Der Deutsche Zollverein (1834-1871) war zunächst eine rein wirtschaftliche Vereinigung, die zugleich als Instrument der damaligen politischen Einheit Deutschlands gesehen und schließlich auch benutzt wurde. Analogerweise ist die Europäische Union eine wirtschaftliche und politische Union, die sich aus einer rein wirtschaftlichen Union – der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – entwickelt hat, und ähnliche Parallelen gibt es bei der Euroasiatischen Wirtschaftsunion. Mithin ist es lehrreich, die Entwicklung des Zollvereins unter Betonung dieser Gemeinsamkeiten nachzuvollziehen. In einem direkten Vergleich von EU und EAWU werden im Folgenden derzeitige Möglichkeiten und Grenzen eines einheitlichen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok skizziert. Sollte man ihn besser von Lissabon bis Schanghai denken? – Ein Beitrag in mehreren Kapiteln, diesmal die thematische Einführung.
Foto: Zeche Zollverein. ©Thomas Wolf, www.foto-tw.de.
Der Deutsche Zollverein war ein Zusammenschluss von Staaten des Deutschen Bundes für den Bereich der Zoll– und Handelspolitik. Er trat am 1. Januar 1834 in Kraft. Sein offizielles Ziel war die Schaffung eines wirtschaftlichen Binnenmarktes und die Vereinheitlichung fiskalisch-ökonomischer Rahmenbedingungen.
Die folgende Einschätzung und Zielsetzung von Daniel Friedrich List (1789-1846), bedeutender Wirtschaftstheoretiker, Unternehmer und Diplomat, Eisenbahn-Pionier sowie einflussreicher Verfechter der innerdeutschen Zollfreiheit, zeigt jedoch, dass maßgebliche Kräfte den Zollverein von Anfang an als Schritt zur Reichseinigung anstrebten: „Das Eisenbahnsystem und der Zollverein sind siamesische Zwillinge; zur gleichen Zeit geboren, körperlich aneinander gewachsen, streben sie nach ein und demselben großen Ziel, nach Vereinigung der deutschen Stämme zu einer großen und gebildeten, reichen, mächtigen und unantastbaren Nation“, erklärt Friedrich List in seinem Buch „Das deutsche Eisenbahnsystem als Mittel zur Vervollkommnung der deutschen Industrie“.
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Weiter schreibt er: „Ohne den Zollverein sei ein deutsches Eisenbahnwesen nie zur Sprache, geschweige zur Ausführung gekommen. Nur mit Hilfe eines deutschen Eisenbahnsystems vermag die gesellschaftliche Ökonomie der Deutschen zu nationale Größe sich emporzuschwingen, und erst infolge dieses Aufschwungs kann das Eisenbahnsystem zu voller Bedeutung gelangen.“
Um 1790 gab es in Deutschland 1.800 Zollgrenzen. Allein innerhalb der preußischen Gebiete bestanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts über 67 lokale Zolltarife mit ebenso vielen Zollgrenzen. Bei einem Transport von Königsberg nach Köln wurde die Ware etwa 80 mal kontrolliert.
Nach 1800, im Zuge der Modernisierung während und nach der napoleonischen Ära, schufen die deutschen Staaten peu à peu einheitliche zollfreie Binnenmärkte. Im Vordergrund stand hierbei neben der sozialen und wirtschaftlichen Integration der durch die napoleonischen Reformen erheblich vergrößerten Staatsgebiete weniger eine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik als vor allem eine Steigerung der Staatseinnahmen. Da es noch keine Einkommensteuer gab, waren Verbrauchsteuern und Zölle die HaupteinnahmequelPeter Enders, Galina Nurtasinowa und Ulf SchneiderPeter Enders, Galina Nurtasinowa und Ulf Schneiderlen der Staaten. Vereinzelt gab es jedoch bereits frühe Stimmen, die eine Abschaffung von Binnenzöllen und einen gemeinsamen deutschen Außenzoll forderten, so beispielsweise Johann Joseph Görres (1776-1848) oder Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757-1831).
Im Gegensatz zu seinem Auftrag gelang es dem 1815 gegründeten Deutschen Bund nicht, die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland zu vereinheitlichen. Die Überwindung der innerdeutschen Zölle vollzog sich außerhalb der Bundesorgane auf der Ebene der beteiligten Staaten selbst. Denn die zollpolitische Zersplitterung behinderte die industrielle Entwicklung und verteuerte den innerdeutschen Handel. Wichtige Anstöße zu Veränderungen in diesem Bereich kamen allerdings von außen. Mit der Aufhebung der Kontinentalsperre standen deutsche Gewerbetreibende in direkter Konkurrenz zur englischen Industrie. Fortsetzung…