Zwei junge Deutsche, Philipp Mildenberger (19) aus Wiesbaden, und Emanuel John (20) aus Heiligenberg am Bodensee, sind seit September letzten Jahres als Zivildienstleistende in Bischkek tätig. Im Interview mit der DAZ sprechen sie über ihre Beweggründe sowie über ihre Erfahrungen und Eindrücke in der Hauptstadt Kirgisistans.
/Bild: Gerald Siegler. ‚Zivildienst außerhalb der Pendlerdistanz: Emanuel John und Philipp Mildenberger im kirgisischen Schneegestöber.’/
Wie seid ihr auf Kirgisistan beziehungsweise Bischkek als Ort für euren Zivildienst gekommen?
Philipp: Nach der Schule wollte ich erst mal raus aus Deutschland. Zum Bund zu gehen kam für mich nicht in Frage, und ein Jahr Zivildienst in Deutschland hätte mich wenig gereizt. Mein Zivildienst in Kirgisistan ist eine gute Möglichkeit, mal was Neues und Anderes zu sehen. Ich wollte in ein Land gehen, dessen Sprache ich noch nicht spreche, und das ist jetzt eben Russisch. Zu guter Letzt mag ich Berge mehr als das Meer, und in Kirgisistan gibt es nun mal definitiv mehr Berge als zu Hause.
Emanuel: Für mich war auch schon seit Längerem klar, dass ich Zivildienst im Ausland machen würde. Ich habe mich vor knapp einem Jahr, als es konkret wurde, recht schnell für den russischsprachigen Raum entschieden. Bei meinen Recherchen bin ich unversehens auf Kirgisistan gestoßen. Ic h war sofort begeistert von allem, was ich über die Natur gehört habe, über die Menschen hier, über die Lage an der alten Seidenstraße und einfach das gesamte zentralasiatische Flair. Nach Bischkek bin ich gekommen, weil es hier die einzigen Zivildienststellen in Kirgisistan gibt.
Wo genau arbeitet ihr?
Philipp: Ich arbeite im privaten Kinderrehabilitationszentrum „Ümüt Nadjeschda“. Leiterin ist die Deutsche Karla-Maria Schelike. In diesem Zentrum für behinderte Kinder gibt es einen Kindergarten und weiterführend eine erste, eine dritte und eine fünfte Klasse sowie ein Zentrum für die etwas älteren Jugendlichen. Ich persönlich arbeite jetzt im Kindergarten, mit den ganz Kleinen von eineinhalb bis sechs Jahren.
Emanuel: Ich arbeite in einem staatlichen Kinderheim, das „Zentrum zur Rehabilitation vernachlässigter Kinder“ heißt. Dort wohnen zurzeit über 70 Kinder im Alter von drei bis 16 Jahren, die eine externe Schule besuchen. Sie kommen meist aus schwierigen familiären Verhältnissen und bleiben jeweils cirka ein Jahr im Kinderheim. Wenn alles gut läuft, schaffen sie anschließend die Aufnahme in ein Internat. Ich mache mit den Kindern hauptsächlich Spiele – viel Bewegung, viel Sport. Nebenbei helfe ich ab und zu ein bisschen bei den Hausaufgaben, soweit es meine sprachlichen Fähigkeiten zulassen – also entweder in Mathe oder Englisch.
Wer hat Euch geholfen, den Aufenthalt in Kirgisistan zu organisieren?
Philipp: Wir nehmen an dem Regierungsprogramm „Weltwärts-Dienst“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung teil. Diese Programme werden immer von Trägerorganisationen angeboten, die nicht unbedingt Regierungsorganisationen sein müssen.: Uns hat der „Verein für internationalen und interkulturellen Austausch“ (VIA .e.v.) unterstützt. Das ist eine relativ kleine Nichtregierungsorganisation. Sie hat vier Freiwillige nach Bischkek vermittelt. Wir sind aber wohl die einzigen Zivildienstleistenden in Kirgisistan.
Wie kommt ihr zurecht? Wie steht es mit euren Sprachkenntnissen?
Philipp: Sicher ein bisschen besser als vor drei Monaten, als ich frisch angekommen war, da konnte ich gar kein Russisch. Es reicht, um auf dem Basar etwas einzukaufen oder einfache Dinge auszudrücken. Ich sollte keine Diskussion über Politik anfangen, dafür reicht es nicht. Aber viele Leute hier sind sehr entgegenkommend und versuchen einen auch zu verstehen.
Emanuel: Russisch war meine zweite Fremdsprache in der Schule. Meine Kenntnisse zu verbessern war auch ein Beweggrund nach Kirgisistan zu kommen. Ich komme im alltäglichen Leben einigermaßen zurecht. Auf Arbeit hier spricht niemand Deutsch oder Englisch, das heißt, dort kann und muss ich mich ausschließlich auf Russisch unterhalten.
Wo seid ihr hier untergebracht?
Emanuel: Ich lebe bei einer kirgisischen Gastfamilie mit einem 18-jährigen Gastbruder, einer 20-jährigen Gastschwester und deren Mutter. Die Familie kommt eigentlich aus Osch, wo der Rest der Verwandtschaft lebt, und meine Gastfamilie auch hin und wieder mal hinfährt. Es ist recht interessant, da ich in der Familie mehr noch als auf der Arbeit das kirgisische Leben mitbekomme.
Philipp: Ich war anfangs auch in einer Gastfamilie. Ich bin aber gerade in eine WG mit zwei Kirgisen gewechselt, einfach um mal ins WG-Leben zu schnuppern und um so noch mehr Kontakt zu haben. Der Begriff „Gastfamilie“ sagt das ja schon, dass man „Gast“ ist. So habe ich mich dann auch die ganze Zeit über gefühlt. In einer WG bin ich Mitbewohner, das ist doch ein anderes Gefühl.
Wie gefällt es Euch in Bischkek?
Philipp: Ich bin mit meiner Entscheidung, hierher zu gehen, auf keinen Fall unzufrieden.
Emanuel: Ich fühle mich eigentlich sehr wohl. Gerade anfangs gab es jeden Tag eine Fülle neuer Eindrücke und sehr viel zu erleben und zu lernen, denn ich war vorher noch nie in einer Kultur, die sich so stark von meiner unterscheidet. Vor allem freue ich mich natürlich auf den Frühling, weil dann hoffentlich die Bäume ausschlagen und alles ein bisschen grünt.
Was gefällt euch besonders hier?
Philipp: Dass es so vieles gibt, das anders als zu Hause ist. Das fand ich in den ersten Monaten einfach beeindruckend. Es gibt auf jeden Fall Dinge, bei denen ich sagen würde, sie sind besser. Der Zusammenhalt in Familien ist, denke ich, hier sehr viel stärker ausgeprägt als in Europa.
Emanuel: Mir gefällt hier besonders der Umgang mit den Menschen. Ich treffe auch sehr viele andere Ausländer. Sich neben der Arbeit abends auszutauschen ist sehr interessant.
Habt ihr auch Negatives zu berichten?
Philipp: Es gibt am Anfang immer mal frustrierende Verständigungsschwierigkeiten. Aber das habe ich auch erwartet. Das ist fast unvermeidbar.
Emanuel: Neben allen kulturellen Unterschieden, die man natürlich vor allem zu Beginn eines Auslandsaufenthalts wahrnimmt, ist die Lebensqualität hier an sich sehr gut. Was vielleicht ein Minuspunkt ist, aber auch kein wirklich schlimmer, ist die Temperatur bei mir zu Hause in der Wohnung. Die fällt nachts manchmal ein bisschen …
Was macht ihr in eurer Freizeit?
Emanuel: Am Wochenende oder abends treffe ich mich oft mit Freunden. Wir sind auch schon oft in Richtung Süden in die Berge gefahren, um dort zu wandern. Über die Weihnachtsferien habe ich am Issyk-kul, in Karakol, Ski-Urlaub gemacht.
Philipp: Etwa so ist es bei mir auch. Man trifft interessanterweise ziemlich viele Ausländer hier. Dieses Netz an Ausländern, die sich alle irgendwie untereinander kennen, fasziniert mich. Wenn ich irgendeinem Amerikaner von irgendeinem Briten erzähle, ist es sehr wahrscheinlich, dass er sagt: „Ach ja, den kenne ich von dort und dort …“
Also habt ihr mehr Kontakte zu anderen Deutschen und Ausländern als zu Kirgisen?
Philipp: Ja, bei mir ist es schon so. Man ist ja Ausländer und fühlt sich dadurch den anderen Ausländern verbunden. Da ist etwas Gemeinsames, worauf man ein Gespräch aufbauen kann.
Emanuel: Ich treffe viele Ausländer, aber mittlerweile sind auch einige Kirgisen dazugekommen, die ich relativ gut kennen gelernt habe. Das sind dann wiederum meist Kirgisen, die Deutsch sprechen, mit denen ist es leichter, ein Gespräch zu führen. Mit Kirgisen, die weder Deutsch noch Englisch sprechen, habe ich eher weniger Umgang, ausgenommen mit meiner Gastfamilie.
Wie lange dauert euer Einsatz als Zivildienstleistende in Kirgisistan?
Philipp: Mindestens elf Monate. Wir sind am 26. September gekommen und müssen mindestens bis Ende August bleiben.
Habt ihr schon Pläne für die Zeit nach eurem Zivildienst?
Philipp: Die Frage kann ich schnell beantworten – nein.
Emanuel: Ich habe schon Pläne, ich will Medizin studieren.
Das Interview führte Gerald Siegler.
30/01/09