Lange galt als ausgemacht, dass Amerikas Stern im Sinken ist, während die wirtschaftliche Zukunft China gehört. Kolumnist Bodo Lochmann erklärt, warum dieses Schwarz-Weiß-Schema wohl doch zu undifferenziert ist.

Die Weltwirtschaft befindet sich in ständiger Bewegung und das nicht erst seit Beginn der Globalisierung. Der de-facto-Wegfall der Schutzfunktion von nationalen Grenzen erleichtert einerseits Unternehmen aus allen Ländern den Zugang zu den attraktivsten Weltmärkten, andererseits ist man dort aber auch einem hohen Konkurrenzdruck ausgesetzt und hat auch bei errungenen stabilen Marktpositionen kein ruhiges Leben mit Bestandsgarantie. Dabei kommen nicht nur Unternehmen aus Ländern auf die Märkte, mit denen man vorher überhaupt nicht rechnen konnte, sondern auch die Newcomer der jüngsten Zeit müssen Federn lassen. Auch alte, von manchen schon abgeschriebene Volkswirtschaften erwachen zu neuem Leben und bestätigen den Spruch, wonach Totgesagte eher länger leben.

Im Moment sind in der Weltwirtschaft wieder mal die Anfänge gravierender Strukturveränderungen zu studieren, die teilweise nicht ganz in klassische Erklärungsschemata passen. Das betrifft insbesondere die beiden größten Volkswirtschaften der Welt, also die USA und China. Das Erklärungsschema der letzten Jahre lautete in der Regel so, dass China als aufstrebende, exportstarke und ehrgeizige Wirtschaftsnation auf Dauer die Weltwirtschaft dominieren wird, während der Stern der USA langfristig im Sinken begriffen ist. Im finanziellen Bereich wird das vorwiegend daran festgemacht, das der amerikanische Staat enorme Schulden aufgehäuft hat, während die Chinesen fast so enorme Devisenreserven besitzen, die zu einem Großteil in Form von US-Wertpapieren existieren. Das ist im Moment auch Fakt und wird mit objektiver Notwendigkeit zu einer stärkeren internationalen Rolle der chinesischen Währung führen müssen. Doch hinter diesen Kulissen tut sich in letzter Zeit doch eine ganze Reihe von Dingen, die das einfache Schwarz-Weiß-Schema zu undifferenziert erscheinen lassen.

Zum einen stößt das über Jahre hinweg atemberaubende Wirtschaftswachstum Chinas offensichtlich nun doch an seine Grenzen; und zwar Grenzen unterschiedlicher Art. Da sind nicht allein, aber doch vor allem die gewaltigen ökologischen Belastungen und direkten Umweltschäden, mit denen dieses Wachstum erkauft wurde. Mittlerweile kann und will das Land diese Probleme nicht mehr ignorieren, und die neue Führung hat auch schon den Übergang zu einem eher qualitativen Wachstum verkündet. Das heißt, dass man in großem Stile Investitionen in den Umweltschutz tätigen will und muss, um die Volksgesundheit und damit den Produktionsfaktor Nr. 1 nicht weiter zu degradieren. Immerhin sterben mehrere hunderttausend Menschen jährlich in China direkt als Folge der schlechten Umwelt. Der neue Kurs aber bedeutet, dass ein Gutteil des Volksvermögens nicht mehr wie bisher direkt in Produktionswachstum umgesetzt werden kann, sondern nur indirekt. Folglich werden die Wachstumsraten Chinas sinken, langfristig auch dadurch, weil die Bevölkerung durch die langjährig praktizierte Ein-Kind-Ehe deutlich (auf unter eine Milliarde bis etwa 2060) zurückgehen wird.

In den USA hingegen hat der Staat finanzielle Probleme, kaum jedoch die Unternehmen. Den meisten amerikanischen Unternehmen, vor allem den größeren, ging es finanziell lange nicht so gut, wie in den letzten zwei, drei Jahren. Das sieht man rein äußerlich an den Rekordsummen von Dividenden, die an die Aktionäre ausgeschüttet wurden. Die Arbeitslosenrate in den USA sinkt wieder kräftig, auch weil eine Vielzahl von ausländischen Unternehmen in den USA investiert und so dort Arbeitsplätze schafft. Neben den traditionellen Gründen, also den attraktiven Rahmenbedingungen des weltweit größten (in Kaufkraft gemessenen) Binnenmarktes der Welt, kommt der neue Faktor der billigen Energie, die man jetzt in den USA vor allem in Form von Schiefergas in so großem Maße fördert, dass es bereits Überkapazitäten gibt, was die Energiekrise weiter fallen lässt. Auch deutsche Unternehmen zieht es in großem Stile zurück ins „gelobte“ Land. Mittlerweile sind die USA nach China für die deutschen Unternehmen zum größten Wachstumsmarkt geworden. So haben im vergangenen Jahr die meisten der in den USA tätigen deutschen Unternehmen ihre Absätze um 20 bis 30 Prozent steigern können. Spitzenreiter ist Volkswagen mit einem satten Umsatzplus von 31 Prozent und einem Gesamtumsatz von 32 Milliarden Euro. Absolut hat dort mit 41 Milliarden Euro nur Daimler mehr verkauft. Drei Viertel aller deutschen Unternehmen in den USA planen Neueinstellungen, weil die Party nach allen Prognosen vorerst weiter laufen wird.

Bei einer solchen guten Gesamtlage fühlt sich natürlich auch der geliebt-geschmähte US-Dollar pudelwohl. Er hat gegenüber den meisten anderen Weltwährungen wieder eine hohe Position erreicht. Demnach vertraut ein großer Teil der Weltwirtschaftsgemeinschaft trotz aller Finanzprobleme des Staates den USA als Wirtschaftsstandort mit Perspektive.

Bodo Lochmann

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