Die Frankfurter Regisseurin Julia Afifi inszeniert am Deutschen Theater Roland Schimmelpfennigs Stück „Fisch um Fisch“. Die Inszenierung hat am 28. April Premiere. Im Interview mit der DAZ spricht die Deutsche mit afghanischen Wurzeln mit DAZ-Redakteurin Cornelia Riedel über die Arbeit mit den Schauspielern, kasachische Kulturpolitik und die Zukunftsperspektiven des Deutschen Theaters.
Frau Afifi, seit fünf Wochen proben Sie mit den Schauspielern des Deutschen Theaters das Stück „Fisch um Fisch“. Wie sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden, wie lief die Vorbereitung des Stückes?
Am Anfang gab es kleine Anlaufschwierigkeiten bei der Organisation und natürlich waren große sprachliche Hürden zu bewältigen, aber darauf war ich vorbereitet. Ich habe bei der Auswahl des Stückes auf das Sprachniveau geachtet. „Fisch um Fisch“ hat kurze Sätze, einfaches Vokabular und viele Wiederholungen. Doch die größte Schwierigkeit der ersten Wochen waren trotzdem Textverständnis, die richtige Aussprache, Betonungen, Satzmelodie und Intonation, obwohl ich einige Passagen des ursprünglichen Stückes gestrichen und einige nonverbale Szenen eingebaut hatte. So war die erste Zeit notgedrungen etwas sprachkurslastig, Zunge und Kopf waren im Sprachkampf blockiert, der Körper noch nicht frei, aber inzwischen haben wir die Anfangsschwierigkeiten bewältigt und erstaunliche Fortschritte gemacht.
Worum geht es in dem Theaterstück?
„Fisch um Fisch“ handelt von einer Familie am Rande der Obdachlosigkeit, von „displaced persons“, es ist ein Stück über Armut und fehlende materielle Ressourcen, das spiegelt sich auch im Bühnenbild wider. Im Zentrum steht eine vom Pech verfolgte Familie, die kein Geld hat und kein Essen, wo selbst Liebesbeziehungen nicht funktionieren. Jeder hofft auf die Erlösung, auf den Fisch, doch das stellt sich als trügerische Hoffnung heraus. Und es geht auch um verlorene heimatlose Leute, wie es ja auch die Russlanddeutschen in gewissem Sinne sind, die sich als Deutsche nach Deutschland wünschen und in Deutschland als Russen wahrgenommen werden. Die gehäkelten Pilze auf der Bühne stehen als Symbol für das Glück, doch die Familienmitglieder im Stück sind Pechvögel am Rande der Gesellschaft. Und das Stück bezieht sich damit auch direkt auf die Probleme der Deutschstämmigen, nicht nur das Fremdsprachler-Deutsch der Schauspieler spiegelt das ja wider.
Auf der Bühne finden sich zwei alte Sessel, mit Plakaten beklebte Pappkartons und andere gebrauchte Sachen. Was steckt dahinter?
Da es um eine Familie in Armut geht, wollten wir das auch entsprechend darstellen. Ein großer Dank gilt dabei auch meiner Co-Bühnenbildnerin Malve Lippmann. Für die Schauspieler war es neu, dass sie sich auch beim Bühnenbild einbringen sollten und die Ausstattung aus Pappe, gefundenen Materialien und Schrott entsteht. Für mich war diese Suche nach den richtigen Stücken auch eine neue Erfahrung, denn in Kasachstan gibt es keinen Sperrmüll und keine Second-Hand-Möbel-Geschäfte wie in Deutschland, und das Deutsche Theater hat nur einen kleinen Theaterfundus. So haben wir teilweise auf Möbel aus dem geschlossenen Lermontow-Theater zurückgegriffen. Die alten Fenster und Türen auf der Bühne stammen aus Almatyer Abrisshäusern. Wir wollen die kasachische Metropole als Gegensatz zwischen modernen Betonklötzen und alten Häusern, die abgerissen werden, zeigen.
Kritiker stellen die Existenz des Deutschen Theaters in Frage, da es immer weniger Deutschsprecher sowohl unter den Schauspielern als auch im Publikum gibt. Im Mai beginnt die Renovierung, das Deutsche Theater wird dafür vorerst geschlossen. Es gibt Gerüchte, dass es dann in anderer Form, etwa als Theater der Nationen oder Kindertheater, wiedereröffnet werden soll. Hat sich aus Ihrer Sicht deutsches Theater in Almaty überlebt, und ist es Zeit für etwas Neues?
Zugegebenermaßen war auch ich am Anfang überrascht, wie wenig deutschsprachiges Publikum es im Deutschen Theater gibt und wie viel über Simultandolmetscher läuft. Trotzdem sollte man sich nicht dazu verleiten lassen, daraus fehlenden Bedarf zu schlussfolgern und deshalb eine Schließung des Theaters zu befürworten. Denn das Deutsche Theater Almaty ist ein Tor zu Europa und meines Wissens die einzige Bühne in Kasachstan, die modernes westliches Theater anbietet. Die Schauspieler hier haben auf jeden Fall Potenzial, und mit Sprachkursen und Phonetikunterricht sowie Produktionen deutscher Regisseure ließe sich das Niveau mühelos noch weiter steigern. Und vor allem sind sie begeistert bei der Sache und möchten weiter anspruchsvolle moderne Stücke aufführen.
Das Haus hatte ja vor etlichen Jahren einen guten Ruf und war weit über Kasachstans Grenzen für sein modernes experimentelles Avantgarde-Theater bekannt. Im Moment ist der Spielplan eher eine Mischung aus deutschen Stücken und Kindertheater. Bevor man einer Schließung zustimmt, sollte man überlegen, ob man sich im kulturellen Bereich abschotten will oder ob ein solches deutsches westliches Theater nicht Impulse für die russisch- und kasachischsprachige Theaterwelt bedeuten könnte. Gerade die Kultur schafft ja Brücken, und für die Verständigung ist es unerlässlich, kulturelle Unterschiede zu kennen. Besonders in Almaty ist ja die westliche Kultur überall präsent, ob in den Geschäften, in der Architektur, bei der Mode oder der Musik, und warum sollte man sich dann beim Theater diesen Einflüssen verschließen?
Was ist aus Ihrer Sicht die zukunftsträchtigste Lösung für das Deutsche Theater?
Am wichtigsten ist zuerst der Wille der deutschen und der kasachischen Seite, das Theater als solches zu erhalten und weiterzuentwickeln. Mit deutschen Mitteln produzierte Stücke, die dann schnell vom Spielplan gestrichen werden, das ist nicht der richtige Weg. Auch die im Mai beginnende Renovierung hätte sicher besser in den Theaterferien im Sommer gestartet werden können. Das Problem scheint zu sein, dass die gegenwärtige Theaterleitung kein ausgeprägtes Interesse an den deutschen modernen Produktionen hat und auch kein Deutsch kann, der Fokus liegt stattdessen auf Kindertheater und Schulklassenpublikum. Das Ensemble will auf jeden Fall weiter modernes Theater, doch im Moment, so scheint mir, herrschen eher Panik und Verunsicherung vor, es gibt keine Transparenz. Denn keiner weiß, wie es nach der Renovierung weitergehen soll, welche Entscheidung die Verantwortlichen fällen und ob die Gelder aus Deutschland weiter fließen. Wenn man konsequent wäre, könnte man das Profil des Theaters wieder in Richtung Avantgarde-Theater schärfen. Das Interesse ist da, das weiß ich aus Gesprächen mit verschiedenen Almatyern. Denkbar wäre auch ein europäisches Theater, an dem Regisseure aus anderen europäischen Ländern inszenieren. Doch wenn aus dem Deutschen Theater ein russisches Kindertheater werden sollte, würde das das Totalende für deutsches und europäisches Theater in Kasachstan bedeuten.
Frau Afifi, vielen Dank für das Gespräch!
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Die deutsche Regisseurin Julia Afifi wurde in Itzehoe bei Hamburg geboren und hat in Frankfurt und Paris Philosophie, Theater- und Literaturwissenschaften studiert und eine Regieausbildung absolviert. Heute arbeitet sie als freie Regisseurin für Produktionen unter anderem in Deutschland und Norwegen.
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27/04/07