Der süße, fast klebrige Duft von Gummibärchen. Für viele ist er ein Stück Kindheit, für die russlanddeutsche Autorin und Journalistin Ira Peter aber ist er noch mehr: der Geruch Deutschlands. Als Kind öffnet sie in Zelinograd die Pakete der Verwandten aus der fernen Bundesrepublik, darin: bunte Haribo-Bärchen. Für sie damals die Verheißung einer ganzen Welt. „Ich dachte, ganz Deutschland riecht so“, sagt sie heute.

Die Biografie von Ira Peter ist tief in der Geschichte der Russlanddeutschen verwurzelt. Ihre Vorfahren stammen aus Ostpreußen und dem Habsburgerreich, siedelten im 19. Jahrhundert ins Zarenreich, in die heutige Westukraine. Unter Stalin wurden sie nach Kasachstan deportiert. Hier, in Zelinograd, dem heutigen Astana, kommt Ira 1983 zur Welt. Neun Jahre später, im Jahr 1992, geht die Familie nach Baden-Württemberg. Seit dem lebt sie zwischen zwei Welten – der kasachischen Steppe und der Metropolregion Rhein-Neckar, zwischen der Erinnerung und der Gegenwart.

„Deutsch genug?“ – eine Stimme für viele

Ihre Autobiografie trägt den Titel „Deutsch genug?“ und erschien im Frühjahr 2025. Darin erzählt sie ihre Geschichte, die ein Sinnbild ist für die Schicksale vieler anderer Russlanddeutscher, die in Deutschland bis heute oft ungehört bleiben. Doch Ira Peter will mehr: Sie möchte andere ermutigen, ihre eigenen Erinnerungen niederzuschreiben, damit aus verstreuten Stimmen ein vielstimmiger Chor wird.

Mit diesem Anliegen ist sie nach Almaty gekommen. Im Deutschen Haus versammelt sie Menschen zum Workshop über autobiografisches Schreiben. Die Stuhlreihen sind voll, die Stimmung vertraut. Hier sitzen Jugendliche, Frauen und Männer, die ähnliche Familiengeschichten teilen – Geschichten von Deportation, Hoffnung, Neubeginn. Mal werden sie leise erzählt, mal laut, von Lachen unterbrochen. Worte werden zu Ankern in einem Meer von Erinnerungen.

An diesem Tag wird nicht nur geschrieben, sondern es wird auch gedacht an die tausenden Russlanddeutschen, die einst nach Kasachstan deportiert wurden. Ja, es ist ein Gedenktag, an dem gemeinsam innegehalten und gesungen wird und an dem ein Kranz vor dem deutschen Haus niedergelegt wird. Niemand bleibt allein – das Gefühl von Gemeinschaft ist spürbar in jedem Gespräch.

Wenn Düfte zu Geschichten werden

Auch das Goethe-Institut in Almaty öffnet seine Türen für Ira Peter. Hier bringt sie jungen Journalisten und Interessierten die Kunst des Schreibens nahe: Von der präzisen Nachricht bis zur atmosphärischen Reportage, vom Interview bis zum kreativen Text. Einmal sollen die Teilnehmenden eine Reportage ausgehend von einem Duft verfassen – ganz so, wie der Geruch der Gummibärchen Ira Peters eigene Erinnerungen wachruft. Der Raum füllt sich mit Assoziationen: von frischen Rosen, alten Linoleum-Böden in Turnhallen und dem Geruch der Steppe.

Besonders betont Ira Peter dabei, wie wertvoll kulturelle Vielfalt für das Erzählen ist: Multiethnische Erfahrungen, sagt sie, weiten den Blick und ermöglichen neue Perspektiven. Gerade im journalistischen Arbeiten sei dieser Austausch ein Schatz, den es zu pflegen gilt. Eine Teilnehmerin des Workshops verlässt diesen am Ende mit einem Vorsatz: Sie will ihre Eindrücke künftig in einem eigenen Blog festhalten – inspiriert von der Begegnung und den Worten Ira Peters.

Erinnerungen, die Brücken bauen

Der Tag endet mit einer Lesung aus „Deutsch genug?“. Während Ira liest, sitzen die Zuhörer dicht beieinander. Manche nicken, weil sie Ähnliches in ihrer eigenen Familie erlebt haben. Andere hören fasziniert zu, weil sie mehr über die Geschichte der Russlanddeutschen erfahren wollen. Unterschiedliche Motive haben sie hierhergeführt – vereint aber sind sie im Moment des Zuhörens, im Austausch von Emotionen und Gedanken.

So schließt sich der Kreis: vom Duft der Gummibärchen über die Geschichten der Vergangenheit bis zu den Stimmen der Gegenwart. Es sind diese Begegnungen, die Geschichte lebendig machen – und ihr einen Geruch, eine Stimme, ein Gesicht geben.

Hanna Singer

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