Auf die Frage, was ich schon über Bischkek gehört hätte, lautete meine ehrliche Antwort vor kurzem noch – nichts! Nun, nach einer Woche in Bischkek habe ich gelernt, mit einer Schöpfkelle zu duschen, dass die Erdbeeren in Kirgisistan die besten der Welt sind, und warum modern nicht gleich gut ist: Ein kleiner Reisebericht aus einer Stadt, deren Namen ich erst einmal googeln musste.

/Bild: Anja Greiner. ‚Am deutschen Bratwurststand findet sich sogar ein Stück Deutschland mitten in Bischkek.’/

Klein und schemenhaft erscheinen die schneebedeckten Berge am Horizont und lösen allmählich die kahle, hügelhafte Kulisse der Steppe ab. Kleine Häuschen und die für Zentralasien typischen Stände am Straßenrand beginnen das Ende einer knapp vierstündigen Fahrt durch öde Steppenlandschaft von Almaty in Kasachstan nach Bischkek in Kirgisistan abzuzeichnen.

Ungefähr zeitgleich mit der Ankunft auf dem Busbahnhof in Bischkek, bei über 35 Grad, erwacht dann auch der Wunsch nach einer kalten Dusche. Doch getreu dem Motto: Sei vorsichtig, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen, sollte man manche Wünsche mit Bedacht äußern. Und so kann sich die Nachricht, dass es für die Zeit, die ich in Bischkek sein werde, leider kein warmes Wasser gibt, einem gewissen Anflug von Ironie nicht erwehren.

Eine eigene kleine Welt am Rande Bischkeks, der Dordoi Basar.

Die Abwesenheit des warmen Wassers betrifft jedoch nicht nur mich. Vielmehr betrifft es, für die Zeit von Anfang Mai bis Anfang Juni, die ganze Stadt, in der das Wasser jedes Jahr um diese Zeit abgestellt und so Energie für den Winter gespeichert wird. Der Gedanke, dass es nicht nur mir so geht, ist tröstlich, wenn ich morgens in der Küche sitze und warte, bis das Wasser im Topf zu kochen beginnt. Das heiße Wasser wird anschließend in eine Schüssel in der Badewanne geschüttet, mit kaltem Wasser gemischt und schließlich mit einer Art Schöpfkelle, im besten Fall gleichmäßig über den Körper gegossen. Bereits mit dem zweiten Tag wird dieser Vorgang zur Routine, die lediglich durch das regelmäßige Herabstürzen des Duschvorhangs noch gestört werden kann.

Eine gewisse Routine stellt sich auch darin ein, das Sättigungsgefühl beinahe gänzlich zu ignorieren und zu lernen, dass die Worte „Nein danke, ich bin wirklich satt“ nachdem ich bereits mehr als das Doppelte dessen, was ich normalerweise esse, gegessen habe, die Menschen in keinster Weise davon abhalten, einem noch eine Portion des typischen Reisgerichts Plow oder der mit Hackfleisch gefüllten Teigtaschen Pelmeni vorzusetzten.

Einfach immer geradeaus

Hat man sich erst einmal damit abgefunden und das Wort Hunger vollständig aus seinem Sprachschatz gestrichen, tut man am besten daran, sich auf den Weg zu machen und die Stadt zu Fuß zu erkunden. Sehe ich, als ungeübter Ausländer, bei den Fahrten in den kleinen Bussen, genannt Marschrutka, doch nie wo und wann ich eigentlich aussteigen muss.

„Die Orientierung in der Stadt ist total leicht: Du läufst einfach immer geradeaus, und irgendwann biegst du ab und läufst dann wieder geradeaus“. Mit diesen Worten macht mich meine Bekannte aus Bischkek mit dem quadratisch angeordneten Straßensystem der Stadt vertraut. Und ihre Freundin fügt beinahe entschuldigend hinzu: „Wir haben hier in Bischkek nicht viele Sehenswürdigkeiten, aber dafür ist die Stadt sehr schön“.

Wie sich herausstellte, sollte sie damit recht behalten: Wer braucht schon einen 300 Meter hohen Stahlfachwerkturm, der nach einem gewissen Gustave Eiffel benannt ist, oder ein in der römischen Antike erbautes Amphitheater, wenn er eine Stadt vor sich hat, deren Straßen von unzähligen kleinen Märkten und blühenden Bäumen gesäumt werden. Deren atemberaubende Bergkulisse einlädt zum stundenlangen Verweilen und deren staubbedeckten Gehsteige zwar kaum zwei nacheinander folgende Schritte zulassen, ohne über eine Wölbung des Teers zu stolpern oder in ein Loch hineinzutreten, deren Erdbeeren aber die besten sind, die ich je gegessen habe.

Eine eigene kleine Welt am Rande Bischkeks

Eine Sehenswürdigkeit gibt es dann aber doch noch, auch wenn sie von den Einheimischen selten als solche betrachtet wird: Den Dordoi-Basar, der größte Basar in Zentralasien. Und so stößt mein Vorschlag, dorthin zu gehen, bei meiner Bekannten nicht gerade auf Begeisterung, und als sie erfährt, dass ich dort nicht einmal die Absicht habe, etwas zu kaufen, sondern mir lediglich das Geschehen dort anzusehen gedenke, sieht sie mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Amüsement an und meint: „Was, nur schauen? Du wirst die erste sein, die auf dem Basar nur schauen will!“

Nun, für eine Europäerin wie mich, für die der Besuch eines Basars nicht bereits zur ersten Laufübung dazugehörte, gibt es tatsächlich einiges zu sehen, zu hören und zu riechen. Es ist eine eigene kleine Welt voller neuer Sinneseindrücke, die sich da am Rande Bischkeks auf mehreren tausend Quadratmetern auftut: Taschen, Kleider, Schuhe, Geschirr, Teppiche, Spielzeug, Wasserkocher, Bügeleisen, Lampen, kleine Jurten aus Filz sind nur einige der Waren, die sich in den zu Verkaufsständen umfunktionierten Containern, wie man sie bei uns sonst nur am Hafen findet, stapeln.

Die Gassen sind eng, das Gedränge ist groß. Und dennoch, hat man sich erst einmal daran gewöhnt, ungefähr alle drei Minuten mit einem gekonnten Schritt zur Seite zu hechten, um nicht von den Männern, die die beladenen Wagen durch die engen Gassen ziehen, auf Russisch angeschrien oder gleich überfahren zu werden, kann man beinahe gemütlich durch die endlos scheinenden Gänge voller Waren schlendern und die einzigartige Atmosphäre auf dem Basar genießen.

Wieder zurück in Almaty, erkenne ich dann zum ersten Mal wirklich, wie modern und westlich die Stadt eigentlich ist: Riesige Einkaufszentren und hohe, verglaste Bürokomplexe zieren das Zentrum der Stadt. In Bischkek sind solche Bauten bisher noch eine Ausnahme. Doch in absehbarer Zeit werden auch dort vermehrt Hochhäuser mit gläsernen Fronten stehen, die das Licht der Sonne anziehen und es in gebündelter Form grell und stechend reflektieren. Und so wie sie die Sonnenstrahlen anziehen, nehmen sie langsam auch den ursprünglichen Charme der Stadt in sich auf. Nur dass sie den nicht wieder zurückwerfen, sondern ihn einfach verschlucken.

Von Anja Greiner

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