Am 13.04 präsentierte das Deutsche Theater unter der Regie von Natascha Dubs erneut eine Inszenierung in deutscher Sprache. Das Stück „Schlusschor“ von Botho Strauß besteht aus drei getrennten Akten, welche auf interpretative Weise den Umgang der Menschen mit dem Mauerfall 1989 darstellen.

Die drei Akte sind nicht miteinander verbunden und fokussieren weniger konkrete historische Ereignisse, sondern mehr die zwischenmenschliche Interaktion und individuelle Reaktion auf die Zeitgeschichte. Im ersten Akt spielen weder Zeit noch Namen eine Rolle. Ein Chor wird von allen Seiten fotografiert. Als musikalische Begleitung dient der Gesang des Chors mit deutschen Liedern wie „Waldesnacht“.

Im zweiten Akt erhalten die Figuren Namen, der Mauerfall bleibt jedoch reine Interpretation des Geschehens. Im dritten Akt wird die Zeit explizit benannt und die Reaktionen auf den Mauerfall werden klarer. Im Stück ertönt immer wieder der Zwischenruf „Deutschland“, welcher die zeitliche Periode über das Stück immer deutlicher markiert. Das Bühnenbild erinnert stark an die Berliner Mauer.

Beziehung zwischen Mensch und Staat

Im ersten Akt versucht ein Fotograf determiniert, einen chaotisch gekleideten, unorganisierten Chor als „ein Wesen“ zu fotografieren, welcher seine Anweisungen, sich anders anzureihen und aufzustellen, partout nicht befolgt. Durch die Interaktion zwischen dem Fotograf und dem Chor wird eine Parallele gezogen zur Beziehung zwischen Mensch und Staat. Chormitglied „M8“ beschwert sich lautstark, als er nach 100 Fotos nicht auf dem Bild zu sehen ist. Die Chorleute hinterfragen die Professionalität des Kameramannes, ähnlich wie DDR-Bürger es mit ihrer Regierung taten. Schließlich wird der Fotograf entkleidet und gewaltsam dem Blickfeld der Zuschauer entzogen.

Der zweite Akt behandelt eine einseitige Beziehung zwischen Lorenz und Delia. Lorenz verliebt sich in sie, nachdem er sie versehentlich nackt gesehen hat. Beide Charaktere stehen für die verschiedene Auffassung einer Erfahrung: dem Mauerfall. Das Versehen möchte Lorenz zu einem positiven Wandel, einer romantischen Beziehung führen, während Delia kein Interesse an einer neuen Beziehung zeigt. Als Lorenz von ihr abgelehnt wird, nimmt er sich das Leben.

Lorenz wird jedoch nicht nur als junger Verliebter dargestellt. In mehreren Szenen wird er vogelhaft beschrieben. Er verkörpert somit das Symbol der Bundesrepublik: den Adler.

Im dritten Akt wird der Mauerfall als historische Realität klarer. Während alle sich intensiv mit diesem historisch bedeutsamen Ereignis beschäftigen, ignoriert die Hauptfigur Anita die Gegenwart. Stattdessen klammert sie sich obsessiv an die Vergangenheit ihres Vaters, der von den Nazis erschossen wurde. Angeblich war dieser im Wiederstand. Über die Zeit wird jedoch klar, dass Anita mit dieser Darstellung nur ihre Augen vor der Geschichte verschließt. Sie zensierte sein Tagebuch und erntete dafür eine Menge Kritik. Trotz der Konfrontation mit den Fakten verweigert sie eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Wahrheit.

Anita packt schließlich der Wahnsinn: Sie tötet den Bundesadler, welcher in dieser Natasha Dubs-Inszenierung durch Lorenz verkörpert wird. Denn auch dieser Vogel konfrontierte die Heldin mit der Zensur. Diese Szene wird in einem Monolog Anitas dargestellt. Während der Chor Anitas Rede mit Gesang begleitet, tritt der Fotograf wieder auf, um den Chor zu fotografieren.

Die deutsche Geschichte hinterfragen

Das Ziel von „Schlusschor“ ist es, dass die Zuschauer ihre eigenen Reaktionen auf den Mauerfall und die deutsche Geschichte hinterfragen und einen Weg finden, mit unserer Geschichte umzugehen. Der Versuch, die Augen vor der Geschichte zu verschließen, wird dabei scharf kritisiert.

Das Stück endet mit den Worten von Lorenz: „Kopf hoch.“ Das Licht geht aus und die Schauspieler treten aus dem Schatten. Das Publikum klatscht, begeistert und in Gedanken versunken. Mit der Wende erfuhren die Menschen drastische Veränderungen, mit denen sich viele bis heute schwer tun. Auch Menschen wie Anita sind jedem Deutschen bekannt. Hier in Almaty schaffte es das deutsche Theater, eine Geschichte der Deutschen emotional und authentisch zu widerspiegeln.

Paola Roxana Rosenhauer

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