Auch in Usbekistan gibt es eine kleine deutsche Minderheit, die Spracharbeit leistet, über ein eigenes Theater verfügt und sich in Kulturzentren organisiert. Ihre Wurzeln reichen bis tief ins 19. Jahrhundert.

Im heutigen Usbekistan und Turkmenistan liegen die Wüsten Kyzylkum und Karakum, benannt nach ihrem roten und schwarzen Sand. Sie werden getrennt von dem mächtigen Fluss Amu Darya, welcher sich über tausende Kilometer aus dem Pamirgebirge bis in die Aral-Senke durch den Kontinent zieht. Die Landschaft, in welcher der Fluss zwischen den beiden Wüsten eine weiträumige grüne Großoase speißt, heißt Choresmien, die heutige usbekische Provinz Xorazm. Bis 1920 herrschte hier das Khanat von Chiwa, welches allerdings bereits 1873 als Protektorat in russische Abhängigkeit geraten war.

Hier in diesem Seidenstraßenfürstentum inmitten der Wüsten Zentralasiens gab es Ende des 19. Jahrhunderts, einige Kilometer außerhalb der Hauptstadt Chiwa, ein kleines Dorf namens Ak-Metschet, was so viel wie „weiße Moschee“ bedeutet. Doch soweit heute bekannt, stand in Ak-Metschet gar keine Moschee, sondern eine christliche Kirche, erbaut von strenggläubigen deutschsprachigen Mennoniten. Die kleine Gemeinde war ihrem spirituellen Führer, einem fanatischen Prediger namens Claus Epp, aus der Mennonitensiedlung „Am Trakt“ an der Wolga bis hierher nach Choresmien gefolgt, wo sie als Gäste des Khans auf einem kleinen Teil seiner Ländereien siedeln durften. Diese bemerkenswerte Begebenheit ist eine der ersten Episoden aus einer an bemerkenswerten Begebenheiten nicht armen Geschichte, nämlich jener der Deutschen in Usbekistan.

Am Rande des Verschwindens

Spruch in einer Kirche in Taschkent

Es ist eine Geschichte, welche erst seit kurzer Zeit wiederentdeckt wird. Denn obwohl Deutschstämmige bereits seit fast 150 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Usbekistan ansässig sind, kam der größte Teil der Minderheit erst in den 1940er-Jahren im Zuge der Deportationen unter Stalin ins Land. Deutsche Sowjetbürger wurden damals zu harter Zwangsarbeit in der Trudarmija genötigt, viele sahen sich im Alltag Diskriminierung und Repression ausgesetzt, sogar die deutsche Sprache zu sprechen galt als verpönt.

Nachdem viele Angehörige der Minderheit in den 1990er-Jahren die Möglichkeit zur Übersiedlung nach Deutschland nutzten, geriet die ethnische Gruppe in Usbekistan schließlich an den Rand des Verschwindens. Dem entgegenzuwirken, hat sich das Kulturzentrum der Deutschen Usbekistans „Wiedergeburt“ verschrieben. 1990 gegründet, setzt sich der Verein dafür ein, deutsches Brauchtum zu erhalten und die deutsche Sprache weiterzugeben. Nach Schätzung des Vereins leben aktuell noch etwa 8.000 Menschen mit deutschen Wurzeln in Usbekistan, deutlich mehr als die offiziell als Deutsche erfassten
2.400 Personen.

Diesen Menschen möchte die usbekische „Wiedergeburt“ unter anderem kostenlosen Deutschunterricht bieten, welcher inzwischen von allen Altersgruppen sehr gerne in Anspruch genommen wird. So lernen heute nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Seniorinnen und Senioren, denen die Unterdrückung der Sprache oft noch in schmerzhafter Erinnerung ist, mit Hilfe der Vereinigung wieder Deutsch.

Diese Möglichkeit haben sie nicht nur im Kulturzentrum in Taschkent, sondern auch in den mittlerweile drei weiteren Begegnungsorten in Buchara, Samarkand und Fergana. Für besonders engagierte Sprachschülerinnen und Sprachschüler gibt es sogar noch Sommersprachcamps und eine Herbstakademie, wo die Jugendlichen sich intensiver mit der Sprache auseinandersetzen, aber auch in ihrer persönlichen Entfaltung stärker gefördert werden können.

Wichtige Rolle in der Kulturdiplomatie

Mithilfe der Kulturzentren sollen die kulturellen Traditionen der Minderheit wiederbelebt und lebendig gehalten werden. Dazu gehört nicht nur die Sprache. Auch volkstümliche Trachtenbräuche werden gepflegt, Tänze geübt und Theaterstücke aufgeführt. Das auf diese Weise Erreichte wird gerne geteilt. So veranstalteten die Kulturzentren bereits mehrfach Tanz- und Theaterfestivals in unterschiedlichen Städten, welche sich nicht nur bei der Deutschen Minderheit großer Beliebtheit erfreuten, sondern auch bei der usbekischen Bevölkerung auf großes Interesse stießen.

Besonders großes Aufsehen erregten dabei verschiedene Choreografien, bei denen traditionelle deutsche Tanzschritte mit usbekischen Stilen verbunden wurden, usbekische und deutsche Tänzer und Tänzerinnen stehen dabei gemeinsam auf der Bühne und ergänzen sich gegenseitig. Eine solche Tanztruppe mit ihrer selbstentwickelten Choreografie begleitete 2019 Usbekistans Präsidenten Schawkat Mirsijojew sogar auf seinen Staatsbesuch in Deutschland. Die deutsche Minderheit nimmt somit eine wichtige Rolle in der Kulturdiplomatie zwischen Usbekistan und der Bundesrepublik ein.

Evangelische Gemeinde trotzt allen Widrigkeiten

Kirche der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde

Die wortwörtliche „Wiedergeburt“ deutschsprachigen Lebens in Usbekistan zeigt sich jedoch nicht nur in den Kulturzentren – auch das religiöse Leben der deutschen Minderheit, welches einst mit dem Auszug der strenggläubigen Mennoniten nach Chiwa begann, gelangt wieder zu voller Blüte. Dies zeigt sich eindrücklich an der deutschen evangelischen Kirche in Taschkent, einem der ältesten erhaltenen protestantischen Gotteshäuser in der Region. Bereits 1896 erbaut, hielt sich das markante neugotische Kirchengebäude durch das gesamte 20. Jahrhundert.

Das Bauwerk trotzte erzwungener Zweckentfremdung ab der Stalinzeit, hielt dem großen Erdbeben in Taschkent 1966 stand und überdauerte auch noch mehrere Brandanschläge. Nach all diesen Widrigkeiten erschien es der evangelischen Gemeinde tatsächlich wie ein Wunder, als in der Kirche 1990 erstmals seit Jahrzehnten wieder ein Gottesdienst abgehalten werden konnte. Auch heute noch kann man das Gebäude bei einem Spaziergang durch die Taschkenter Innenstadt entdecken, der deutsche Name des Ortes am Eingang und die deutschsprachigen Bibelsprüche an den Wänden des Kirchenschiffes geben jetzt bereitwillig Auskunft über die Geschichte der Kirche, welche so lange versteckt gehalten wurde.

Unterstützung für die Erlebnisgeneration

Diese Vergangenheit aufzuarbeiten, in welcher Angehörige der Minderheit oft mit Verfolgung und Diskriminierung zu kämpfen hatten, ist dabei nach wie vor ein schwieriges Unterfangen, welches sich nicht nur auf die Wiedersichtbarmachung von Orten wie der deutschen evangelischen Kirche beschränkt – auch die Menschen, welche Mitte des Jahrhunderts Erfahrungen von Verfolgung und Diskriminierung machen mussten – die sogenannte Erlebnisgeneration – werden von der „Wiedergeburt“ weiterhin unterstützt.

Mithilfe von finanzieller Beihilfe aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat organisiert die „Wiedergeburt“ für die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen humanitäre Hilfe. Diese Unterstützung ist nicht nur Linderung in der Not für ältere Menschen, sondern oft auch ein Weg, diese mit der eigenen Vergangenheit wieder in Kontakt zu bringen. Sie schafft Anreize, in die deutschen Kulturzentren zu kommen und deren Angebote zu nutzen.

Wer zu gebrechlich ist, sich selbst auf den Weg zu machen, der kann auch von jungen Freiwilligen zu Hause besucht werden. So kann ganz nebenbei auch der Kontakt zwischen der alten und der jungen Generation aufrechterhalten werden. Bisher gibt es nur Mittel für die Unterstützung der unmittelbaren Erlebnisgeneration, der Verein versucht jedoch mittels Spenden ein vergleichbares Programm auch für deren Nachkommen zu schaffen, und somit noch mehr Menschen in die soziale Arbeit des Vereins einzubinden.

Auf diese Weise hofft man, die deutsche Sprache und die Traditionen der deutschen Minderheit auch weiterhin am Leben zu erhalten und das unabhängige, multiethnische Usbekistan mitzugestalten. Der bereits langen Geschichte der Deutschen in Zentralasien werden so auch heute noch neue Kapitel hinzugefügt. Für diejenigen, welche mehr über die Deutschen Usbekistans und ihre heutige Situation erfahren möchten, gibt es dazu also inzwischen vielfältige Möglichkeiten. Zum Beispiel einen historischen Stadtrundgang durch Taschkent, einen Abend in einem deutschsprachigen Theater, oder einen Besuch in einem der vier deutschen Kulturzentren.

Daniel Adrian Styczynski

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