Das Deutsche Theater in Almaty ist einzigartig – eine Insel europäischer Kultur mitten in Zentralasien, das einzige deutschsprachige Theater der ganzen Region. Am 27. September feierte es eine Premiere: Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön von Horváth, inszeniert von Gastregisseur Tilman Hecker aus Deutschland, vorgestellt von der künstlerischen Leiterin Natascha Dubs.

Eröffnet wird die Handlung in der Wachau, einer idyllischen Flusslandschaft unweit von Wien. Dort lebt der Hallodri Alfred (gespielt von Vladislav Litvin), der eine Beziehung mit Marianne eingeht, der Tochter eines Spielwarenverkäufers aus Wien (gespielt von Renata Klett). Die Szenenwechsel zwischen Wien und der Wachau gelingen mit verblüffender Einfachheit: Ein paar verschobene Podien, ein anderes Licht – schon ist das Publikum an einem neuen Ort.

Österreich in den 1920er Jahren

Die Beziehung zwischen Marianne und Alfred wird von beiden Familien missbilligt. Mariannes Vater hatte eine Hochzeit mit einem Fleischer arrangiert und Alfreds hartherzige Großmutter betrachtet die Verbindung als Schande. Die Charaktere entfremden sich immer weiter voneinander. Am Ende zerfällt das fragile Gefüge vollends – aus Alfred, Marianne und ihrem Kind wird keine Familie mehr, ihr gemeinsames Leben endet in einer bitteren Tragödie.

Horváths Stück spielt im Österreich der 1920er Jahre. Diese Stimmung wird zum Teil spürbar, insbesondere durch die Person des Rittmeisters (gespielt von Ilya Rassakhatskiy), der von seinem Kontrahenten beinahe zur Satisfaktion herausgefordert wird – ein altes Ritual der Ehrverletzung und Ehrverteidigung, das besonders im k.u.k-Militär Österreich-Ungarns verbreitet war. Auch der deutsche Jurastudent Erich, der immer wieder sein Gewehr auf das Publikum richtet und sich in militärischer Pose gibt, wirkt wie eine Vorahnung des heraufziehenden Faschismus.

Aufgebrochen wird diese Stimmung durch einzelne spielerische Elemente wie der Baseballkappe des Spielwarenverkäufers oder den zeitgenössischen Spielzeugwaren in seinem Geschäft. Es ist auch eine Stimmung wirtschaftlicher Krisen. Alfred hat wenig Geld und gerät darüber immer wieder in Konflikte mit seiner Großmutter, der Trafikantin, und mit Marianne. Allgemein sind so gut wie alle Beziehungen zwischen den Charakteren ungesund. Exemplarisch stehen dafür Alfreds Worte zu Marianne: „Du erhöhst mich, ich werde ganz klein vor dir in seelischer Hinsicht“ – ein Satz, der die zerstörerische Dynamik ihrer Beziehung auf den Punkt bringt.

Ein starkes Bühnenbild

Das Bühnenbild wird insbesondere durch die Lichtinstallationen getragen. Stark gemacht wurde auch die Szene im Varieté Maxim – eine Show in der Show, die das Publikum unerwarteterweise ins Rotlichtmilieu Wiens entführt. Musikalisch sind die Tanz-, Gesangs- und Instrumentaleinlagen der Schauspieler*innen hervorzuheben.

Der Regisseur greift gekonnt jene Atmosphäre auf, die Horváth wohl kreieren wollte: Eine Persiflage auf die Wiener Gemütlichkeit durch die Charakterisierung von Menschen, die einander mit verletzenden Worten begegnen. Manchmal war die deutsche Aussprache nicht ganz klar, doch das Ensemble machte dies durch Spielfreude und Ausdruckskraft wett. Wenn man bedenkt, dass man hier, 5000 km fern der Heimat, ein Wiener Theaterstück auf Deutsch sehen kann, lässt sich darüber leicht hinwegsehen. Außerdem gibt es Kopfhörer mit Synchronübersetzung auf Russisch.

Die Inszenierung Heckers ist definitiv einen Besuch wert für all jene, die sich an diesen länger werdenden Herbstabenden nach einem Stück österreichischer Kultur des frühen 20. Jahrhundert sehnen. Die Premiere wurde vom Publikum mit stehenden Ovationen positiv angenommen. Das Deutsche Theater bleibt eine wichtige Institution zur Aufrechterhaltung deutscher, österreichischer und insbesondere russland- und kasachstandeutscher Kultur in Kasachstan und Zentralasien. Der Besuch deutscher Regisseure ist dabei ein großer Gewinn für den Austausch und für das Repertoire.

Lukas Grebenstein

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