Rentenfragen gehören in Europa permanent zu den politischen und privaten Topthemen. Aus gesellschaftlich-politischer Sicht deshalb, weil die weitverbreiteten Solidarsysteme infolge der dras-tischen Verschlechterung der Relation zwischen Einzahlern und Rentenempfängern zunehmend unter Liquiditätsproblemen leiden und dringend grundlegend reformiert werden müssen.

Privat ganz einfach deshalb, weil es einfach jeden interessiert, wovon er nach dem Arbeitsleben existieren soll und wieviel er aus dem Rentensystem erwarten kann.
Hierzulande ist das etwas anders, wie gerade veröffentlichte Zahlen zeigen. Nicht weniger als 72 Prozent der Befragten wissen nicht, wie hoch ihre künftige Rente sein wird. Das ist vor allem deshalb verwunderlich, weil man in Kasachstan ja weitgehend schon kein stark anonymes Solidarsystem, sondern ein personenbezogenes Kapitaldeckungsverfahren hat. Die 14 zugelassenen Pensionskassen verschicken jährlich an ihre Mitglieder den aktuellen Stand der angesammelten Beiträge, woraus man auf die künftige Rente hochrechnen kann. Die im Moment ausgezahlte Rente liegt im Durchschnitt etwa bei 110 Dollar und ist dabei die höchste in den GUS-Staaten. Zum Vergleich: In Kirgisistan liegt die momentane Durchschnittsrente bei zehn Dollar.

Doch zurück nach Kasachstan: Der geringe Grad des Wissens um die eigene Rente hat sicher eine ganze Reihe von Ursachen: Eine davon ist die immer noch sehr hohe Erwartung, dass der Staat die Dinge schon regeln werde. Das hiesige Pensionssystem, das ja die Wahl zwischen mit unterschiedlichem Anlageerfolg agierenden Pensionskassen erlaubt, verlangt aber nach Eigeninitiative, denn der Staat garantiert keine Anlageergebnisse. Da muss der Bürger sich schon mal selbst informieren. Das aber ist infolge des noch schwach entwickelten Wertpapiermarktes und anderer Gründe im Moment kaum gegeben. Ein weiterer Grund ist, dass nur 45 Prozent der Bevölkerung in die Pensionskassen einzahlen, obwohl eigentlich fast jeder pflichtversichert ist. Doch fast alle Freiberufler und Selbständigen (einschließlich der vielen Taxifahrer), Arbeitslose, Jugendliche und andere wollen oder können das nicht tun. Natürlich wissen diese Leute nicht, welche Rente sie einmal beziehen werden. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie gar keine bekommen, sondern von Sozialhilfe leben müssen.
Einen dritten Grund sehe ich darin, dass sehr wenig über die Funktionsweise und die zweifelsohne gegebenen Vorteile des hiesigen kapitalgedeckten Rentensystems informiert wird. Es gab bei seiner Einführung Ende der 1990er Jahre mal eine große Informationswelle, aber seither fließen Informationen eher spärlich. Hinzu kommt ein nach wie vor gegebenes Misstrauen in weiten Teilen der Bevölkerung hinsichtlich der Sicherheit ihrer Einlagen und der Wahrscheinlichkeit ausreichender Erträge der Wertpapiere. Das kann man vielleicht nicht einmal allzu übel nehmen, kann doch die noch junge Finanzgeschichte Kasachstans ausreichend Beispiele von Amtsmissbrauch und persönlicher Bereicherung auch aus Rentengeldern nachweisen. Allerdings liegen diese Beispiele nun auch schon wieder einige Zeit zurück; in den letzten Jahren hat sich das Finanzsystem auch hinsichtlich der Betrugsaktivitäten doch deutlich stabilisiert.

Das kapitalgedeckte Rentensystem ist zukunftsorientierter als das europäische Solidarsystem, wobei letzteres auch unter ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen als heute konstruiert wurde. Doch die hiesige Uninformiertheit der Versicherungspflichtigen, die unzureichenden Aktivitäten zur Erfassung bisheriger Nichtbeitragszahler, die schleppende Entwicklung des Wertpapiermarktes, die die Pensionskassen immer wieder vor die schwer lösbare Frage stellt, wie sie über der Inflationsrate liegende Erträge aus den verfügbaren Wertpapieren erzielen soll und andere Faktoren können sehr leicht den richtigen Kerngedanken des Systems diskreditieren und in 20, 30 Jahren ein gesellschaftliches Problem von höchster sozialer Sprengkraft provozieren. Noch kann allerdings entgegengesteuert werden.

Bodo Lochmann

10/11/06

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