Der richtige Ort, zur richtigen Zeit – so lautet der Titel des Buchs, das der Autor Bill Pickelhaupt über das Dorf Kind an der Wolga geschrieben hat, in der Übersetzung. Es handelt von dem Leben deutscher Siedlerinnen und Siedler in diesem Dorf und hält statistisch seine Einwohnerinnen und Einwohner fest. Bei einem Besuch in Kasachstan im Oktober besichtigte Pickelhaupt auch das Deutsche Haus in Almaty und erzählte von seinem Werk.

Pickelhaupt selbst ist in Port Guron, Michigan geboren und aufgewachsen. Dorthin verschlug es viele wolgadeutsche Siedlerinnen und Siedler aus Kind, heute Bastakovka genannt. So auch Pickelhaupts Großeltern väterlicherseits, die das Dorf mit vielen weiteren Personen zwischen 1912 und 1913 verließen und in die Vereinigten Staaten migrierten.

Etwa 2007 begann Pickelhaupt, sich für Familiengeschichte zu interessieren. Bei einer Reise nach Budapest suchte er in nationalen Archiven Informationen über seine Familie mütterlicherseits. Dies weckte sein genealogisches Interesse umso mehr. Zurück in Port Guron sprach er mit verschiedenen Personen in der Kirche über ihre wolgadeutschen Vorfahren. „Da habe ich Sachen herausgefunden, die ich wirklich nie gewusst habe“, so Pickelhaupt.

Bill Pickelhaupt gibt Einblicke in sein Buch.

2009 beschloss er, ein Buch zu schreiben, um diese Geschichten zu konservieren: „Ich dachte, naja, es wäre schrecklich, wenn diese Menschen einfach sterben. Zum Beispiel diese Frau, deren Vater vor dem Hunger an der Wolga floh. Wenn sie stirbt, dann ist alles vergessen. Und da waren viele andere Geschichten, die Ähnlichkeiten aufwiesen, also dachte ich: Na, darüber muss ein Buch geschrieben werden.“ Zudem bereitete es Pickelhaupt viel Freude, mehr über seine eigene Familiengeschichte herauszufinden. Er konnte dabei seine Familie väterlicherseits in einer ununterbrochenen Linie bis 1580 zurückverfolgen. Pickelhaupt fand auch historisch noch weiter zurückliegende Personen mit demselben Nachnamen, jedoch wurde es dem Autor zufolge irgendwann zu spekulativ und ungenau.

Am richtigen Ort, zur richtigen Zeit

2013 erschien Pickelhaupts statistisches Buch. Der Schreibprozess war recht kurz. Von der Recherche über das Schreiben bis hin zum Druck vergingen gerade einmal zehn Monate. Pickelhaupt ließ 300 Exemplare erstellen. Die Informationen sammelte er überwiegend in der Kirche, in Bibliotheken und über Kontakte, die ihm Fotos zur Verfügung stellten und von ihrer Familie und dem Leben in Kind erzählten, so wie es ihnen in ihrer Kindheit erzählt wurde. „Es war manchmal frustrierend. Du kannst oft nicht überprüfen, ob Informationen stimmen, aber immerhin erhältst du trotzdem immer diese emotionale Stimmung der Personen, du spürst, was sie denken“, so Pickelhaupt über seine Recherchen.

Das Buch beinhaltet mehrere Fotografien. So zeigen diverse Abbildungen von Familien eindrücklich die Zustände vor und nach der Hungersnot. Auch viele Fotografien von der Arbeit in den Zuckerrübenfeldern und den Wohnhütten, in denen die Siedlerinnen und Siedler lebten, sind abgedruckt. Im zweiten Teil des Buchs folgt der statistische Teil. Pickelhaupt listet darin ehemalige Einwohnerinnen und Einwohner und Nachkommen sowie beispielsweise deren Geburtsdaten und Wohnorte. Den Titel beschrieb der Autor selbst als „nicht originell, aber wirklich sehr passend“. Laut ihm war Kind der richtige Ort zur richtigen Zeit, es herrschte kein Krieg und mit Fabriken in der Nähe war neben der Landwirtschaft Arbeit mit höherem Lohn vorhanden.

In den letzten Jahren kontaktieren Bill Pickelhaupt immer wieder Personen, die sich nach ehemaligen Siedlerinnen und Siedlern erkundigen wollen und um weitere Informationen bitten. Auch die Kasachstanerin Olga Mark meldete sich bei Pickelhaupt mit der Vermutung, dass diese verwandt sein könnten. Es stellte sich heraus, dass sie damit richtig lag. So kam es, dass Pickelhaupt in diesem Oktober zum ersten Mal in Kasachstan war, um Mark zu besuchen.

Das nächste Projekt ist bereits im Entstehen

Aktuell ist Pickelhaupt mit dem Schreiben eines weiteren Buches beschäftigt. Auch dieses soll sich thematisch mit dem Dorf Kind an der Wolga sowie dessen Einwohnerinnen und Einwohnern beschäftigen. „Ausgehend von all den Leuten, die 1766 in Kind zusammenkamen, möchte ich zurückgehen an die Orte in Deutschland und die dortigen Geschehnisse, aber dann auch zum Leben der Siedlerinnen und Siedler in Kind zurückkehren. Jahrelange Missernten, Schulden, und so weiter. Ich möchte der Frage nachgehen, wie das tägliche Leben dort war, welche Art von Strafen es gab. Das ist diese Art von Dingen, die man nicht in statistischen Werken liest. Es geht viel mehr darum, wie ihr Leben funktionierte.“

Mittels der Lebensrealitäten in Kind soll die Geschichte mehr Leben erhalten und den Leserinnen und Lesern eine bessere Vorstellung von dem Dorf vermittelt werden. Mit diesem nächsten Projekt verfolgt Pickelhaupt auch ein ähnliches Ziel wie bereits im ersten Buch: „Dieses Dorf ist vielleicht ausgestorben an der Wolga, aber ich kann zumindest dabei helfen, die Erinnerung aufrecht zu erhalten und zu zeigen, dass es durchaus eine interessante Vergangenheit hatte.“

Während Am richtigen Ort, zur richtigen Zeit nur in englischer Sprache erschien, hofft Bill Pickelhaupt, dass sein nächstes Buch übersetzt wird, entweder auf Deutsch oder auf Russisch. Geplant ist eine Publikation in etwa einem Jahr. Danach soll allerdings Schluss sein mit dem Schreiben. „Ich bin 74 Jahre alt, die ganze Recherche und das Schreiben erfordert jeden Tag viel Arbeit und hält mich beschäftigt. Ich glaube, noch mal so ein Projekt wäre sehr hart.“

Sasha Borgardt

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1 Kommentar

  1. The last sentence of the second paragraph says I stated and referred to Kind as the right place at the right time. That is incorrect. I referred to Port Huron as the right place at the right. At that place at that time, the immigrants from Kind were able to work in the sugar beet fields for a year or two, then work in the factories in Port Huron from 1914 onwards.

    A very good review, if I may say so, with that one exception.

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