Immer mehr Männer gehen lieber zum Barber als zum Friseur. Auch in Kasachstan boomt das Geschäft mit den scharfen Klingen seit einigen Jahren. Ein kasachstandeutscher Kleinunternehmer hat sich seinen Traum erfüllt und einen eigenen Salon in Almaty eröffnet. Nun kämpft er mit den Folgen von Corona.

Die Coronakrise legt in vielen Städten weltweit das öffentliche Leben lahm. Auch in Almaty ist das Straßenbild geprägt von verwaisten Bürgersteigen, leeren Parks und geschlossenen Geschäften. Kleine Unternehmer und ihre Mitarbeiter leiden besonders darunter: Sie können ihre Waren und Dienstleistungen über Wochen nicht anbieten und leben im Zustand ständiger Ungewissheit über ihre Zukunft.

Einer, der das momentan am eigenen Leib zu spüren bekommt, ist Fjodor Klaus. Der 26-Jährige betreibt einen Barbersalon im nördlichen Teil des Medeu-Bezirks in Almaty, nicht weit entfernt vom Park der 28 Panfilowzew und dem Grünen Basar entfernt. Mit seiner Undercut-Frisur, dem akkurat gestutzten Uniformbart und seinen Tattoos am Unterarm entspricht Klaus dem Bild, das man mit Vertretern seiner Zunft verbindet. Normalerweise wuselt der Unternehmer sieben Tage die Woche im Empfangsbereich seines Salons umher, kümmert sich um Geschäftliches, begrüßt Stammkunden, scherzt mit Mitarbeitern. Doch seit in Kasachstan der Ausnahmezustand herrscht, ist nichts mehr normal.

„Weil wir zu den Geschäften gehören, wo viele Menschen ein– und ausgehen und sich körperlich nah sind, sollten wir gleich zu Beginn der Quarantäne schließen“, sagt Klaus. Seine Mitarbeiter und er nehmen seitdem Urlaub. Die 42.500 Tenge, die der Staat jedem von ihnen zur Überbrückung zahlen will, hälfen zwar fürs Erste, so der Barber, „aber man darf nicht vergessen, dass das umgerechnet weniger als hundert Euro zum Leben sind“. Klaus spricht ruhig, schildert seine Situation ohne Groll. Und doch lässt sich aus seinen Worten erahnen, welchen Schaden der Corona-Ausbruch für ihn und sein Geschäft bedeutet. „Wir waren mit unserer Arbeit gerade in einem richtig guten Schwung, der nun unterbrochen wird. Sobald die Quarantäne aufgehoben wird, beginnen wir grob gesagt wieder von Null.“

Barbershop statt Dönerbude

Klaus, dessen Urgroßeltern einst als Schwarzmeerdeutsche nach Kasachstan kamen, hat Erfahrung damit, von Null zu beginnen. Der gebürtige Almatiner absolvierte ein Studium zum Personalmanager, jobbte nebenbei und danach in Bars und Restaurants, bis er irgendwann selbst der Verantwortliche für alle Barleute und Kellner eines Restaurants war. Erfüllung brachte ihm das jedoch nicht. Also beschloss er, etwas völlig anderes zu machen: Haare schneiden. Klaus schulte um, belegte Kurse, sammelte erste Erfahrungen im neuen Job, und spann nebenbei Pläne für sein eigenes Business.

„Es gab da unterschiedliche Ideen, einige davon hatten nicht mal was mit Haare schneiden zu tun“, verrät Klaus. Etwa einen Dönerladen, wie man sie in Deutschland kennt. „In Kasachstan können sie keinen echten Döner machen“, sagt er lachend. Doch die Idee verwarf er schnell – zu ungewisse Aussichten. Schließlich waren es seine Eltern, die ihm ins Gewissen redeten. „Warum machst du keinen Salon auf, du kannst doch schneiden?!“, habe seine Mutter irgendwann gefragt. Und kurz darauf, im November 2018, folgte die Stunde Null des „Barbershop Klaus“.

Aller Anfang ist schwer

Trotz Unterstützung durch die Eltern, die bei der Renovierung des neuen Geschäfts kräftig mit anpackten, war der Anfang alles andere als leicht. Ein Problem sei das Misstrauen, das die Leute einem zunächst entgegenbrächten. „Kannst du wirklich schneiden?“, „Sicher, dass du meine Frisur nicht verdirbst?“, waren Fragen, die der Barber häufig gestellt bekam. Problem Nummer zwei: fähige Leute zu finden, die ihr Handwerk verstehen – und auch in schlechten Zeiten bei der Fahne bleiben. Klaus‘ erster Mitarbeiter, „ein 17-jähriger Bursche mit Talent“, strich die Segel, als die anfängliche Kundenflaute nach fünf Monaten noch kein Ende genommen hatte.

Dann lernte Fjodor Klaus Dima kennen – einen Kunden, der selbst in einem Salon arbeitete, und sich in der Zeit mit seinem Partner überworfen hatte. Dima bot Klaus eine Zusammenarbeit an, und als der einwilligte, brachte er gleich sein ganzes Team mit. Seitdem ging es aufwärts. Mit dem neuen Team kam nicht nur eine positive Atmosphäre, sondern auch neue Kundschaft. Und die wuchs mit der Zeit von allein. „Wir ziehen Kunden zwar auch mit Instagram an, wo sie sehen können, wie wir schneiden“, sagt Klaus. „Das Wichtigste ist aber die Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Und auch das Team wuchs: Aktuell arbeiten neben dem Chef fünf Barber und eine Empfangsdame im „Barbershop Klaus“.

Barber-Boom in Kasachstan

Mit seinem Salon ist Fjodor Klaus am Puls der Zeit. Barbershops erleben in Kasachstan seit zwei-drei Jahren einen regelrechten Boom. Als Pionier des Kultgewerbes im Land gilt Tair Marasulow mit seinem Barbershop „TM“ in Almaty, der sein Handwerk in Russland und Italien lernte. Dass es seit dem ersten Barbershop 2012 bis zum Beginn des Aufschwungs rund fünf Jahre dauerte, führt Fjodor Klaus auf die anfängliche Skepsis der Kasachen gegenüber dem Trend zurück. „Das Schneiden mit einer speziellen, extrascharfen Klinge, Gesichtsmasken und -peelings – an so etwas mussten sich die Leute erst einmal gewöhnen.“ Inzwischen sei das umgekehrt, erfreuten sich Barbershops bei der männlichen Kundschaft größerer Beliebtheit als herkömmliche Friseursalons. Die Gäste schätzten auch den besonderen Service und eine familiäre Atmosphäre.

Dass in den letzten Jahren neue Salons in den größeren Städten wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, hat aber nicht nur gute Seiten. Einige Hobbyfrisöre, die mehr schlecht als recht mit Schere und Klinge umzugehen wissen, versuchen, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Sie nennen sich kurzerhand selbst Barber, obwohl sie dafür weder Kurse noch eine Ausbildung absolviert haben. Um Schaden vom Ruf der Branche abzuwenden, geht die Berufsvereinigung „Kazakhstan Beauty Federation“ nun dagegen vor.

Seit diesem Jahr erteilt die Organisation Lizenzen, um „echte“ von „falschen“ Barbern zu trennen. Will man in einem Barbershop arbeiten, muss man einmal im Jahr einen dreitägigen Kurs belegen. Am vierten legt man vor einer Jury einen Test ab, um ein Zertifikat zu erhalten. Kein Zertifikat – kein Recht, als Barber zu arbeiten. Im nächsten Jahr, so Barber Klaus, soll es ein solches Verfahren auch speziell für die Leiter von Salons wie ihn geben. Diese sollen dort beweisen, dass sie nicht nur ihr Handwerk beherrschen, sondern auch ein Geschäft führen können.

Bald wird wieder zugepackt

Trotz Corona-Krise hat Fjodor Klaus mit seinem Barbersalon noch viel vor. Sein Traum ist es, das Geschäft in einigen Jahren so gut aufzubauen, dass es quasi wie von selbst läuft und seine ständige Anwesenheit nicht erforderlich ist. Mit seiner Frau würde er gern nach Deutschland ziehen, wo bis auf die Eltern seine ganze Familie lebt, verteilt über neun verschiedene Städte. Seine Schwester unterstützt ihn aus der Ferne, hilft bei der Beschaffung von Kosmetikprodukten aus Deutschland, die sich in seinem Salon großer Beliebtheit erfreuen. Einmal im Jahr versucht Klaus, zu den Verwandten zu reisen. „Früher war das schwieriger, aber inzwischen ist ein gewisses Einkommen da, so dass wir uns das leisten können“, so Klaus.

Im Juni sollte es eigentlich wieder so weit sein. Geplant war eine Reise von Frankfurt über Ravensburg, wo ein weiterer Verwandter wohnt, weiter nach Italien. Doch auch diesem Vorhaben dürfte Corona aller Voraussicht nach einen Strich durch die Rechnung machen. Klaus nimmt das gelassen und hofft, dass er die Reise auf einen späteren Zeitpunkt verschieben kann. So wie er sich auch nicht lange mit Klagen über die Pandemie-Auswirkung aufs Geschäft aufhalten will. Schließlich sei man in Kasachstan krisenerprobt und könne mit schwierigen Situationen umgehen. Klaus entschlossen: „Wenn die Quarantäne vorbei ist, geht es wieder an die Arbeit.“

Einen guten Look nach der Quarantäne gibt’s bei: Barbershop Klaus, Kairbekowa 35a, Ecke Gogolja, +7(707)530-06-72.

Christoph Strauch

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