Der 9. Oktober 2006 war ein ganz normaler Montag, und doch war es ein ganz besonderer Tag. Es hat nur kaum einer gewusst. Bis zu diesem Tag hat die Menschheit soviel an Ressourcen verbraucht, wie die Natur für das ganze Jahr 2006 „vorgesehen” hatte.
Vom 10. Oktober an tickt eine Art spezieller Schuldenuhr, denn wir entnehmen seither der Natur mehr, als sie selbst reproduzieren kann. Bis Mitte der 1980er Jahre lag dieses Datum noch am Jahresende. Ab 1987 lebt die Menschheit insgesamt auf zu großem Fuß, sie verbraucht also mehr Ressourcen, als die Natur reproduzieren kann. Hierzu gehört auch die Fähigkeit, die von Menschenhand verursachten gewaltigen Schadstoffmengen zu neutralisieren. Wir leben also im Durchschnitt heute bereits zu fast einem Viertel auf Kosten der künftigen Generationen.
In Europa, den USA, Australien, eigentlich in allen entwickelten Ländern wird im Zusammenhang damit in den letzten drei, vier Wochen enorm viel über diese Fakten geschrieben und publiziert. Offizieller Anlass war die Präsentation von Berechnungen des ehemaligen Chefvolkswirtes der Weltbank, Sir Nicolas Stern, der die Folgen der durch die menschliche Tätigkeit bewirkten Erwärmung der Atmosphäre erstmals in eine Sprache übersetzte, die eigentlich alle verstehen sollten, in die Sprache des Geldes. 5,5 Billionen Dollar, das sind etwa 20 Prozent der gesamten Wirtschaftskraft der Welt, könnte es kosten, wenn wir weiterhin den Klimawandel ignorieren. Wenn noch vor 15 oder 20 Jahren viele Fakten in dieser Hinsicht unklar waren, gibt es heute keinen ernsthaften Experten mehr, der bezweifelt, dass der Klimawandel mit großen negativen Folgen für die Menschheit insgesamt bereits begonnen hat. Rückgängig gemacht werden kann er kaum noch, um etwa zwei Grad wird die durchschnittliche Temperatur der Erdatmosphäre in den nächsten Jahrzehnten ansteigen. Überschwemmungen auf der einen Seite, große Dürren auf der anderen – das ist eine eigentlich unzulässige Verkürzung der Folgen. Es geht künftig letztlich darum, einen Anstieg der Temperatur auf bis zu fünf Grad zu verhindern. Gelänge das nicht, wäre die Katastrophe perfekt.
Neu an der Diskussion in Europa und anderswo ist, das nicht mehr wie etwa in den 1970er und 1980er Jahren die warnenden Hinweise von Umweltfundamentalisten, sondern von Wirtschaftsexperten und neuerdings massiv auch von Politikern kommen. Zudem wird eine Unmenge von Fakten publiziert, mit denen u. a. nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Bevölkerung für das Thema und mögliche Gegenmaßnahmen sensibilisiert werden sollen. Insgesamt befindet sich die Weltpolitik in der Frage gemeinsamer Anstrengungen zum Umwelt- und Klimaschutz jedoch in einem mehr als traurigen Zustand. Das hat die jüngste Umweltkonferenz (November 2006) gezeigt, wo trotz der alarmierenden Fakten kein Durchbruch in Richtung energischer gemeinsamer Maßnahmen stattgefunden hat. Dennoch tut sich eine ganze Menge auf nationaler Ebene, vor allem im Bereich Energieeinsparung und Nutzung regenerativer Energiequellen. Neuerdings dreht sich da auch das Rad in den USA, dem mit Abstand größten Umweltsünder. Zwar hat Präsident Busch seit seinem Amtsantritt das Umweltproblem, so gut es ging, ignoriert, doch von unten (z. B. in einzelnen Bundesstaaten und Unternehmen) hat sich eine ganze Menge getan, jedoch reicht das noch nicht aus. Großbritannien, Japan und viele andere Länder, darunter auch das bisher ebenfalls wie die USA ignorante Australien, realisieren mittlerweile umfassende Programme zum (relativen) Schutz der Erdatmosphäre, vor allem durch Maßnahmen im Energiesektor. Es gibt mittlerweile jede Menge von Hochtechnologien, die sich auf den Weltmärkten zunehmend gut verkaufen lassen. Umweltschutz bringt also auch Ökoprofit, und das ist gut so.
Was tut sich nun in Kasachstan? Nach meinen Beobachtungen nicht sehr viel. In der Presse habe ich keine Meldungen bezüglich der Veröffentlichung der alarmierenden Fakten gefunden. Die Welt diskutiert heftig, Kasachstan schweigt eisern. Das Thema scheint kein öffentliches Interesse zu wecken. Sicher ist es in vielen Punkten ziemlich abstrakt, viele Folgen der Umweltverschlechterung sind zeitlich und territorial weit weg. Doch das entschuldigt nicht. Dass Kasachstan nicht das Kyoto-Protokoll – einen internationalen Vertrag zur Reduzierung der Treibhausgase – unterschrieben hat, kann man vielleicht noch verstehen. Doch das Fehlen einer ernsthaften Strategie zur Sensibilisierung der Gesellschaft für das Problem ist nicht entschuldbar. Getan wird sowieso viel zu wenig. Stattdessen werden Ressourcen für die patriotische Erziehung des Volkes und ähnlichen Schnickschnack verschwendet. Die Prioritäten werden ganz einfach falsch gesetzt. Das wird sich rächen, nur dann wird es zu spät sein zum Handeln.
Bodo Lochmann
24/11/06