In fünf Folgen will „Volk auf dem Weg“ an Ereignisse und Entwicklungen erinnern, die sich in Bezug auf die Russlanddeutschen mit dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges (1941-1945), aber auch schon vorher, in verschiedenen deutschen Siedlungsgebieten abzeichneten.

Wie auch im Ersten Weltkrieg gerieten die Russlanddeutschen in der Sowjetunion zwischen die Räder der beiden Diktaturen mit weitreichenden verheerenden Folgen. Der verleumderische Erlass des Präsidiums Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941, der die Wolgadeutschen und somit die ganze Volksgruppe für Jahrzehnte schuldlos an den Pranger stellte und den Untergang der Deutschen in der Sowjetunion endgültig besiegelte, markiert einen tiefen und bis in die Gegenwart nachwirkenden Einschnitt in der russlanddeutschen Geschichte.

Deutsch-sowjetischer Krieg – Russlanddeutsche an der Front

Bereits die „Urkatastrophe“ des 20. Jh. – der I. Weltkrieg – warf einen ersten schweren Schatten auf die deutschen Kolonisten im Russischen Reich, die zwischen die Mühlsteine der großen Politik gerieten und letztendlich unter den diskriminierenden Maßnahmen der russischen Behörden und der Militärverwaltung zu leiden hatten.

Aber erst die schicksalhaften Entwicklungen im Zuge des Zweiten Weltkrieges, der im September 1939 ausbrach und mit dem deutsch-sowjetischen Krieg ab Juni 1941 ihren unumkehrbaren Lauf nahm, markierten für die deutsche Minderheit in der Sowjetunion eine besonders folgenschwere Zeit mit Verfolgungen, Vertreibungen und Diskriminierungen, die die Volksgruppe an den Rand ihrer Existenz brachte.

Für die Russlanddeutschen war der deutsch-sowjetische Krieg eine Katastrophe, die einen jahrzehntelangen Opfergang der Volksgruppe heraufbeschwor: Den enormen menschlichen Verlusten folgte der Verlust der Sprache, Kultur und nationalen Identität.

Radikalisierung mit Kriegsbeginn

Laut der Volkszählung von 1939 lebten in der Sowjetunion 1.424.000 Deutsche in überwiegend geschlossenen Siedlungen (95 Prozent gaben Deutsch als Muttersprache an). Bereits lange davor, in einer Atmosphäre der Klassenfeind-, Sabotage-, Schädlings- und Spionagehysterie, galten die Russlanddeutschen aufgrund ihrer sprachlichen Verwandtschaft mit dem „kapitalistischen” und später auch „faschistischen” Deutschland zunehmend als verdächtig.

Im Verlag „Kasachstan“ (Alma-Ata) ist eine Trilogie erschienen (1968, 1972, 1975) unter dem Titel „Bis zum letzten Atemzug“ (Auswahl Peter Mai, damaliger Leiter der deutschen Verlagsredaktion). Die Dreiband-Dokumentation fasst Skizzen und Berichte zusammen, die über Russlanddeutsche erzählen, die an den Fronten des russischen Bürgerkrieges und des deutsch-sowjetischen Krieges (Große Vaterländische Krieg) 1941-1945 heldenhaft kämpften. Lange Jahre konnte man vor allem von russlanddeutschen Helden des deutsch-sowjetischen Krieges weder reden noch schreiben. „Alle Beiträge des vorliegenden Buches sind urkundlich belegt und daher wissenschaftlich unanfechtbar“, schrieb der der bekannte russlanddeutsche Pädagoge und Schriftsteller Victor Klein 1971 im Vorwort zum Band 2 der Trilogie.
Im Verlag „Kasachstan“ (Alma-Ata) ist eine Trilogie erschienen (1968, 1972, 1975) unter dem Titel „Bis zum letzten Atemzug“ (Auswahl Peter Mai, damaliger Leiter der deutschen Verlagsredaktion). Die Dreiband-Dokumentation fasst Skizzen und Berichte zusammen, die über Russlanddeutsche erzählen, die an den Fronten des russischen Bürgerkrieges und des deutsch-sowjetischen Krieges (Große Vaterländische Krieg) 1941-1945 heldenhaft kämpften. Lange Jahre konnte man vor allem von russlanddeutschen Helden des deutsch-sowjetischen Krieges weder reden noch schreiben. „Alle Beiträge des vorliegenden Buches sind urkundlich belegt und daher wissenschaftlich unanfechtbar“, schrieb der der bekannte russlanddeutsche Pädagoge und Schriftsteller Victor Klein 1971 im Vorwort zum Band 2 der Trilogie.

Mit dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 wurde die sowjetische Politik gegen „verdächtige“ nationale Minderheiten noch radikaler – „Deutscher“ und „Faschist“ bzw. „Fritz“ galten zunehmend immer mehr als Synonyme. Die deutsche Sprache und die deutsche Volkszugehörigkeit wurden den Deutschen, die seit Generationen im Russischen Reich und der späteren Sowjetunion lebten, zum Verhängnis.

„Krieg… Grelle Blitze aus blauendem Himmel, / aus Tausenden Kehlen – der Schrei vereint. / Vernichtend die unwiderlegbare Wahrheit: / Er spricht MEINE Sprache, der mächtige Feind…“, diese Zeilen aus den „Kleinen Poemen. Gedichte aus der Kriegszeit (1941-1945)“ von Nelly Wacker (1912-2006) beschreiben den seelischen Zustand vieler Russlanddeutschen zu Beginn des Krieges.

Angst vor Hitlerdeutschland

Für die Wolgadeutschen gab es nach dem deutschen Überfall am 22.6.1941 für kurze Zeit zunächst keine grundsätzlichen Veränderungen. Auch unter der deutschen Bevölkerung in der Wolgarepublik herrschte patriotische Stimmung, die anfangs noch intensiv für propagandistische Ziele genutzt wurde. Besonders unter den jungen Wolgadeutschen stieß die Tatsache, dass die Deutschen aus der massenhaften Mobilisierung an die Front ausgenommen waren, auf Unverständnis und Empörung.

Jacob Schmal (1924-2002), ehemaliger Sprecher des Wolgadeutschen Rundfunks, erinnerte sich: „Meine Altersgenossen und ich waren allesamt im Sinne der Partei als Komsomolzen erzogen worden, und wir hatten nur eins im Sinn: diesen verdammten Krieg zu beenden. Die wehrpflichtigen jungen Wolgadeutschen meldeten sich deshalb fast ausnahmslos an die Front – nicht weil sie dem sowjetischen Staat so ergeben waren, nein, wir wollten gegen Hitlerdeutschland marschieren, denn der Vormarsch der deutschen Truppen machte uns allen Angst.“

In den ersten Kriegsmonaten (etwa bis Mitte August 1941) wurde in der Sowjetpresse noch ein Unterschied zwischen den „Deutschen, die die Sowjetunion überfallen hatten“ und den Deutschen in der Sowjetunion gemacht. Man könnte sagen, dass bei Kriegsanfang die sowjetische Propaganda noch zugunsten der Russlanddeutschen arbeitete, weil sie davon nur profitieren konnte.

Auch wolgadeutsche Soldaten an der Front

So fanden in den ersten Kriegswochen in der Wolgarepublik vermehrt antifaschistische Versammlungen statt, an denen fast die ganze erwachsene Bevölkerung teilnahm. Die Aufrufe und Appelle an die deutschen Wehrmachtssoldaten, Arbeiter und Bauern wurden in der Sowjetpresse veröffentlicht und in Flugblättern und Radiosendungen propagandistisch gegen Deutschland eingesetzt.

Mitte Juli 1941 wandten sich sogar die führenden Persönlichkeiten der wolgadeutschen Regierung mit einem Appell, der in der Zeitung „Prawda“ (vom 15.7.1941) veröffentlicht wurde: „…Wir wenden uns an Euch, werktätige Bauern Deutschlands, die Ihr von den Hitlerbanden unterdrückt und unterjocht seid: Brüder! Befreit Euch von der Sklaverei der faschistischen Menschenfresser! Vereinigt Euch mit den Arbeitern, um zusammen den Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu führen! Lenkt die Waffen gegen Hitlers Mörderbande!… Nieder mit dem blutigen Faschismus! Steht auf zum Kampf für das freie Deutschland!“

Bereits in den Ersten Monaten des deutsch-sowjetischen Krieges kämpften auch wolgadeutsche Soldaten an der Vorderfront, vor allem diejenigen, die schon 1939-1940 zum Armeedienst eingezogen waren: Mehr als 33.500 Russlanddeutsche (nach anderen Angaben etwa 46.000), überwiegend Deutsche aus der Wolgarepublik, waren im Herbst 1941 im Einsatz in allen Truppenteilen der Roten Armee, darunter 1605 Offiziere.

Hunderte Russlanddeutsche unter höheren Rängen

Zu Beginn des Krieges waren die wehrpflichtigen Russlanddeutschen an der Front den Vertretern anderer Völker gleichgestellt. Unter den höheren Rängen in allen Truppenteilen der Roten Armee und Seeflotte gab es Hunderte von Russlanddeutschen: General Sergej Wolkenstein, Oberst Nikolai Ochmann, Oberstleutnant Konstantin Wiedemann, Hauptmann Alexander Steinle, Regimentskommissar Johann Michselberg, Oberleutnant Alexander Wagenleitner, Oberleutnant Robert Klein, um nur einige zu nennen. Unter den Verteidigern der Festung Brest, die zu den Vorposten des deutsch-sowjetischen Krieges gehörte, finden sich die Namen von Major Alexander Dulkeit, Oberstleutnant Erich Kroll, Regimentsarzt Wladimir Weber, Oberstleutnant Georg Schmidt, der Soldaten Nikolai Küng, Wjatscheslaw Maier, Alexander Hermann u. a. Elf Russlanddeutschen wurden als Helden der Sowjetunion ausgezeichnet.

„An verschiedenen Frontabschnitten kämpften Leopold Schulz, Michael Disterheft, Matheus Kari, Adolf Bersch, Emanuel Weigel, Theodor Bärwald, Peter Löwen (Lewin), Peter Eisfeld, Heinrich Michaelis, Artur Hein, Rudolf Heinz, Peter Holz, Jakob Bolender, Friedrich Treit, Johann Part, Woldemar Wiedemann, Johann Korob, Albert Hast, Otto Scheck, Peter Roth, Werner Schmidt und viele andere“, schreibt der Autonomieaktivist Johann Kronewald in seinem Beitrag „Jahre der Standhaftigkeit und des Mutes“ in „Heimatliche Weiten“, 1/1985.
Es sind zahlreiche Fälle bekannt, dass Russlanddeutsche ihre Namen änderten, um an die Front zu kommen oder dort zu bleiben. So kämpfte Paul Schmidt unter dem Namen Ali Achmedow, Peter Löwen als Lewin, der Leutnant Woldemar Wenzel als Wenzow, Georg Richter als Smirnow, Friesen als Fresin, der Oberleutnant Beugel als Boitschenko, Seidel als Iwanenko.

Beachtenswert sind die Schicksale von Paul Schmidt (Achmedow) und Georg Richter (Smirnow), die jahrelang mutig an der Front kämpften und am Kriegsende vom sowjetischen Abwehrdienst aufgespürt wurden. Für Schmidt setzte sich kein Geringerer als der Marschall Georgi Schukow selbst ein, so dass er unter seinem richtigen Namen in seine Einheit zurückkehren konnte. Richter dagegen wurden alle Auszeichnungen entzogen, danach bekam er fünf Jahre Lagerhaft.

Russlanddeutsche an der Front Tabuthema

Das Thema Russlanddeutsche an der Front im „Großen Vaterländischen Krieg“ konnte noch Jahrzehnte nach dem Kriegsende weder publizistisch noch literarisch verarbeitet werden. So war die Veröffentlichung der Dokumentarerzählung von Hugo Wormsbecher (Moskau, damals Mitarbeiter der Zeitung „Neues Leben“) „Deinen Namen gibt der Sieg dir wieder“ auf Anweisung des ZK der KPdSU 1975 gestoppt worden.

„Ich wurde persönlich vorgeladen… Während des Gesprächs stellte es sich heraus, dass ein wachsamer ehrenamtlicher Korrespondent der Zeitung Neues Leben aus Mittelasien, ein ehemaliger Trudarmist, sich mit einem erbosten Brief an das ZK gewandt hatte. Nachdem er die Anfangskapitel über Paul Schmidt, der aus der Trudarmee an die Front flüchtete, sich unter fremdem Namen bis nach Berlin durchkämpfte und zuletzt mit einem Orden ausgezeichnet wurde, gelesen hatte, wies er erzürnt darauf hin, dass die Zentralzeitung der Sowjetdeutschen, eine Ausgabe von Prawda, auf ihren Seiten einen Deserteur der Arbeitsfront lobe.

Meine Erklärung, dass der angeblich Fahnenflüchtige ja an der Front sein Leben für die Heimat eingesetzt habe und sich die Auszeichnungen des Frontsoldaten nur schwer mit einer Fahnenflucht vereinbaren ließen, wurden anscheinend als annehmbar für einen Bericht an die Vorgesetzten akzeptiert. Die Erzählung, die zum ersten Mal über die Trudarmee und einen sowjetdeutschen Kriegsteilnehmer berichtete, durfte bis zum Ende veröffentlicht werden“, erzählt Hugo Wormsbecher im Interview mit der Verfasserin.

„Ein flammender Patriot unserer Heimat“

Auch in den ersten Kriegsmonaten wurde von den Heldentaten der Russlanddeutschen in der Sowjetpresse nicht berichtet. Die einzige Ausnahme blieb ein ganzseitiger Beitrag in der Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ vom 24.8.1941, vier Tage vor dem verleumderischen Erlass über die Deportation der Wolgadeutschen, über den „Heldentod des wolgadeutschen Komsomolzen Heinrich Hoffmann“ aus dem Dorf Rosental der ASSRdWD, der sich den deutschen Truppen widersetzt hatte und vom Feind brutal ermordet wurde. In der Zeitung war das Komsomolmitgliedsbuch von Hoffmann abgebildet, das von einem Bajonett durchstochen und mit Blut überströmt war.

„Wir sehen das Mitgliedsbuch Nr. 12535944“, hieß es im darunter platzierten Text. „Dieses Mitgliedsbuch gehörte dem mutigen Rotarmisten Heinrich Hoffmann, der von Hitlers Bluthunden grausam zu Tode gemartert wurde. Aus der Republik der Wolgadeutschen gebürtig, war der Komsomolze Hoffmann ein flammender Patriot unserer Heimat. Der Nationalität nach Deutscher, hasste er erbittert die Faschisten… Schwer verwundet, geriet Heinrich den faschistischen Henkern in die Hände. Die Mörder folterten den jungen Helden, jedoch keine Folter konnte seinen Mut brechen. Die gemeinen Faschisten hackten ihm die Arme ab, stachen ihm die Augen aus, schnitten ihm die Zunge heraus…“

Schrittweise Aussonderung aus der Roten Armee

Mit den schnellen Erfolgen der deutschen Wehrmacht an den sowjetischen Kriegsfronten veränderte sich die offizielle Haltung gegenüber den „eigenen“ Deutschen schnell zum Negativen. Da vor allem die ersten Kriegswochen für die sowjetischen Streitkräfte von Niederlagen geprägt waren, gerieten Hunderttausende Rotarmisten in deutsche Kriegsgefangenschaft oder sie kamen ums Leben, darunter nicht wenige Russlanddeutsche. Schon seit Anfang der Kriegshandlungen gegen Nazi-Deutschland wurden Russlanddeutsche Schritt für Schritt aus den Truppenteilen der Roten Armee ausgesondert.

Der Aushebungsprozess verlief in drei Schritten: die erste Etappe von 30.6. bis 7.9.1941, die zweite Etappe vom 8.9.1941 bis Ende Mai 1942, die dritte Etappe seit Juni 1942 bis Mai 1945. Die erste Aushebungsetappe war nicht direkt gegen Militärangehörige bestimmter Nationalität gerichtet, sondern es ging vor allem um verdächtige, wenig vertrauenswürdige „Elemente“, die defätistische Stimmungen verbreiteten, mit der Sowjetmacht unzufrieden waren oder den Wunsch äußerten, in die deutsche Gefangenschaft zu gehen. In dieser Aushebungswelle gab es nur einige wenige Russlanddeutsche. Trotz der Tatsache, dass sich die Direktive vor allem „verdächtige Elemente“ im Visier hatte, gab es eine Reihe von Kommandeuren, die Russlanddeutsche pauschal, oder auch gezielt, in die Kategorie der „Verdächtigen“ miteinbezogen.

Von der Truppe zur Arbeitsarmee

Die zweite Aushebungsetappe begann mit der Geheimdirektive des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR vom 8.9.1941 „über die Versetzung von Armeeangehörigen deutscher Nationalität in Bautruppen der inneren Militärbezirke“, auch als „Stalin-Befehl“ bekannt, die eine gezielte Aussonderung von Militärangehörigen deutscher Nationalität aller Ränge aus der Roten Armee und deren Versetzung in die Bautruppen des Hinterlandes verordnete, die Maßnahme sollte bis zum 15.9. abgeschlossen werden. Die Ausführung des Beschlusses fällt zeitlich mit der Ausführung des Erlasses vom 28. August 1941 zusammen.

Im Zuge der Ausführung dieser Direktive wurden die allermeisten Militärangehörigen deutscher Nationalität aus allen Truppenteilen der Roten Armee in kürzester Zeit in die Verbannungsorte hinter den Ural versetzt. Der „Stalin-Befehl“ vom 8.9.1941 bildete den Ausgang zur Schaffung von Arbeitsbataillons. Ab September 1941 wurden alle Angehörigen der Roten Armee deutscher Herkunft, egal ob Offizier oder Soldat, entlassen und ins Hinterland versetzt. Sie stellten im Herbst 1941 die ersten Einheiten der Arbeitsarmee. Bis zum Jahresende 1941 landeten etwa 15.000 Soldaten und Offiziere der Roten Armee deutscher Nationalität in den Arbeitskolonnen – beim Aufbau von Industriebetrieben, im Berg-, Straßen- und Bahnbau sowie in der Land- und Forstwirtschaft.

Zusammenfassung nach Texten der Historiker Alfred Eisfeld, Viktor Krieger, Konstantin Ehrlich, Arkadi German, Igor Schulga, Nikolai Bugai.

Nina Paulsen

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