Afghanistan hat am Sonntag nach 36 Jahren sein Parlament gewählt. Die Wahlen wecken in der ganzen Welt neue Hoffnungen, das Land am Hindukusch zu befrieden und demokratisch zu regieren.

Afghanistan hat am Sonntag nach 36 Jahren sein Parlament gewählt. Die Wahlen wecken in der ganzen Welt neue Hoffnungen, das Land am Hindukusch zu befrieden und demokratisch zu regieren.

Parallel zur deutschen Bundestagswahl am 18. Setember fanden auch in Afghanistan Wahlen zum Parlament statt. Weit weg von deutschen innenpolitischen Problemen wurden 12,5 Millionen registrierte Afghanen aufgefordert, nach mehr als 30 Jahren zwischen Demokratie und Diktatur zu wählen.

Gewählt wurde laut Verfassung das „höchste legislative Organ“ der Islamischen Republik Afghanistans: die Nationalversammlung, welche aus zwei Kammern besteht. Für das „House of People“ (Wolesi Jirga), das Unterhaus, wurden 249 Kandidaten auf fünf Jahre direkt gewählt, von denen 68 den Frauenanteil stellen, d.h. zwei aus je einer der 34 Provinzen und zehn für die nomadischen Kuchi reserviert wurden. Zudem wurden gleichzeitig die 34 Provinzräte gewählt, die je einen Repräsentanten der Provinz in das Oberhaus des Parlaments, in das „House of Elders“ (Meshrano Jirga), auf vier Jahre befördern und ein Drittel dieser Kammer sicherstellen. Die restlichen Drittel werden von den Bezirksräten gestellt, die jeweils einen Vertreter ihrer Provinz auf drei Jahre wählen, sowie individuelle vom Präsidenten auf  fünf Jahre ernannt, womit das Oberhaus aus insgesamt 102 Mitgliedern besteht.

Qual der Kandidatenauswahl

Zwar gibt es in Afghanistan 76 von der zuständigen Wahlbehörde „Joint Electoral Management Body“ (JEMB) registrierte Parteien (Stand 20. August 2005), jedoch waren Parteien zur Wahl nicht zugelassen, so dass die insgesamt 5.800 Kandidaten, die sich zu den Parlaments- und Provinzwahlen aufstellen ließen, als Unabhängige antraten. Dem Wähler stand folglich eine enorme politische Verantwortung zu, aus dem sieben Seiten langen Wahlzettel in der ersten freien geheimen und direkten Parlamentswahl die richtige Entscheidung zu treffen. Da die Bevölkerung zu 60% aus Analphabeten besteht, wurden die Listen mit Piktogrammen versehen. Einige Afghanen gaben gegenüber Radio Free Europe zu, in Kabul nicht wählen gegangen zu sein, weil sie ihrer Meinung nach den 400 Kandidaten, welche im Wettstreit versuchen, einen Abgeordnetensitz im Parlament in der afghanischen Hauptstadt Kabul zu bekommen, kein Vertrauen schenken.

Nach Aussage von Peter Erben, dem Wahlamtsleiter der JEMB, lag die Wahlbeteiligung mit sechs Millionen bei etwas mehr als 50%, was demnach deutlich weniger ist, als die Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl, bei der 70% der Registrierten, d.h. mehr als 8 Millionen, zur Urne gingen.

Trotzdem erklärte der Präsident Hamid Karzai dieses Ereignis zu einem entscheidenden Augenblick in der Geschichte seines Landes. Die EU, die USA und die NATO lobten noch am Wahltag die vollzogene Parlamentswahl als einen Erfolg. US-Präsident George W. Bush verkündete, dass dies ein weiterer großer Schritt in Richtung Rechtstaatlichkeit sei. Kofi Annan, Generalsekretär der UN, betonte in seinem Statement die klare Entschlossenheit des afghanischen Volkes, die friedliche und demokratische Entwicklung seiner Nation fortzusetzen. Die Wahlen waren von Anschlägen überschattet.

Wie schwer die Wahlorganisation war, dessen Verantwortung die UN übernahm, verdeutlicht ein politischer Kurzbericht Babak Khalatbaris von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Anlässlich der Wahl wurden 140.000 Wahlurnen in Kanada angefertigt, in Österreich und Großbritannien 40 Millionen Stimmzettel gedruckt sowie von China Materialien zur Wahlstationsausrüstung zur Verfügung gestellt. An den geschätzten Wahlkosten von 120 Mio. Euro haben sich viele Länder, die Bundesregierung mit fünf Mio. Euro, beteiligt. Mit 120.000 Wahlhelfern, von denen 90% die Afghanen selbst stellten, mit Jeeps, Trucks, Helikoptern, Flugzeugen, und 1500 Eseln und Kamelen wurde die logistische Arbeit bewältigt, damit auch jeder Wähler in den entlegensten Ecken des Landes zur Urne gehen konnte.

Fragwürdig ist jedoch, inwiefern die Wahlen zur Demokratisierung beitragen können, da zu den Wahlen auch umstrittene Kandidaten aufgestellt wurden, die befürchten lassen, dass dadurch die Drogenökonomie sowie der Terror der Warlords und  die Korruption direkt ins Parlament gelangen könnten, statt diese Probleme dort zu lösen.

Ergebnisse: Einen Monat später

Wie die Wahlen nun definitiv ausgegangen sind, wird noch wochenlang ausstehen, da nach offiziellen Angaben die vorläufigen Ergebnisse zwischen dem 9. und dem 21. Oktober und die offiziellen Ergebnisse am 22. Oktober bekannt gegeben werden.  Zudem deutet sich eine Verspätung der Auszählung der abgegebenen Stimmen in einigen Provinzen an, weil vergangenen Dienstag, zum Tag des Auszählungsbeginns, wegen der bergigen Topographie des Landes lediglich 80% der  versiegelten Kisten mit den Stimmen in den Auswertungszentren Kabul, Nangarhar, Kapisa und Paktika ankamen. Womöglich werden erst in diesen Tagen die restlichen Wahlurnen ankommen. Es bleibt also noch abzuwarten, welches Gesicht das afghanische Parlament bekommen wird. Wichtig im afghanischen Regierungssystem ist, dass die Nationalversammlung einen reformfähigen Charakter bekommt. Wie auch EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner in einem Interview gegenüber Deutschlandradio geäußert hat, kann man für Afghanistan nur hoffen, dass die Wahlen zu einem „möglichst demokratisch gewählten Parlament“ führen.

Mit den vollzogenen Wahlen der afghanischen Volksvertretung wurde vorläufig das Ende der Road-map zur Stabilität durch das Bonn-Abkommen und die Bonn-Prozesse erzielt. Im Oktober läuft zusammen mit Österreich das Mandat Deutschlands für die 2200 Bundeswehrsoldaten der ISAF, die in Afghanistan für Sicherheit sorgen, aus. In Afghanistan beginnt deshalb eine neue Ära. Vielleicht besuchte Bundesverteidigungsminister Peter Struck kurz vor den Wahlen die Bundeswehrsoldaten der beiden unter deutscher Führung stehenden Provincial Reconstruction Teams (PRT) in Feyzabad und Kunduz, um sich symbolisch zu verabschieden, denn falls es nicht zu einer SPD geführten Koalition im eigenen Lande kommen sollte, wäre dies auch der Beginn einer neuen politischen Phase in Deutschland, und das ablaufende Mandat würde unter einer CDU-Regierung auf einem unbeschriebenen, weißen Papier stehen.

Die beiden Wahlen die in Deutschland und Afghanistan stattgefunden haben, zeigen im Grunde erneut, wie gut es eigentlich der deutsche Wähler im Westen hat, in dem die Wahlen ruhig, stabil und friedlich sind und doch dabei im Vergleich zu Afghanistan vom politischen Inhalt eher „langweilig“ wirken. Möge daraus das Beste für das afghanische Volk herauskommen und endlich Stabilität bewirken. Hoffentlich, wenn Gott will, oder wie es auf afghanisch heißt: Inschallah!

30/09/05

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