Die alles beherrschende Weltfinanzkrise macht auch um Kasachstan keinen Bogen. Dabei ist mittlerweile der Begriff „Finanzkrise“ eindeutig nicht mehr richtig. Sehr deutlich schlagen bereits die in der Finanzbranche entstandenen Probleme direkt auf die Realwirtschaft, also auf die materielle Produktion, durch.
Es liegt mir zwar fern, Panik zu streuen, aber Realist darf und muss man bleiben. Wachsende Arbeitslosigkeit mit einem Rattenschwanz dadurch ausgelöster Probleme ist wohl unvermeidlich.
Die Realwirtschaft Kasachstans ist bekanntlich vor allem im Baubereich stark betroffen. Nach enorm hohen Wachstumsraten der Bauproduktion von teilweise bis zu 50 Prozent pro Jahr ist jetzt der Katzenjammer groß. Nachdem das Wort „Krise“ lange Zeit in den offiziellen Aussagen der kasachischen Politiker nicht vorgekommen ist, wird nun munter darüber sinniert, wann denn diese denn vorbei sei. Im Moment wird häufig das Jahr 2010 genannt. Keiner, auch nicht ich, wird sich da aber festlegen lassen. Jedenfalls sind die von der Regierung eingeleiteten Krisenmaßnahmen wesentlich umfangreicher, als man das hätte erahnen können. Nachdem noch vor einem Jahr vier Milliarden Dollar – gestreckt auf drei Jahre – ausreichend schienen um der Bauwirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, ist mittlerweile ein Fonds mit weiteren fünf Milliarden geschaffen worden. Erstmals wurde auch der nationale Reservefonds angetastet, aus dem 10 Milliarden – das ist etwa ein Drittel des Fondsvolumens – für die Haushaltstabilisierung bereitgestellt werden müssen. Zusätzlich hat nun die Nationalbank den sogenannten Mindestreservesatz verringert, so dass weitere fünf Milliarden Dollar Liquidität in die Wirtschaft fließen können. Insgesamt wurden staatliche Mittel zur Rettung der Wirtschaft bereitgestellt, die etwas mehr als 20 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts ausmachen.
Natürlich ist es richtig, dass die Regierung jetzt Feuerwehr spielt. Schließlich macht sich in der Bevölkerung durchaus eine bestimmte Unruhe breit, was man weniger an politischen Aktivitäten festmachen kann, wohl aber am vermehrten Abheben von Bargeld von den privaten Konten. Volkswirtschaftlich ist das natürlich höchst unerwünscht, weil sich dadurch die Liquiditätsprobleme des Bankensektors eher verstärken. Letzterer wurde ja in den Jahren vor der Krise geschaffen, nun muss er seinen ersten wirklichen Härtetest bestehen. Die beiden großen Handicaps des Bankensektors – der sehr hohe Anteil zweifelhafter Kredite und die ebenfalls sehr hohe, dazu noch überwiegend kurzfristige Auslandsverschuldung – sind jedoch zwei Indikatoren, die daran zweifeln lassen, dass der Bankenbereich so stabil ist, wie in der Vergangenheit gar zu oft betont.
Doch die Regierung an sich, nicht nur die aktuelle unter Massimow, trägt auch einen Großteil der Schuld an der aktuellen Krise mit. Der 1997 gefasste Beschluss zur Verlagerung der Hauptstadt nach Astana hatte einen beispiellosen und auch zügellosen Bauboom ausgelöst. Infolgedessen hat sich über die realwirtschaftlich unterlegten Prozesse hinaus ein gutes Stück reiner Spekulation herausgebildet. Zwar wurde immer wieder mal über die „Überhitzung „ der Wirtschaft geredet und auch der Präsident selbst hat einmal vor dieser gewarnt. Doch konkrete Schritte zur Eindämmung der Ursachen der Spekulation wurden letztlich nicht eingeleitet. Hinterher ist man natürlich immer schlauer. Bei solch komplexen Prozessen wie der Wirtschaft stimmt das in besonderem Maße. Dennoch bleibt letztlich die Frage nach der Schuld aktuell.
Die Politik kann sich trotz oft wechselnder Premierminister und Fachminister natürlich nicht aus der Verantwortung stehlen – was sie auch nicht tut. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die Aufarbeitung der Prozesse sehr offen und sehr kritisch vor sich geht. Alles andere kann man eigentlich gleich sein lassen. Da es nun mal eine Spezifik Kasachstans ist, dass letztlich alle strategischen Entscheidungen in einem Zentrum vorbereitet und gefällt werden, ist dieses Zentrum in die kritische Analyse mit einzubeziehen. Zum Teil kann das in kritischer Selbstanalyse erfolgen, diese hat aber ihre objektiven Grenzen. Eine sachkundige und konstruktive Opposition, die die zweifelsohne vorhandenen Schwächen im strategischen Management des Staates aufdeckt, fehlt aber, wie allgemein bekannt. Das ist dann wie ein sportlicher Wettkampf, bei dem ein Sportler mit sich selbst um die Wette rennt und ganz einfach immer Sieger sein muss. Einen wirklichen Stimulus zur Verbesserung seiner Resultate hat er so nicht. In der staatlichen Wirtschaftspolitik dürfte das ähnlich sein.
Bodo Lochmann
31/10/08