Aus Sorge vor einer schweren Banken- und Wirtschaftskrise wurde im Sommer an den internationalen Finanzmärkten noch alles verkauft, was aus Kasachstan kam. Derzeit sieht alles wieder nach „Wirtschaftsboom wie gewöhnlich“ aus – nur auf niedrigerem Niveau. Der Einstieg in den Bankensektor ist für Auslandsinvestoren attraktiver geworden.
Kreditarrangeure und Portfoliomanager hatten sich daran gewöhnt, blindlings Kredite an kasachische Banken auszureichen oder kasachische Aktien und Anleihen zu kaufen. Im Zuge der globalen Kapitalmarktturbulenzen des Sommers rückte Kasachstan dann ins Rampenlicht. Plötzlich sank der Wert fast aller kasachischen Finanzinstrumente. Panikartig stiegen bis dato sorglose Investoren aus, da sie in Kasachstan eine tiefe Bankenkrise, mit Folgen für die reale Wirtschaft, heraufziehen sahen. Kein Investor wollte mehr Kredite nach Kasachstan vergeben oder gar kasachische Aktien oder Anleihen halten.
Herdenartige Panik
Genährt wurde die herdenartige Panik durch zwei Faktoren. Erstens ist Kasachstan ein recht junges Land auf dem Radarschirm internationaler Investoren, und damit ist das Vertrauen in die Erfahrung von Zentralbank und Regierung beim Krisenmanagement eher gering. Zweitens revidierten die großen Rating-Agenturen ihre Risikobewertung für Kasachstan, als sich die globalen Finanzmärkte gerade beruhigten. Viele Investoren fühlten sich an die Asienkrise Ende der 1990er erinnert, als die Länder-Ratings auch im Zuge der Krise purzelten. Zudem war es das erste Mal seit Beginn des kasachischen Wirtschaftsbooms Ende der 1990er, dass das kasachische Länder-Rating nicht herauf-, sondern herabgesetzt wurde.
Die Rating-Agenturen begründeten ihre Urteile mit gestiegenen Risiken für Staatsfinanzen und Devisenreserven (durch eventuell notwendige Interventionen im Bankensektor) sowie einer sich wahrscheinlich abschwächenden wirtschaftlichen Dynamik. Letztere könne gar in einer so genannten „harten Landung“ der kasachischen Wirtschaft enden, so die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) in der Begründung ihres Rating-Urteils. Im Gleichklang oder kurz nach der Herabstufung der Länderbewertung wurde auch das Rating wichtiger kasachischer Banken und staatsnaher Institutionen heruntergesetzt. Damit werden sie sich in Zukunft schwerer tun, Kapital zu günstigen Konditionen im Ausland aufzunehmen.
Konjunktur weiterhin mit Volldampf
In starkem Kontrast zu der Weltuntergangsstimmung des Sommers konnte der kasachische Wirtschaftsminister am 30. Oktober dann verkünden: Die kasachische Wirtschaft hat in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 10,1 Prozent zugelegt. Das bedeutet etwas an Einbuße gegenüber den ersten sechs Monaten des Jahres. Da lag das Wachstum noch bei 10.6 Prozent, was auch dem jährlichen Zuwachs der Wirtschaftsleistung im Vorjahr entspricht. Auf den ersten Blick scheint also Kasachstans Konjunkturlokomotive weiterhin mit Volldampf unterwegs zu sein und durch die Kapitalmarktkrise und Rating-Rückstufungen nur etwas vom Glanz des Wirtschaftsbooms ab zu sein. So einfach ist die Rechnung aber nicht.
Denn sekundäre Effekte der Kapitalmarktturbulenzen des Sommers werden ihre Zeit brauchen, bis sie ihre Wirkung entfalten. Etwa die zu erwartende zögerlichere Konsumentenkreditvergabe einheimischer Banken, bedingt durch schlechtere internationale Refinanzierungsmöglichkeiten plus zunehmende staatliche Regulierung, wird sich erst mit Verzögerung in einem schwächeren privaten Konsum und damit einem Wachstumsrückgang niederschlagen. Die Expansionen von wachstumsstarken Klein- und Mittelbetrieben dürfen nun ebenso schwieriger kreditfinanzierbar sein, und auch der in den letzten Jahren rasant zulegende Bau- und Immobiliensektor, der von starker Kreditierung lebte, wird wohl weniger zulegen. Nach Schätzungen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) waren rund 20 bis 25 Prozent des kasachischen Wirtschaftswachstums der letzten Jahre direkt von den aggressiven Wachstumsstrategien der kasachischen Banken abhängig.
Insofern erscheint es wahrscheinlich, dass das Wirtschaftswachstum in Kasachstan erstmals seit dem Jahr 2000 wieder unter die 10-Prozent-Marke rutscht. Die jüngsten Verzögerungen bei der Erschließung des Kaschagan-Ölfeldes und die Rücknahme der nationalen Langfrist-Ölförderziele von 150 Millionen Tonnen auf 130 Millionen Tonnen im Jahre 2015 lassen ebenfalls auf ein Ende der zweistelligen Zuwächse der Wirtschaftsleistung schließen. Dem trägt nun auch die Regierung Rechnung und erwartet für 2007 ein Wachstum von „nur“ noch 9,5 Prozent.
Wirtschaftskrise oder Jammern auf hohem Niveau?
Abschwächung ja, aber alles mutet doch an wie Jammern auf hohem Niveau. Denn der hohe Ölpreis und weiter steigende Fördervolumina – bei gleichzeitig niedrigem Inlandsverbrauch – werden auch weiterhin für Devisenreserven als Risikopuffer, steigende Kaufkraft und Wirtschaftswachstum sorgen und lassen keinen dramatischen Wachstumseinbruch erwarten. Selbst die recht pessimistische Ratingagentur S&P rechnet für die kommenden zwei Jahre mit einem Wirtschaftswachstum von 6 bis 8 Prozent. Der Internationale Währungsfonds erwartet gemäß des Ende Oktober veröffentlichten regionalen Wirtschaftsausblickes Zentralasien derzeit ein Wirtschaftswachstum von 8,7 Prozent in diesem und 7,8 Prozent im kommenden Jahr. Viel wichtiger als aktuelle Punktprognosen zukünftigen Wachstums ist aber, dass die kasachische Nationalbank und Regierung ihre Krisenmanagementfähigkeiten unter Beweis gestellt haben. Die Zentralbank stützte den Tenge, bot heimischen Banken Refinanzierung an und beruhigte in Telefonkonferenzen die Stimmung. Und im Lichte einer sich abschwächenden wirtschaftlichen Dynamik hat die kasachische Regierung jüngst angekündigt, in diesem Jahr die heimische Wirtschaft mit rund einer Milliarde US-Dollar vor Folgen der globalen Finanzmarktturbulenzen zu schützen. Für das nächste Jahr sind weitere 3 Milliarden vorgesehen um gegebenenfalls kasachische Aktien oder Anleihen zu stabilisieren.
Somit ist es nicht verwunderlich, dass angesichts der intakten Wirtschaftsperspektiven und eingeschränkten Refinanzierungsmöglichkeiten kasachischer Kreditinstitute, europäischen Großbanken mit Fokus auf Osteuropa und die GUS (wie etwa die ungarische OTP oder die österreichische Raiffeisen) nachgesagt wird, mit Interesse Einstiegsmöglichkeiten in Kasachstan zu sondieren. Denn nun sind Banken hier viel billiger zu übernehmen als vor der Krise. Und auch die italienische UniCredit, die im Juni 2006 die kasachische ATF Bank für 2,2 Milliarden US-Dollar gekauft hat, setzt laut eigenen Angaben voll auf Wachstum in Kasachstan und wird darin durch jüngste Wirtschaftsdaten und Prognosen bestätigt.
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09/11/07