Mitte der 60er Jahre kamen mit den türkischen Gastarbeitern auch viele Kasachischstämmige als Arbeitsimmigranten nach Deutschland. Heute leben sie vor allem im Ruhrgebiet und in Berlin. Die kasachische Diaspora formiert sich in Westeuropa und besinnt sich ihrer Wurzeln.

Kasachen leben heute in der ganzen Welt, als Folge der Migration aus Kasachstan nach China, Mittelasien, Afghanistan, Pakistan, Iran und Indien. In 43 Ländern der Erde gibt es mehr als fünf Millionen von Kasachen, darunter 2,57 Millionen in den vierzehn Staaten der GUS und 2,33 Millionen in 29 Staaten der Welt. Sie haben eine gemeinsame Urheimat, Kasachstan, bekennen sich zum Islam und zählen zu den Turkvölkern. Die kasachische Diaspora entwickelt sich heute erfolgreich in Ländern mit polyethnischen und multireligiösen Kulturen dank ihrer Fähigkeit zur Anpassung, die sicher auch genetische Ursachen in der früheren traditionellen Lebensweise der Nomaden hat.

Kasachen als Lederproduzenten

Viele Kasachen waren in den 1930er Jahren vor Stalins Deportationen auch in die Türkei geflohen. Die kasachischen Aussiedler kamen vor mehr als vierzig Jahren nach Deutschland, bis heute sind sie Teil der türkischen Arbeitsimmigration. 180 Familien, rund 900 Personen, kamen damals nach Deutschland. Die kasachischen Immigranten kamen meist in Köln an und reisten dann weiter nach Westberlin und in die Industriestädte des Ruhrgebiets und die naheliegenden Städte des Rheinunterlaufs.

Die Kasachen eröffneten hauptsächlich kleine und mittelständische Unternehmen zur Lederbearbeitung. Manche von ihnen gründeten kleine Cafes mit orientalischen, kasachischen und türkischen Gerichten im Angebot.

Die auf dem Territorium der BRD wohnenden Kasachen erreichten schnell ein hohes Ausbildungsniveau und sozialen Status. Und nach Jahrzehnten als Gastarbeiter vermochte die erste Generation der kasachischen Immigranten, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen.

Die erste Generation der kasachischen Arbeitsimmigranten war hauptsächlich in Kohle-, Automobil- und Stahlinstustrie sowie im Bauwesen beschäftigt. Die zweite Generation der deutschen Kasachen fand bereits Berufe bei Firmen als Sachbearbeiter oder Manager, in Autoreparaturbetrieben oder der Elektrogeräteherstellung. Kasachen arbeiteten auch als Juristen, Zahnärzte und Ingenieure.

In Bezug auf ihre Familienbeziehungen unterscheiden sich die Kasachen in Deutschland durch einen viel tieferen Konservatismus als beispielsweise ethnische Kasachen in Frankreich. Sie bemühen sich, eine Braut aus den in der Türkei lebenden kasachischen Familien zu finden. Oft heiraten sie türkische Frauen, aber fast nie gehen sie eine Ehe mit Vertretern anderer, nichttürkischer, Völker ein.

Kasachen, die in Europa außerhalb der Türkei arbeiteten, überführten die Leichen der in Deutschland, in Europa oder in den USA verstorbenen Verwandten immer in die Türkei.

Viele deutsche Kasachen schickten ihre Kinder während der Sommerferien nach Kasachstan zu Bekannten oder Verwandten in ihre historische Heimat. So sollten sie in Kontakt mit der kasachischen Kultur und den Volkstraditionen kommen, um ihre ethnische Identität zu pflegen.

In Deutschland wurden 1997 zwei kasachische Gesellschaften – in München und Köln – gegründet.

Deren Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich und meist von zu Hause aus.

Ein drängendes Problem der Kasachen in Deutschland ist die Sprache. In ihren Familien wird hauptsächlich Türkisch gesprochen, die Kinder verständigen sich auf Deutsch. Ein Ziel der kasachischen Gesellschaften ist deshalb, der jungen kasachischen Generation in Deutschland ihre Muttersprache und die Kultur ihres Volkes nahe zu bringen.

Urlaub in der Urheimat

So könnten zum Beispiel regelmäßig Bücher, Zeitungen und Zeitschriften aus Kasachstan in kasachischer Sprache nach Deutschland gesandt werden und die Arbeit der Gesellschaften unterstützen.

Der Eintritt des jungen Staates Kasachstan in die internationale Gemeinschaft als ein gleichberechtigtes Mitglied diente als Ausgangspunkt zur Gründung von kasachischen Gesellschaften in verschiedenen Ländern der Welt. Das akuteste Problem ist heute für die kasachische Regierung ein hohes Interesse an Übersiedlung in den kasachischen Diasporen. Nach dem Erwerb der Unabhängigkeit kehrten viele ethnische Kasachen heim, insbesondere aus Deutschland. Die Aufgabe des Staates ist es, für die Repatrianten günstige Bedingungen zu schaffen. Dazu wurde auch die entsprechende Gesetzgebung verändert.

So sind für die zeitgemäße Entwicklung der kasachischen Diaspora zwei politische Prozesse kennzeichnend: Der Erhalt der ethnischen Identität und die Repatriierung nach Kasachstan. Als ein Zeichen des ethnischen Selbstbewußtseins der Kasachischstämmigen kann man den Stolz der Kasachen auf ihre Herkunft, ihre Kenntnisse der historischen Traditionen, der kasachischen Kultur und der Sitten und Bräuche bezeichnen.

Unsere Autorin arbeitet am Lehrstuhl für Politologie und Soziologie der Kasachischen Nationalen Pädagogischen Universität.

Von Saituna Aschimowa

03/02/06

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