Auf Bitte der künstlerischen Leiterin des Deutschen Theaters Almaty (DTA), Irina Simonowa, inszenierte Boris Preobraschenski, aus Petersburg wieder zurück in Almaty, Ödön von Horváths „Don Juan kommt aus dem Krieg“. Da das Ensemble derzeit ohne eigenes Haus arbeiten muss, fand die Aufführung im „ARO“, in der Auesow-Straße statt.

/Bild: Ulrich Steffen Eck ‚Alexander Dar ist Don Juan po-russki‘./

Die Legende machte den historischen Don Juan zu einem Höfling des zwischen 1350 und 1369 in Sevilla herrschenden Königs Pedro I. Grundlegend für den uns heute vertrauten Don-Juan-Mythos ist die Geschichte um die Gouverneurstochter Giralda, eine Frau, die der Frauenheld Don Juan verführt und dessen Vater er im Zweikampf getötet haben soll. Anschließend soll er hochmütig die dem Getöteten zum Gedenken errichtete steinerne Statue zum Abendessen geladen haben. Der „steinerne Gast“ soll dann tatsächlich erschienen sein, um mit Don Juan in die Hölle zu fahren. Dieses Sujet ist Ausgangspunkt der dramatischen Don-Juan-Adaptionen, von Tirso de Molina über Molière und Mozart bis zu Ödön von Horváth und Peter Handke.

Horváths Don Juan

Horváth lässt seinen Don Juan aus dem 1. Weltkrieg heimkehren, direkt hinein in die Zeit der Inflation von 1919-1923, eine Zeit innerer und äußerer Ramponiertheit also, in der nicht nur der Wert des Geldes rapide schwindet. Einen „modernisierten“, mehrdimensionalen Don Juan zeichnet er, einen als Suchenden nach echter Liebe und zu Selbstreflexion fähigen, schließlich Scheiternden an der durch Krieg und Inflation fremd gewordenen Welt und seiner eigenen Unfähigkeit, die Triebe zugunsten eines Ideals zu bezwingen.

Dem entgegen setzt der Autor Frauen der 1920er Jahre, selbstbewusste, männerskeptische bis -feindliche Individuen, die andererseits archaisch dem männlichen Reiz Don Juans erliegen, ihn benutzen und verachten. Der Krieg und seine Folgen haben den Mythos Mann entzaubert. Auch kein steinerner Gast zieht Don Juan als deus ex machina mit sich in die Tiefe. Es ist die Unerreichbarkeit der ihn quälenden Wiedergängerin, sein weibliches, einzig wirklich geliebtes Ideal, das die Todessehnsucht in ihm die Überhand gewinnen lässt. Der „klassische“ Don Juan wird eher durch Initiative der gewandelten und desillusionierten Frauen reaktiviert, verliert sein Wertegefüge und wählt entfremdet den Freitod.

Die Inszenierung

Manchmal ist Not der Kunst gefällig: Die gegenwärtige „Heimatlosigkeit“ des Ensembles des Deutschen Theaters Almaty führt zu wechselnden Auftrittsorten. Das abgewohnte Interieur des diesmal die Bühne beherbergenden Kulturhauses „ARO“ in der Auesow-Straße könnte bereits Teil des Bühnenbildes von Wladimir Ponomarjow sein, das die geschundene Außenwelt nach Ende des ersten Weltkrieges symbolisieren soll. Vorbei an ausrangierten oder reparaturbedürftigen Haushaltsgeräten gelangt der Zuschauer in einen Saal, der seine besten Zeiten hinter sich hat. Dort dann, im Zentrum des Bühnenhintergrunds prangt zwischen demolierten und rußgeschwärzten Wänden der Kulisse überlebensgroß der Heilige Sebastian nach einer Darstellung von Andrea Mantegna aus dem Jahre 1490. Das Martyrium seines idealtypischen männlichen Leibes verkörpert überdeutlich, wie es um den Mann dieser Tage, um Don Juan steht.

Überdeutlich, um nicht zu sagen plakativ, ist auch manch andere Komponente der Inszenierung, seien es Gehabe und Rotfront-Uniformierung der ersten Professorentochter.

Auch bei den reichlich eingeblendeten musikalischen Leitthemen oder den – zwar einwandfrei getanzten – Choreografien, die Geschehnisse, den jeweilig agierenden Charakter oder dessen gerade herrschende Gemütslage flankieren, wäre weniger mehr gewesen. Dem Publikum wird nicht allzu viel Eigenleistung abverlangt.

Zeitweilig aber kommt es zu Reizüberflutung statt Präzision, aus der Opulenz des musikalisch erotischen Sinnentaumels muss dann der klare Text Horváths den Zuschauenden ins Stück zurückholen.

Kunstgriff mit Symbolkraft

Hier nun setzt ein hausgemachtes Problem ein: An den Akzent der Aktricen gewöhnt man sich, würde in Horváths Mundart gespielt, wäre das Verstehen nicht leichter. Auch der Kunstgriff, Don Juan – abweichend von Horváth und Historie – aus russischer Gefangenschaft kommen zu lassen, um damit zu begründen, dass er russisch spricht, ist akzeptabel; schließlich spiegelt die Zweisprachigkeit der Aufführung trefflich den status quo des DTA und seines Publikums wider. Wirklich störend ist das Zischeln unzähliger Kopfhörer im Publikum, das sich zu einem großen Teil den deutsch gesprochenen Text simultan übersetzt einspielen lässt. Wären nicht Übertexte, wie sie in der Oper verwandt werden, eine bessere Lösung?
Alles in allem bieten Boris Preobraschenski, Wladimir Ponomarjow und KollegInnen einen Abend von hohem Unterhaltungswert, ohne Längen, in der süßen Schmerzensfülle zutiefst russisch, in der Geradlinigkeit deutsches Volkstheater. Schauspielerisch und tänzerisch befindet sich das Ensemble des DTA auf erstaunlichem Niveau, insbesondere vor dem Hintergrund der realen Probleme, denen es sich ausgesetzt sieht. Mein heimlicher Favorit ist Alexander Dar, ein täppischer, überforderter Don Juan, ohne auch nur einen Hauch von Orientierung im Diesseits.

Von Ulrich Steffen Eck

19/09/08

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