Früher galt: im Internet einkaufen ist zwar nicht persönlich, aber bequem. Heute ist es auch persönlich. Pfiffige Programmierer haben die Ent-Anonymisierung herbeigezaubert, indem man bei Amazon, ebay und sonst wo persönliche Empfehlungen untergejubelt bekommt. Und es klappt!
Ja, stimmt, muss ich jedes Mal zugeben, die Hinweise „dies könnte Sie auch interessieren“ oder „unsere persönlichen Empfehlungen für Sie“ kann ich bisher immer als zutreffend bewerten. Und freue mich, dass ich als Persönlichkeit mit ausgewählten Vorlieben enttarnt werde. Und Amazon freut sich, wenn ich die Kauftipps gleich in die praktische Tat umsetze, am besten noch mit dem 1-Click-System. Schwupps, wieder was gekauft.
Als Folge, dass mein Ego gestreichelt wurde. Das ist ja das üblich Fatale an der Werbung. Dass die Psyche des Menschen so leicht durchschaubar und lenkbar ist, dass man als umworbener Kunde die plumpen Tricks der Werbung ganz genau durchschaut und trotzdem darauf reinfällt, dass man also nicht weniger plump funktioniert und allenfalls mit höchster Kraftanstrengung dagegen ankäme. Da wir selbst programmierbare Roboter mit ein bisschen Gefühl sind, kommunizieren wir auf bestimmten Ebenen auch mit den programmierten online-Foren so gut.
Bei der Empfehlungskategorie „was andere Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, sonst noch gekauft haben“ müsste ich eigentlich beleidigt sein, dass ich gar nicht einzigartig bin. Ich gehöre dem Typus an, der eine bestimmte Sortierung im Bücher- oder CD-Regal hat. Um mich nicht allzu oft allzu lang im Internet zu verfangen, lasse ich mich aber gern auf die persönlichen Empfehlungen ein.
Zuletzt habe ich nach Beethoven-Aufnahmen mit dem Dirigenten Günther Wand gestöbert, um meinen MP3 Player mit Musik zu bestücken, die mich durch müde Zugfahrten trägt, die aber auch Action enthält, ohne jedoch die Mitreisenden mit Rhythmusgezischel zu stören, getreu dem Motto: „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu“. Jedenfalls wurde mir sogleich eine Empfehlung ausgespuckt. Wenn ich mich für Beethoven interessiere, könne mich doch auch der folgende Titel interessieren: „Fuck you“ von Lily Allen.
Wie bitte?! Da war wohl ein Praktikant als Programmierer zugange. Oder die Technik ist also doch fehlbar, auch beruhigend irgendwie. Oder der andere Käufer im Netz, der beide Titel erworben hat, hat den Beethoven für sich und Fuck you für seine Tochter gekauft. Das wäre ein toleranter Vater, der dem Töchterchen nicht die gute Klassik aufzudrängen versucht, sondern ihr alle Freizügigkeit lässt, die ein pubertierender Teenie benötigt. Auch sehr unwahrscheinlich!
Eine plausible Erklärung kam mir nicht in den Sinn, denn glasklar blieb: Wenn etwas so gar nicht und überhaupt nicht zusammenpasst, dann Beethoven und „Fuck you“. Aber man soll ja immer offen im Leben bleiben. Vor ein paar Jahren hätte ich auch nicht gedacht, dass Früchte in eine Bratensoße gehören. Fleisch gehört in den heißen Bratentopf und auf den Hauptspeisenteller; Früchte gehören in kalten Quark auf dem Desserttellerchen. Getrennt serviert und hintereinander zu verzehren. Heute muss ich sagen: Die Kombination aus Frucht und Fleisch ist nicht nur lecker, sondern bei manchen Gerichten nicht mehr wegzudenken. So eine Birne entfaltet in dunkler Soße ein ungeheures Potenzial. Also, die Alterssturheit beiseite schieben und sich einlassen, wenn auch mit verschränkten Armen und skeptischem Blick.
Tja und dann geschah das Wunderliche: Der Titel sprach mich auf Anhieb an! Ein wirklich schönes Lied. Melodisch. Heiter. Macht gute Laune. Und damit ist es auch sogleich auf meinem MP3 Player gelandet. Dort unverzichtbar, falls der Zug stecken bleibt oder die Klimaanlage ausfällt oder sonst was, was ohne lustige Musik leicht zu schlechter Laune führt. Tja, wieder mal hat sich die Überlegenheit der Programmierkunst bestätigt. Ich ordne mich unter und höre mit guter Laune meine Neuentdeckung.
Julia Siebert
04/12/09