Die 79jährire Emma Waschkau weiß von einem Leben voller Arbeit zu berichten. An Auswanderung aus Kasachstan hat die deutschstämmige Frau nach eigenen Angaben jedoch nie gedacht.

Über ihr Leben und allem voran ihre schwere Kindheit möchte mir die heute 79jährige Emma Waschkau erzählen, die in einem kleinen Dorf namens Scheskent in Ost-Kasachstan, nahe der russischen Grenze, lebt. Schon zu Zeiten Katharinas II. waren ihre Vorfahren ins Russische Reich gekommen, weil es hier reichlich Raum zum Bebauen gab. Emmas Kindheit fiel in die Zeit des Zweiten Weltkrieges und war wie bei fast allen Menschen, die diese Zeit miterlebten, sehr schwierig und entbehrungsreich. So musste Emma von Kindheit an viel arbeiten, ja sie sogar besonders viel, denn sie war das einzige Kind ihrer Eltern. Als sie im neunten Lebensjahr war, wurden ihre Eltern in die Arbeitsarmee eingezogen, und sie war plötzlich auf sich allein gestellt. Sie kam bei Nachbarn unter, wo sie den ganzen Tag arbeitete, um dafür lediglich Nahrung zu bekommen. Dort kümmerte sie sich um die Tiere des großen Bauernhofes und passte auf die Kinder auf.

Auszeichnungen für Jahrzehnte der Arbeit

Die Zeit verging, und Emma wurde erwachsen. Sie heiratete, wurde Mutter von vier Kindern (heute darf sie auf zwölf Enkel und dreizehn Urenkel schauen!) und fand in der örtlichen Kolchose eine Anstellung als Melkerin. Stolz erzählt sie, dass sie nach 33 Jahren fleißiger Arbeit von der Regierung mit den Auszeichnungen „Pionierin der kommunistischen Arbeit“ sowie der Silber- und Goldmedaille „Verdiente Arbeiterin der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ ausgezeichnet wurde.

Dabei beginnt sie, auch etwas über die Zeit des Kommunismus in Kasachstan zu erzählen. Dies sei eine glückliche Zeit für alle gewesen. Da sie jung gewesen sei, habe sie auch an eine glückliche Zukunft geglaubt. Heute interessiert sie sich zwar nicht groß für Politik, dennoch findet sie die Politik des kasachischen Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajev sehr weise, denn nicht jeder Präsident sei fähig, einen so großen Staat zu leiten, in dem so viele Völker friedlich miteinander leben.

Nicht nur, weil sie deutschstämmig ist, hat Emma heute noch einen besonderen Bezug zu Deutschland, sondern auch weil dort eine ihrer Töchter, Anna, mit ihren Kindern und Enkeln lebt (in Schorndorf unweit von Stuttgart). Zudem wohnen mehrere Freunde in Köln. Emma unterhält sich mit allen regelmäßig über das Internet, und manchmal bekommt sie von ihnen sogar Besuch in Kasachstan. So hat sie einiges über das heutige Deutschland erfahren und ihr gefällt, dass dort überall Sauberkeit und Ordnung herrscht. Warum ist sie nicht selber nach Deutschland umgesiedelt, obwohl sie doch sehr gut Deutsch spricht und dort Verwandte hat, möchte ich wissen. „Ehrlich gesagt, daran habe ich nie gedacht“, gibt sie zur Antwort. Denn hier in Kasachstan sei sie geboren worden, hier in Kasachstan habe sie ihre Kindheit und Jugend verbracht, und hier in Kasachstan sei sie mit den wichtigsten Ereignissen ihres Lebens verwurzelt. Außerdem mag sie die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Menschen hier, mit denen sie weiter zusammenleben möchte. Und schließlich sei ihr Mann ein Ukrainer, der würde nie ins westliche Europa umziehen wollen.

Die glücklichsten Momente im Leben

Als Emma auf ihr Leben zurückblickt, erzählt sie uns, dass sie, als sie noch nicht alt war, die Welt bereisen, Sehenswürdigkeiten bestaunen und lernen wollte, wie die Leute in anderen Ländern leben. Dieser Wunsch wurde immerhin teilweise erfüllt: Sie kam in die sowjetischen Metropolen Taschkent, Kiew und Almaty, und ist froh darüber, dass sie so viel zu sehen bekam. Auf die Frage, was ihr glücklichster Moment im Leben war, antwortet sie, dass es bei ihr wie bei so vielen anderen Frauen sei: Die Hochzeit und die Geburt ihrer Kinder gehörten zu diesen unvergesslichen glücklichen Momenten. Gäbe es eine Zeitmaschine, dann würde sie diese glücklichen Momente gerne noch einmal erleben wollen. Eigentlich könnte in ihrem Leben alles so bleiben wie es ist, wenn denn nur die Gesundheit ein bisschen besser wäre.

Schließlich kommt Emma auf die heutige Zeit zu sprechen. Obwohl sie den Kommunismus für eine glückliche Epoche hält, meint Emma, dass die heutige Zeit besser sei. Denn die Jugend von heute habe viel mehr Möglichkeiten, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen. Die Ziele sind heute viel greifbarer, als für die Jugendlichen der damaligen Zeit des Kommunismus. Das Wichtigste aber sei, und das gibt sie den Jugendlichen als Ratschlag, nicht zu faulenzen.
Auch habe in den heutigen Tagen die Technologie das Leben sehr viel einfacher gemacht, findet Emma. Handys, Computer, automatische Waschmaschinen – „jetzt haben doch die Leute alles, was sie brauchen“. Hätte es solche Technologien schon zu ihrer Jugendzeit gegeben, dann wäre ihre Gesundheit heute wohl in einem viel besseren Zustand. Aber in diesen Technologien liege auch eine Gefahr. Es droht nämlich, dass man bewegungsarm lebt. Deswegen rät sie den Jugendlichen, Sport zu treiben und ein gesundes Leben zu führen. Zum Abschluss wünscht sie allen Jugendlichen, dass sie niemals solch schwierige Zeiten erleben mögen, wie deren Großeltern und Urgroßeltern sie während des Krieges erlebt haben.

Die kasachische Autorin Laura Kustaubajewa ist erst 15 Jahre alt und lernt am 12. Gymnasium sowie am Sprachlernzentrum von Ust-Kamenogorsk Deutsch.

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Projektbeschreibung

Wie verlief eine Kindheit in Zeiten des leidvollen deutsch-sowjetischen Krieges in Russland? Wie verlebte man dort die Jugend in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit? Wie entwickelte sich dann das Leben in der aufblühenden großen Sowjetunion weiter? Und was für Erkenntnisse und Weisheiten hat ein alter Mensch erlangt, der nun auf sein Leben zurückblickt?

Solche und ähnliche Fragen stellten junge Kursteilnehmerinnen des Sprachlernzentrums in ihrer Stadt Öskemen (russisch: Ust-Kamenogorsk; Hauptstadt des Bezirks Ostkasachstan) an altes deutschstämmige Menschen. Sie trafen sich mit diesen Leuten bei einer Tasse Tee und sprachen über deren Leben. Darauf hielten sie ihre Eindrücke in Aufsätzen fest. Diese Aufsätze sollen nun mit den DAZ-Lesern in einer Serie geteilt werden.

Es fiel auf, dass die befragten Menschen in den ohnehin schwierigen Zeiten des Weltkrieges und der Nachkriegszeit aufgrund ihrer deutschen Herkunft zusätzliche Schwierigkeiten erleiden mussten. Da ist zum Beispiel die heute 85-jährige Nelly Melnikowa. Sie wollte ihre große Leidenschaft Literatur studieren. Da aber Deutschen ein Studium im Bereich der Politik und der Gesellschaftswissenschaft zunächst verwehrt war, musste sie von diesem Traum Abstand nehmen. Oder Emma Waschkau, die als neunjähriges Mädchen ihre Eltern zeitweise verlor, weil diese in die Trudarmee eingezogen wurden. Ein ganz anderer Gesprächspartner ist Anatoli. Dieser ist zwar Russe, aber dennoch hat er einen ganz besonderen und interessanten Bezug zur deutschen Kultur: als 72-jähriger Rentner lernt er noch immer aktiv Deutsch und teilte mit uns auch seine Ansichten über Deutschland und das Lernen im Alter.

Daniel Gallmann (35) ist Sprachassistent des Goethe-Instituts am Sprachlernzentrum Öskemen

Von Laura Kustaubajewa

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