Seit nunmehr 20 Jahren herrscht ein reger Austausch zwischen dem Ernst-Abbe-Gymnasium Oberkochen und der DSD-Schule Nummer 18 in Almaty. Statt aus dem Lehrbuch lernen die Schüler hautnah – Klischees werden auf diese Weise schnell beseitigt.

“Wau wau” – “miau”, schallt es durch den Scharyn-Canyon. Eine wilde Horde Schüler bahnt sich den Weg durch die riesige Schlucht und testet das Echo. Nicht allen reicht die Kraft dazu: Nach einer abenteuerlichen Klettertour macht eine junge Kasachin schlapp. Da sind die Gentleman gefragt: Dankbar lässt sie sich von ihren deutschen Weggefährten ein Stückchen tragen und wird so von Schulter zu Schulter gereicht.

Von Oberkochen aus machten sich die acht deutschen Schüler und zwei Lehrer Anfang September auf den langen Weg zu ihren Freunden im fernen Kasachstan. Das Jahr zuvor hatte bereits eine Gruppe Schüler der DSD-Schule Nummer 18 in Almaty das schwäbische Städtchen erkundet, nun geht die Reise in die andere Richtung. Doch nicht etwa per Flugzeug. Nein, via Eisenbahn tuckern die Deutschen von Moskau aus an. Denn so macht das Lernen am meisten Spaß: Land und Leute hautnah erleben, anstatt nur in der Schule zu sitzen und darüber zu lesen. Gängige Klischees gehören auf diese Weise schnell der Vergangenheit an. „Ich hatte das Bild, alle Kasachen wohnen in Jurten und reiten auf Kamelen durch die Gegend“, erinnert sich Larissa Freisheim. Nun lacht sie über ihre Vorurteile. Manche Schüler hatten sogar überhaupt keine Vorstellung von dem Land: „Mit meinen Eltern habe ich erst einmal auf der Karte nachgeschaut, wo das überhaupt liegt“, lächelt Florian Vogelsang. Auch Henrik Kubitza hatte vorher noch nie etwas von Kasachstan gehört. „Meine Freunde waren ein bisschen geschockt“, meint er über die Reaktion seiner Bekannten. Doch seine Mutter unterstützt ihn. Sie fand es eine „super Idee, neue Erfahrungen zu sammeln.“ Besonders begeistert ist er von den Bergen, die seien wundervoll. Nur die Luft ist schlimm, findet er.

„Das Fremde bleibt so lange fremd, bis es begrüßt, berührt, bekennt“

Larissa bemerkt: „Neu und alt stehen sich hier frontal gegenüber – das Land ist echt vielschichtig.“ Sie ist enttäuscht über das mangelnde Interesse an dem Schüleraustausch: „Die Meisten hatten wirklich Angst, mitzukommen, weil sie ein total verzerrtes Bild von Kasachstan haben.“ Manche seien auch nicht mitgekommen, da sie sonst in der Schule zu viel verpasst hätten. In der elften Klasse sei natürlich viel neu, da jetzt das Kurssystem beginne, gibt Henrik zu bedenken.

Seit nunmehr 20 Jahren besuchen sich Schüler der 8000-Einwohner Stadt Oberkochen und Almaty gegenseitig. Lehrer Richard Landfried war von Anfang an dabei. Nun geht er in den Ruhestand. Auf der Jubiläumsfeier ist er umso gerührter. „Hier in Almaty wird uns so eine Warmherzigkeit entgegengebracht, dass man einfach weitermachen muss mit dem Austausch“, wünscht er sich für die Zukunft.

Auch Larissa weiß die Gastfreundschaft ihrer kasachischen Familie auf Zeit zu schätzen: „Ich fühle mich wie eine Prinzessin.“ Man habe richtig das Gefühl, willkommen zu sein, und der Empfang sei mehr als herzlich gewesen. Florian ist derselben Meinung: Er hätte es „tierisch bereut, nicht mitzukommen.“ Und fügt bewundernd hinzu: „Was mich ziemlich erstaunt hat, ist, dass die oft richtig gut Deutsch können.“

Auf der Jubiläumsfeier stellen die kasachischen Schüler mit einem Gedicht des Kabarettisten Erwin Grosche einmal mehr ihre Deutsch-Kenntnisse unter Beweis: „Das Fremde bleibt so lange fremd, bis es begrüßt, berührt, bekennt – das Anderssein ist interessant, probieren wir‘s, nimm meine Hand.“ Berührungsängste hatten die Schüler jedenfalls nicht.

Von Christine Faget

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia