Durch die politischen Umbrüche haben sich die meisten Kasachstan-Deutschen in den 90er Jahren entschieden, nach Deutschland als das Herkunftsland ihrer Vorfahren auszuwandern. Während der Volkszählung 1989 gaben 957.518 Einwohner der Republik Kasachstans ihre Nationalität als deutsch an. Laut der letzten Volkszählung von 2021 haben sich nur wenige als Deutsche registriert, dafür sind aber gemäß dieser neuesten statistischen Erfassung etwa 25.000 Kasachstan-Deutsche wieder zurückgekehrt. Im August 2025 unternahm Leo Rung, der selbst in der Stadt Schymkent geboren wurde, eine Reise nach Kasachstan, um sein neues Buch „Deutsche aus Russland – und die Chronologie ihrer Flucht nach Amerika“ vorzustellen.
Ein Treffen in der Hauptstadt
Am 16. August fand in Astana im Kasachisch-Deutschen Zentrum in herzlicher und freundlicher Atmosphäre ein Treffen zwischen Mitgliedern der Vereinigung „Wiedergeburt“ und Leo Rung statt, bei dem die Teilnehmer einen Vortrag von Leo Rung zum Thema „Internationale Kulturarbeit der Deutschen aus Osteuropa“ hören konnten.
Seine Forschungsinteressen beziehen sich vor allem auf die Geschichte der Deutschen aus Russland, insbesondere auf die Genealogie, die Heraldik und die Lebensgeschichten ihrer Nachkommen, die heute verstreut auf der ganzen Welt, sowohl in Deutschland als auch in Osteuropa, Zentralasien, Nordamerika und Südamerika leben. Er schrieb bisher ein Buch über eine Familiengeschichte und veröffentlichte eine wissenschaftliche Publikation mit dem Titel: „Deutsche aus Russland – und die Chronologie ihrer Flucht nach Amerika“.
Der Autor stellte den Teilnehmern des Kasachisch-Deutschen Zentrums sein Buch über die Auswanderung der Deutschen aus Russland auf verschiedene Kontinente vor. Bereits vor der Buchvorstellung war es zu einem Treffen zwischen dem Vorsitzenden Dmitriy Redler und Leo Rung gekommen, wobei der Schriftsteller als Zeichen seiner Wertschätzung die beiden Bücher: „Geschichte und Kultur der Deutschen in Kasachstan“ und „Deutsche aus Russland – und die Chronologie ihrer Flucht nach Amerika“ dem Kasachisch-Deutschen Zentrum überreicht hatte.
Vom Norden in den Süden
Am Montag, den 18. August ging die Reise nach Schymkent weiter. Die Stadt befindet sich im Süden des Landes unweit des Ugomgebirges an der Grenze zu Usbekistan. Die Metropole ist nach Astana und Almaty die drittgrößte Stadt in Kasachstan. Unter sowjetischer Herrschaft wurde die Stadt zu einem bedeutenden Industrie- und Wirtschaftsstandort erweitert. Nach 1945 stellten die Deutschen nach den kasachischen und russischen Bevölkerungsteilen die drittgrößte ethnische Gruppe in Kasachstan dar. Durch die Aufhebung der Kommandaturaufsicht 1956 zogen viele ethnisch Deutsche in den warmen Süden Kasachstans.
Die Stadt Schymkent war nach der Unabhängigkeit 1991 der Verwaltungssitz des Gebietes von Südkasachstan. Seit Juni 2018 besitzt die Stadt Schymkent einen Sonderstatus und ist in fünf Stadtbezirke aufgeteilt. Im Osten der Stadt befindet sich heute das Kultur- und Bildungszentrum „Wiedergeburt“ und die Vorsitzende der Einrichtung heißt Irina Poljakowa (geb. Schneider). Aber sie ist nicht nur die Vorsitzende, sondern auch Deutschlehrerin, die im Kulturzentrum die deutsche Sprache unterrichtet. In ihrem Team arbeiten junge engagierte Leute wie Artur Dreiling (Stellv. Vorsitzender), Egor Kurnosow (Koordinator der Jugendarbeit) und andere, die bereits seit mehreren Jahren in dem deutschen Jugendklub „Hoffnung“ in Schymkent aktiv mitwirken.
Leo Rung konnte bei diesem Treffen sein Buch „Deutsche aus Russland – und die Chronologie ihrer Flucht nach Amerika“ vorstellen und einen interessanten Austausch in einer konstruktiven Diskussionsrunde anregen.
Wenige Tage später fand in Schymkent ein Gedenktag für die Opfer der Deportation statt. Bei dieser Veranstaltung wurden jenen Teilnehmern besondere Beachtung geschenkt, die sich an das Schicksal ihrer Familienmitglieder erinnern konnten, die die Deportation überlebt hatten. Diese lebendigen Zeugnisse unterstrichen erneut die Bedeutung für die Bewahrung des historischen Gedächtnisses sowie den Wert der kulturellen Einheit. Die Teilnehmer betonten, dass gerade dadurch die Völker Kasachstans heute in einer Atmosphäre von Frieden, Freundschaft und Eintracht leben.
Besuch in den Zweigstellen
Neben der zentralen Veranstaltung in Schymkent fanden auch in den Zweigstellen des Deutschen Kulturzentrums der Stadt Lenger und im Dorf Aqsukent weitere Veranstaltungen statt, die der Deportation der deutschen Bevölkerung während des Zweiten Weltkrieges gewidmet waren. Unter der Leitung von Eugenia Selenzowa (geb. Bitenberg) fand in Lenger eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Deportation von ethnischen Deutschen statt, die am 28.08.1941 aufgrund eines Dekrets der Obersten Führung der Sowjetunion durchgeführt worden war. Die Teilnehmer ehrten die Opfer politischer Repressionen, erinnerten an die schwere Vergangenheit und betonten, wie wichtig es ist, dass historische Gedächtnis wach zu halten.
In Erinnerung an die deutschen Auswanderer und die deportierten Deutschen, deren Schicksal eng mit der Geschichte Kasachstans verbunden ist, fand dieser Besuch der Stadt Lenger statt, in dessen Verlauf Leo Rung auch den Jugendklub „Neue Welle“ in Lenger besuchte. In einer kleinen Runde stellte er sein Buch „Deutsche aus Russland – und die Chronologie ihrer Flucht nach Amerika“ vor. Anschließend waren die Jugendlichen sehr an einem Austausch interessiert. In diesem Kulturzentrum werden auch Deutschkurse von Muslima Arslanowa angeboten. Viele der Jugendlichen äußerten auch den Wunsch, später einmal in Deutschland studieren zu wollen.
Das vergessene deutsche Dorf
Etwa 70 km östlich von Schymkent entfernt, liegt das vergessene deutsche Dorf Kenaf. Heute erinnert im Dorf wenig daran, dass hier früher Deutsche gelebt haben. Nur die Akazien-Allee im Zentrum der Dorfstraße offenbart ein Bild, welches jede einzelne deutsche Kolonie früher besaß. Viele deutschen Familien von der Krim, Schwarzen Meer, Kaukasus oder von der Wolga lebten einst in diesem Dorf und arbeiteten dort in der Sowchose. Anfang der 90er Jahre sind dann viele der ethnisch deutschen Bewohner nach Deutschland ausgewandert.
Nur der nahegelegene, sehr schwer auffindbare Friedhof von Kauchyk erinnert noch an die ehemaligen deutschen Bewohner aus dieser Gegend. Aber auch hier gewinnt die Natur ihren Lauf zurück und die Gräber überwuchern mit Gestrüpp, so dass mittlerweile fast alle Hinweise auf einen Friedhof verschwunden sind. Nur noch das große eiserne Kreuz erinnert an die deutschen Bewohner dieser Gegend. Unweit des Kreuzes findet man zum Beispiel folgende Familiennamen auf den Grabsteinen: Balliet, Benner, Bensel, Geis, Graf, Hof, Hammerschmidt, Klassen, Laubenstein, Lutz, Menzel, Neb, Ruf, Rung, Schmidt, Stilke, Walter und Wangler. Während dieser Reise wurde es offensichtlich, wie wichtig es ist, die Vergangenheit im Bewusstsein zu bewahren und sie an die kommenden Generationen weiterzugeben.
Weitere Details zu dieser Reise nach Kasachstan und der Vorstellung des aktuellen Buches von Leo Rung: „Deutsche aus Russland – und die Chronologie ihrer Flucht nach Amerika“ gibt es ab Oktober im Podcast: „Ahoj Nachbarn – osteuropäisches München“ auf Spotify zu hören.