Mit einem Buch dem tristen Alltag entfliehen – das ist ein Wunsch, den „Turboclean, Scholl und Ruah“ mit Sicherheit erfüllt. Es ist die Erzählung einer Mutter, die versucht, in die Welt ihrer „etwas anderen“ Tochter Jasmin vorzudringen. Von tristem Alltag herrscht bei ihnen zuhause keine Spur.

/Bild: Privat. ‚In erster Linie Mutter, in zweiter Autorin: Jacqueline Otto’/

Das etwas andere „Abenteuer Kind“ – das ist Jasmin für ihre Eltern schon als Neugeborene. Sie brüllt tage-, ja monatelang wie am Spieß und kann sich nicht beruhigen. Sie hat Abneigungen aller Art: Gegen Geräusche und – für alle unverständlich – sogar gegen den Fußboden. Später gipfelt ihr ungewöhnliches Verhalten sogar in Autoaggressionen: Jasmin beißt sich selbst und rennt an schlechten Tagen schon mal mit dem Kopf gegen sie Wand. Kurzum, die kleine Blondine, die eigentlich aussieht wie ein Engel, strapaziert die Nerven ihrer Eltern gehörig. Und sie möchte sich auch im Laufe der Zeit nicht in eine Prinzessin verwandeln.
„Meine Tochter ist anders“, akzeptiert Jasmins Mutter Jacqueline Otto eines Tages. Damit gibt sie den Startschuss für einen lebenslangen Kampf um jedes kleinste Stückchen Selbstständigkeit für Jasmin, der nur mit viel Liebe zu meistern ist.

Ein Kampf, bei dem es nur Siege gibt

Es ist eine nervenaufreibende Schlacht, die jeden Morgen aufs Neue begonnen werden muss: Dinge, über die andere Menschen gar nicht nachdenken müssen, sind für Jasmin ein hartes Stück Überwindung. Es beginnt mit dem Anziehen, geht weiter beim Essen und endet erst, wenn Jasmin endlich eingeschlafen ist. Selbst an natürliche Bedürfnisse wie dem aufs Töpfchen-Gehen, muss sich Jasmin erst in einem langwierigen Prozess gewöhnen, bis auch das endlich zum Ritual geworden ist – Rückfälle inklusive.

Für Jacqueline Otto ist ihre kleine Tochter eine Umstellung, die nebenbei weder Job noch Hausarbeit zulässt: Jeder noch so kleine Sieg fordert eine 24-Stunden lange Aufopferung – doch für die Mutter ist es ein Kampf, der sich lohnt. Gerüstet ist Jaqueline Otto dabei nur mit zwei Dingen: Geduld und Liebe.

Kleines Mädchen mit großem Herz für Tiere

Jasmins Welt ist anders. Hier haben der Duschkopf, der Hornhauthobel und das Badeentchen eine eigene Persönlichkeit und sie heißen Turboclean, Scholl oder Ruah. Denn für Jasmin ist es leichter, mit Gegenständen umzugehen, die ihr Angst machen, wenn sie zum Leben erwachen.

Vielleicht sucht das kleine Mädchen aber auch Leidensgenossen. Denn so wie mit dem Duschkopf ist es auch mit Jasmin selbst: Ihre Sprache ist für Fremde nicht verständlich. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn Jasmin auf ihr nacktes Bein deutet und dabei lauthals „gack, gack“ ruft? Ihr Bein sieht aus wie das einer Ente? Da rätselt selbst die Mutter lange, bis sie auf die Lösung kommt: „Jasmin verwendet „gack, gack“ auch für Gans. Auf ihrem Bein hat sich mittlerweile eine „Gänsehaut“ gebildet.“

Den Kontakt zu fremden Menschen scheut Jasmin zwar, dafür hat sie einen fast mediumartigen Draht zu Tieren und der Natur: Da muss vor dem Einschlafen schon mal jeder Baum am Straßenrand umarmt werden und über die Scheckenkolonie auf dem Parkweg geht die kleine Jasmin nur mit Riesenschritten.

Jasmin ist für ihre Eltern trotz allem ein „kleiner Engel“. Immer wieder verblüfft sie sie mit ihrem Elefantengedächtnis. Und Jasmin liebt Musik, besonders Xavier Naidoo.

Eine Reise in eine andere Welt

„Dieser Weg wird kein leichter sein – doch dieses Leben bietet so viel mehr“, singt der und spricht damit auch gleich das Motto des Buches aus. „Turboclean, Scholl und Ruah“ zeigt, dass vieles erreichbar ist, solange eines nicht fehlt: Uneingeschränkte Liebe. Ein Buch, das ähnlich Betroffenen Mut machen will, dabei aber nicht nur Betroffenen Mut macht.
„Ich habe das Buch geschrieben, da ich, als ich die Diagnose bekam, fast nur Bücher von Fachleuten oder von selbst Betroffenen gefunden habe. In meinem Buch findet man keine der beiden Sichtweisen“, erklärt Jasmin Otto. Tatsächlich verzichtet „Turboclean, Scholl und Ruah“ bis zu den letzten Seiten auf objektive Befunde. Jasmins Geschichte ist die rein subjektive Reise einer „Außenstehenden“ – wie sich die Mutter Jaqueline Otto selbst beschreibt – in eine andere Welt.

Welche Diagnose Jasmin eigentlich hat? – Im Grunde eine Nebensache. Denn nicht nur die hingebungsvolle Mutter ringt dem Leser am Ende des Buches gehörigen Respekt ab. Auch die Kleine selbst besitzt in ihrem zarten Alter eigentlich schon etwas, das manche ihr Leben lang nicht haben: Eine eigene starke Persönlichkeit.

Von Andrea Rüthel

09/04/10

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