Es gibt Dinge, die erlebt man nur einmal. Zum Beispiel ein Abschiedskonzert. Das heißt, wenn es auch tatsächlich bei dem einen letzten Abtritt bleibt. Viele Prominente können und können sich nicht von Bühne und Publikum trennen, und weil das Abschiedfeiern so schön war, gibt es dann noch einen Abschied und noch einen und noch einen…
Bei Alfred Brendel ist das anders. Wenn er so ist, wie es scheint, darf man ihn beim Wort nehmen und dem ersten Abschied wird auch kein zweiter folgen. Der weltbekannte Pianist hat zuletzt in Wien seinen Abschied gefeiert. Und ich war dabei. Da bei einem solchen Jahrhundertereignis die regulären Wege, eine Karte zu ergattern, kaum bis nach Köln reichen, hat sich die Schwiegermutter meines Wiener Bekannten Robert, die mit der Musikszene recht gut verbandelt ist, in einem tollkühnen James-Bond-Einsatz ewiglang in eine exklusive Schlange gestellt – und tatsächlich zwei Karten erobert. Bravo! Meine Wiener Freundin, die ich mir als Begleiterin gewählt hatte, war auch ganz aus dem Häuschen. Ja, und ich erst. An der Seite meiner stets adretten und reizenden Freundin in Wien Brendels Abschied beiwohnen und das Ganze auch noch im Goldenen Saal! Flugs hatte ich meine Abendgarderobe zurechtgelegt, ein dunkelroter barocker Rauscherock. Als Beiwerk zu den Karten gab es dann auch noch eine komplett eingerichtete Wohnung, die uns Robert angeboten hat, und so war also alles geritzt. Meine einzige Sorge: In der Zwischenzeit hatte ich mir eine saftige Erkältung eingefangen, alles inklusive, damit auch einen ausgewachsenen Husten. Oh wei oh wei, dachte ich mir, stell dir das mal vor: Im Saal ist es mucksmäuschenstill, man hört keine Stecknadel fallen, Herr Brendel spielt, alles ist in Andacht versunken und dann: Ich huste. Da hilft nur noch Selbstmord. Zumal die Kölner in die Annalen der Musikgeschichte rund um Herrn Brendel mit ihren Hustern eingegangen sind. Er hatte das Konzert in der Kölner Philharmonie unterbrochen und gesagt, so gehe das also gar nicht, das Husten müsse bitte sofort aufhören, sonst würde er ganz abbrechen. Danach ging es. Wie viele Kölner an ihrem Husten erstickt sind, ist nicht bekannt, aber das Konzert konnte zu Ende gebracht werden. Ja, da hatte ich natürlich einiges wieder gutzumachen. So habe ich in der Apotheke ein Hustenmittel verlangt, das mich mindestens zwei Stunden am Stück hustenfrei lässt. „Bio oder Chemie?“ wurde ich gefragt. „Es muss unbedingt wirken. Das ist ganz, ganz wichtig!“ „Ok, Chemie“. Ich bekam Hustensaft in Bonbonform, sodass durch Lutschen des Bonbons fortwährend ein dünner Rinnsal Hustensaft die Kehle hinabrinnt. Um nicht zu knistern und rascheln, habe ich mir vor Konzertbeginn ausreichend Bonbons aus der Packung gedrückt, um sie mir mit einem schnellen unauffälligen und garantiert leisen Handgriff in die Backe schieben zu können. Was soll ich sagen? Ich war mucksmäuschenstill, kein kleinstes Räuspern habe ich verlauten lassen, jaha! Jedes Mal, wenn ein Wiener (aber wahrscheinlich war ein Großteil des Publikums gar nicht aus Wien, aber egal) gehustet hat, dachte ich: Tja! Ich bin vorbereitet. Ich bin leise. Ich versaue dem Brendel das Konzert nicht! Der Knaller kam dann aber beim letzten Stück. Plötzlich ging ein Handy an! Ein schlechter Scherz, dachten wir, das kann jetzt gar nicht sein. Niemand, aber auch wirklich niemand darf vergessen haben, das Handy auszuschalten. Im Kino, ja, ärgerlich, aber darf vorkommen. Aber doch nicht bei solch einem Jahrhundertereignis! Aber nach einiger Zeit gab es keinen Zweifel, und das Handy läutete und läutete. Aber das geht noch weiter! Der unsägliche Handybesitzer ging mit dem bimmelnden Teil hinaus, anstatt es sofort auszuschalten oder es sonst wie außer Gefecht zu setzen. Unglaublich! So geht nun auch das Wiener Abschiedskonzert in die Störgeschichten der Brendelschen Konzerte ein. Aber an den Kölnern lag es diesmal nicht!
23/01/09