Strategisches Denken und Handeln ist eine zwar notwendige, aber dennoch äußerst schwierige Angelegenheit. In der Regel sind die Unternehmen erfolgreicher, die sich Gedanken um ihre Entwicklung gemacht haben und diese Gedanken auch zielgerichtet umsetzen.
Schwierig ist das Erarbeiten von Strategien vor allem deshalb, weil es immer um mögliche Entwicklungen in der Zukunft geht. Beim Versuch, die Zukunft einigermaßen sicher vorherzusagen, ist bestenfalls die Hälfte der entsprechenden Papiere mehr oder weniger tauglich. Und dennoch muss man versuchen, die unsichere Zukunft zu gestalten und ihr nach Möglichkeit seinen Stempel aufdrücken. Agieren und nicht reagieren ist die Devise.
Richtigerweise versucht man sich auch in Kasachstan mit dem Erarbeiten und Umsetzen von Strategien. Das ist notwendig, um das Land überhaupt steuern zu können, wobei dieses Steuern ja auch noch zielgerichtet sein muss. Zum ersten Mal wurde in Kasachstan im Jahr 1997 ährend der Botschaft des Präsidenten an das Volk eine eigene, nationale Entwicklungsstrategie verkündet. Das war die berühmte Strategie 2030. Danach soll sich im Zeitraum von etwas mehr als 30 Jahren vom Moment der Verkündung an gerechnet hierzulande eine solche Entwicklung vollziehen, dass Kasachstan zu den schönsten, reichsten und gebildetsten Ländern dieser Welt gehört. Das ist kein geringer Anspruch, aber durchaus eine Strategie.
In späteren Phasen wurden weitere Strategien verkündet, die mehr oder weniger diese Oberstrategie untersetzten und realisieren helfen sollten. So gibt es die Strategie zur Entwicklung der Landwirtschaft, die Innovationsstrategie, die Diversifikationsstrategie und weitere mehr als 100 vergleichbare Programme eigentlich aller Ministerien. Bei aller Notwendigkeit strategischen Denkens und Handelns hat diese Strategie-Inflation natürlich dazu geführt, dass diese von niemandem mehr so richtig ernst genommen wurde und kaum noch jemand den Überblick behalten konnte. Es war also ganz einfach zuviel des Guten. Bei so vielen Teilstrategien ist es ab einem bestimmten Punkt ganz einfach unmöglich, die zur Realisierung der Strategiepläne notwendigen Ressourcen bereitzustellen und zu koordinieren. Weiter ist es bei so vielen Strategien auch nicht mehr möglich, objektiv begründete Prioritäten zu setzen. Außerdem entstehen dann zwischen den Ministerien und anderen staatlichen Einrichtungen Positionskämpfe, bei denen es nicht in erster Linie um die wirkliche und effektive Umsetzung der vielleicht auch richtigen Strategie geht, sondern mehr um das richtige Positionieren vor den Oberen. Schließlich will man ja positiv auffallen.
Die jetzige Regierung hat dieses Problem vor etwa einem Jahr erkannt und mit dieser übergroßen Zahl von Langzeitprogrammen aufgeräumt, beziehungsweise sie ist im Moment noch dabei. In quantitativer Hinsicht ist demzufolge eine Besserung eingetreten, meiner Beobachtung nach jedoch nicht in qualitativer Hinsicht. Alle mir bekannten Dokumente zur strategischen Entwicklung Kasachstans haben zwei große Mängel. Erstens sind sie alle von oben entstanden und haben kaum Gedanken, Vorstellungen und Meinungen einer breiten Schicht von Experten und Unternehmern, geschweige denn des Volkes in sich aufgenommen. Klar, alle Papiere wurden in engen Zirkeln diskutiert und nicht nur vom Präsidenten diktiert. Doch dieser Kreis der Experten ist kaum über den Apparat des Präsidenten hinausgegangen. Eine wirkliche gesellschaftliche Diskussion jenseits von ein paar angewiesenen Vorträgen und Pflichtveranstaltungen zum Interpretieren der schon beschlossenen Strategien hat nicht stattgefunden. Nur wenige Staatsdiener und unmittelbar Betroffene dürften diese Papiere verinnerlicht haben. Für das Volk ist das alles etwas sehr Abstraktes, es hat ganz einfach andere Probleme.
Der zweite Mangel ist die völlig unzureichende Realisierung. Denn auch die beste und richtigste Strategie bleibt ein Papiertiger, wenn sie nicht realisiert wird. Zu den Ursachen der Nichtrealisierung zähle ich die viel zu hoch angesetzten Ziele, die mit Blick auf die vorhanden Ressourcen ganz einfach illusorisch sind. Zu oft wurden die Prioritäten gewechselt, wenn sie überhaupt je fixiert waren. Nicht zuletzt hat auch der häufige Wechsel der Regierung, der Akime und anderer Verantwortlicher natürlich nicht zum stabilen Umsetzen der Beschlüsse beigetragen.
Bleibt als Schlussfolgerung: Es muss noch viel getan werden, um strategisches Denken und Handeln wirklich zu dem effektiven Managementinstrument zu machen, das es trotz aller immanenter Unsicherheit sein kann. Doch ohne Beteiligung der Betroffenen, egal ob im Unternehmen oder im Staat, wird das kaum gelingen.
Bodo Lochmann
14/03/08