Da weder Union und FDP noch die bisherige Bundesregierung nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis über eine Mehrheit verfügen, ist die Regierungsbildung in Berlin derzeit völlig offen. Koalitionsgespräche in alle Richtungen haben begonnen.

Nach ihrem überraschend schwachen Abschneiden stellt die Union künftig mit nur drei Sitzen Vorsprung die stärkste Fraktion im Bundestag. Nach dem amtlichen Endergebnis erhalten CDU und CSU gemeinsam 225 Sitze, die SPD kommt auf 222. Die FDP liegt bei 61 Sitzen. Drittstärkste Kraft ist die Linkspartei mit 54 Sitzen. Die Grünen kommen auf 51 Sitze.
CDU/CSU erhielten 35,2 Prozent der Stimmen. Das sind 3,3 Prozentpunkte weniger als 2002. Die SPD kam auf 34,3 Prozent (minus 4,3). Die Grünen verschlechterten sich um 0,4 Prozentpunkte auf 8,1 Prozent. Die FDP legte 2,4 Prozentpunkte auf 9,8 Prozent zu. Die Linkspartei zieht mit 8,7 Prozent in den Bundestag ein, nachdem sie 2002 nur 4,7 Prozent erreichen konnte. Die Wahlbeteiligung lag mit 77,7 leicht unter der Marke von 2002. Rechnerisch würde eine große Koalition über 447 Sitze verfügen, eine Ampelkoalition käme auf 334 Sitze. Eine schwarz-gelb-grüne „Jamaika“-Koalition hätte 337, ein rot-rot-grünes Bündnis 327 Sitze.

Nach dem knappen Wahlausgang wird in der Union eine Präferenz für ein Bündnis mit FDP und Grünen deutlich, während die SPD ebenso Sondierungsgespräche mit den beiden kleinen Parteien sucht. CDU-Chefin Angela Merkel kündigte an, sie wolle zunächst mit der FDP sprechen und signalisierte zugleich Kompromissbereitschaft gegenüber den Grünen. Merkel und Schröder bekräftigten damit beide einen Regierungsanspruch. Merkel sagte, die SPD müsse akzeptieren, dass sie nicht stärkste Fraktion sei. Zu einer möglichen Zusammenarbeit mit den Grünen in einer so genannten Jamaika-Koalition sagte sie: „Das muss ausgelotet werden.“ Die Gespräche will sie gemeinsam mit CSU-Chef Edmund Stoiber führen. Die CDU-Spitze habe sich ausdrücklich nicht auf eine Präferenz festgelegt, sagte Merkel mit Blick auf die Sondierungsgespräche.

SPD-Chef Franz Müntefering forderte die FDP auf, sich Verhandlungen mit den Sozialdemokraten nicht zu verschließen. An die Adresse der FDP sagte Müntefering: „Wer seiner Verantwortung in Deutschland gerecht werden will, muss in diese Gespräche rein.“ Alle demokratischen Parteien hätten den Auftrag, eine belastbare Mehrheit im Bundestag zu finden. Müntefering nannte drei konkrete Bedingungen für erfolgreiche Koalitionsverhandlungen: Die SPD wolle regieren, Schröder müsse Kanzler bleiben, und es solle so viel wie möglich des SPD-Wahlprogramms umgesetzt werden. Dass die SPD die Ergebnisse von CDU und CSU als die von eigenständigen Parteien sieht und sich deswegen als Wahlsieger fühlt, begründete Müntefering: „Das sind zwei getrennte Parteien, darauf hat die CSU immer großen Wert gelegt.“

Westerwelle schickte jedoch Müntefering umgehend eine schriftliche Absage auf dessen Einladung zu Sondierungsgesprächen, da die SPD von den Wählern keinen Auftrag zur Regierungsbildung erhalten habe. Die Grünen-Spitze reagierte verhalten auf die Bemühungen der Union, die Möglichkeit einer Dreier-Koalition mit der FDP zu sondieren. Spitzenkandidat Joschka Fischer sagte, die Frage nach einem Ministeramt unter einer Kanzlerin Merkel stelle sich für ihn nicht: „Sie wird nicht Kanzlerin werden.“

Offizielle Reaktion aus dem Ausland gibt es bislang kaum. Sympthomatisch die Verblüffung und Ratlosigkeit, die in Washington nach dem deutschen Wahlausgang herrscht. „Reaktion auf was?“, fragte ein Sprecher nach Anfrage um Stellungnahme zu dem Resultat. „Wir äußern uns, wenn es ein Ergebnis gibt.“ Die Überraschung über das unklare Ergebnis sei in Washington inzwischen aber Enttäuschung gewichen, so der Direktor des US-Europa-Instituts Philip Gordon. Mit diesem Ergebnis könne man kaum damit rechnen, dass Deutschland eine klarere Führungsrolle in der Welt einnehme, so Gordon. „Deutschland wird sein politisches Kapital bei dem Ergebnis erstmal auf innenpolitische Nabelschau verwenden.“ (apf, dpa)

(Pressestimmen aus dem Ausland in unserem Pressespiegel)

23/09/05

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