Debattieren wie in einem englischen Debattierklub? Warum sollte das im Deutschunterricht nicht möglich sein? In der DSD-Schule Nr. 18 in Almaty startete am 15. Februar unter Leitung von Frauke Woitsch und Nazgul Shinshinova ein Pilotprojekt: In Pro- und Contra-Teams diskutierten Schüler der zehnten Klasse zum komplexen Thema „Genfood – Risiko oder Chance?“ – und das mit großem Erfolg!

„Damit erteile ich dem Pro-Team das Wort!“ Mit diesem Satz eröffnete die Moderatorin in der Schule Nr. 18 in einwandfreiem Deutsch die Debatte. Rechts von ihr saßen die drei Mitglieder des Pro-Teams, welche in ihren schicken dunklen Kostümen und Anzügen festlich herausgeputzt waren. Links von ihr machten sich schon die Redner des Contra-Teams für ihren Auftritt bereit. Schließlich ging es um Sieg oder Niederlage: das Team mit den besten Argumenten und der brillantesten Rhetorik sollte gewinnen!

Nikita, der erste Redner aus dem Team „Pro“, begann seine Argumentation: Lebensmittel könnten durch Genmodifizierung in ihrer Qualität verbessert werden, deshalb seien er und seine Mitstreiter für den Konsum und die Verbreitung von Genfood. Dank genmodifizierter Grundnahrungsmittel sei es in Zukunft möglich, die durch Dürren und Überschwemmungen grassierenden Hungersnöte in den Entwicklungsländern zu bekämpfen.

Nikitas anfängliche Aufregung verschwand im Redefluss völlig – seine Sprachkenntnisse und auch sein Redestil waren beeindruckend. Genau drei Minuten hatte er Zeit für seine Rede, danach ertönte das Signal des strengen Zeitnehmers. Auch auf eine Zwischenfrage des Contra-Teams wusste er eine Antwort: Die bessere Lebensmittelqualität könne durchaus durch kontinuierlich laufende Forschungen sichergestellt werden.

Nun war das Gegenteam an der Reihe und vertrat die entgegengesetzte Position: Alexander behauptete, dass es durch Genfood für Mensch und Umwelt mehr Risiken als Fortschritt gäbe. Das fängt schon beim Kauf von Lebensmitteln mit genmanipulierten Eiweißen an und hört bei Allergien und Krankheiten der Konsumenten auf, meinte er. Sein Fazit: Niemand könne garantieren, dass genmanipulierte Lebensmittel gesund und unbedenklich seien. Sogleich führte er einen Beweis an: Aufgrund des Konsums von Genfood seien schon Menschen gestorben.

Das Pro-Team ließ nach der Rede von Alexander nicht lange auf sich warten: Man könne das Erkrankungsrisiko verringern, und außerdem muss es doch eine „Goldene Mitte“ im Umgang mit Genfood geben! – „Die Menschheit ist einfach noch nicht bereit für Genfood!“ war die Antwort aus dem Contra-Team. Obwohl die Debatte zwischen beiden Gruppen immer mehr Fahrt aufnahm, lief sie jedoch trotzdem sehr gesittet und taktvoll ab.

Die Jury und die Gäste beobachteten gespannt das Szenario, bis alle drei Redner aus jeder Gruppe ihre Argumente vorgetragen hatten. Letztendlich konnte keiner den anderen überzeugen. Das Fazit der Befürworter hieß eindeutig: Gentechnik ist nötig, aber nur in Verbindung mit Normen und technischem Fortschritt! Die Gegner von genmanipulierten Lebensmitteln beharrten in ihrem Fazit darauf, dass der Mensch nicht in die Natur eingreifen sollte.

Nun näherte sich der Moment der Wahrheit: Welches Team hatte die Jury überzeugt und war nun Sieger des Debattierklubs? Es ging nicht darum, zu zeigen, wer Recht und wer Unrecht hatte. Die Jury, die ebenfalls aus Schülern der 10. Klasse bestand, einigte sich mit vier zu drei Stimmen auf den Sieg des Pro-Teams! Nikita und seine Mitstreiter waren glücklich – soviel Arbeit steckte in den paar Minuten Redezeit, soviel Recherche!

Im Vorfeld wurden die Schüler per Losentscheid ganz objektiv für die beiden Teams ausgelost. Innerhalb von nur zwei Wochen mussten sich die Teams auf ihre Auftritte vorbereiten. Ausgangspunkt für die Debatte war ein Lehrbuchtext für die 10. Klasse mit dem aktuellen Thema „Genfood – Segen oder Fluch?“ Dieses Thema interessierte die Fünfzehn- und Sechzehnjährigen am meisten, denn mittlerweile sind genmanipulierte Lebensmittel schon allgegenwärtig.

Mit der neuen Unterrichtsmethode des Debattierens erfahren die Schüler zum einen, wie es ist, in eine Rolle zu schlüpfen und eine gewisse Position zu vertreten. Zum anderen lernen sie, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und andere Meinungen zuzulassen.

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Kommentare:
Was ist das Besondere am „Debattieren“ als Unterrichtsmethode? Was versprechen Sie sich als Lehrkraft an der Deutschen Schule davon?

ZfA-Fachberaterin Frauke Woitsch: „Das Debattieren als Unterrichtsmethode ist für Lehrer wie auch für Schüler eine neue Erfahrung, mit der man lernen kann, sich ein Thema selbständig anzueignen. Die Debatten könnten nun auch in anderen Fächern als Lehrmethode angewendet werden.

Der Vorteil von Debatten dieser Art, die ihren Ursprung in britischen Unterhausdebatten hat, ist, dass alle Schüler einer Klasse einbezogen werden. Die einen als Redner, Vorsitzende und Zeitnehmer, die anderen als Jurymitglieder. Und man gibt nicht nur Gehörtes und Gelesenes wieder, sondern man setzt sich mit verschiedenen, auch widersprüchlichen Aspekten des Themas auseinander. Alle kommen zu Wort, und jeder kann seine Meinung äußern. Bei jedem der zahlreichen Beteiligten ist zudem volle Konzentration gefordert.“

Deutschlehrerin Nazgul Shinshinova: „Das Debattieren ist eine neue Art des Unterrichtens. Die Schüler lernen durch das Debattieren, dass sie ein Thema von allen Seiten beleuchten und nicht immer nur die eigene Meinung wichtig ist. Sie lernen zuhören und andere zu Wort kommen lassen. Rhetorisch ist es für die Schüler eine Herausforderung. Außerdem ist es schon eine Kunst, frei vor dem Publikum zu sprechen. Beim Debattieren entwickeln die Schüler darüber hinaus wichtige Fähigkeiten wie z.B. in einem Team zu agieren.
Natürlich müssen bestimmte Regeln eingehalten werden, wie: „Niemand darf den Redeanteil des Gegenübers stören oder unterbrechen“ oder der generelle Ablauf, der durch den Moderator koordiniert wird, das Fragenstellen. Die Meinung der Jury kommt immer zum Schluss – was alles wichtige Punkte sind, auf die man beim Debattieren achten muss.“

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Debattieren und die Philosophie,  die dahinter steckt
•    Grundaussage: Manche (jungen) Menschen neigen dazu, sich von den falschen Leuten beeinflussen zu lassen.
•    Wenn wir debattieren, ist unsere persönliche Meinung nicht ausschlaggebend.
•    Wir schlüpfen z.B. in die Rolle eines Menschen, der eine entgegengesetzte Meinung hat.
•    Debattierer  gehen davon aus, dass es immer andere Sichtweisen gibt, als unsere eigene.
•    Debattieren heißt Beleuchten eines Themas von allen Seiten.
•    Das Publikum wird respektiert.
•    Wir wollen, das das Publikum sich selbst ein Bild macht durch die Vorstellung der verschiedenen Aspekte, also der „ganzen Geschichte“.
•    Es geht um Gedanken und Ideen, nicht um Personen.
•    Es geht darum, persönliche Beleidigung zu verhindern, wenn jemand eine andere Meinung als die unsere vertritt.

Von Malina Weindl

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