist also ein wahres Abenteuer für Extremreisende und Verrückte. In Almaty existieren offiziell noch zwei bekannte Lenin-Statuen, eine nahe des Kinokomplexes Sary-Arka, die andere unweit vom Bahnhof Almaty-1 in einem kleinen Park.

Aber es gibt selbst heute noch weitgehend unbekannte Wiederentdeckungen. Erst Ende September dieses Jahres wurde ein jahrzehntelang verhülltes und verstecktes, riesiges Mosaik Lenins aus dem Jahr 1984 in einem Konferenzsaal der Akademie der Wissenschaften im Beisein des Künstlers Wladimir Twerdochlebow enthüllt. Es ist das einzige in Kasachstan existierende „Florentiner Mosaik“, ein sogenanntes „Pietra Dura“: ein Mosaik aus harten Steinsorten und daher besonders widerstandsfähig und strahlend in den Farben. Bislang ist dieses beeindruckende künstlerische Werk noch nicht öffentlich zu besichtigen, aber die Akademie der Wissenschaften denkt über Führungen für Interessierte nach. Derweil gibt es aber weltweit noch unzählige andere Statuen und Überbleibsel von Lenin und dem Sozialismus zu entdecken. Der Wind der Geschichte weht unaufhörlich.

Philipp Dippl

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