Viele große Wirtschaftsprojekte stellen sich im Rückblick als überdimensioniert heraus. Kolumnist Bodo Lochmann meint, auch im Falle des Ölfeldes Kaschagan wurde das Fell des Bären verteilt, bevor er erlegt wurde.

In vielen Bereichen der Wirtschaft hat Kasachstan grandiose Pläne und startet mit einigem Tamtam entsprechende Großprojekte. Nicht selten sind diese Projekte überdimensioniert und werden stillschweigend auf ein Normalmaß reduziert oder verschwinden ganz in der Schublade, was man dann als eine Variante der Rückkehr zum Realismus bewerten kann.

Im Bereich des gegenwärtigen Rückgrates der hiesigen Wirtschaft – der Ölförderung – hat sich im Vergleich zu den Plänen von vor fünf bis sechs Jahren schon eine deutliche Hinwendung zur Bescheidenheit vollzogen. Sollte ursprünglich die Ölförderung bis 2015 auf jährlich 150 Millionen Tonnen hochgetrieben werden, ist jetzt die Rede von 100 Millionen Tonnen. Gegenwärtig liegt die Förderung bei etwas über 80 Millionen Tonnen.

Die Hauptursache dafür sind die enormen Probleme beim Erschließen des Zukunftsfeldes Nummer eins, dem Feld Kaschagan im Nordteil des Kaspischen Meeres. Hier sollte die Förderung im Meeresschelf ursprünglich bereits 2005 beginnen; mittlerweile ist dieser Termin mehrmals verschoben worden, im Moment ist Juni 2013 im Gespräch.

Diese Zeitverzögerung ist für alle Beteiligten nicht nur ärgerlich, sondern finanziell fast schon eine Katastrophe. Die Investitionskosten für den ersten Planabschnitt sind von ursprünglich unter neun Milliarden US-Dollar auf mittlerweile 38 Milliarden US-Dollar angestiegen, weitere sieben Milliarden US-Dollar Mehrkosten sind in Aussicht gestellt. Diese Finanzsummen müssen auch von solchen Großunternehmen wie Eni, KMG Kashagan B.V., Total, Exxon und Royal Dutch Shell, die das Projekt gemeinsam finanzieren und unter Leitung der italienischen Eni managen, erst einmal aufgebracht werden.

Ob nun diese enormen Mehraufwendungen wirklich nicht vorhersehbar waren, ist schwer zu beurteilen. Zwar besteht bei Großprojekten der unterschiedlichsten Art immer das Risiko einer erheblichen Zeitverzögerung und von finanziellen Mehraufwendungen. 20 oder auch 30 Prozent Mehraufwendungen sind dabei durchaus Standard, aber fast 500 Prozent? Die Vermutung liegt bei solchen Dimensionen nahe, dass man doch ziemlich blauäugig in die Planungen hineingegangen ist, vielleicht auch, um überhaupt erst mal einen Projektstart hinzubekommen und um dann nach dem Prinzip zu verfahren: „Nun können wir nicht mehr zurück“. Auf jeden Fall gab es von Anfang an deutliche Hinweise darauf, dass die geplanten Kosten nicht ausreichen könnten; schließlich gab es in dieser Region eigentlich kaum allgemeine Infrastruktur, die erst errichtet werden musste; auch über die enormen ökologischen Schwierigkeiten wurde von Anfang an diskutiert. Normalität war ebenfalls der beinahe ständige Streit zwischen der Regierung Kasachstans und dem Konsortium vor allem ausländischer Ölgesellschaften um Fristen der Erschließung, Fördermengen und Finanzierungsfragen. In den großen staatlichen Entwicklungsplänen war aber ungeachtet der vielen bekannten Unsicherheiten das Fell des noch nicht erlegten Bären schon eingepreist. Nun erfolgt die Ernüchterung in Form von Überlegungen, ob denn diese eindeutig sehr große Erdöllagerstätte überhaupt noch wirtschaftlich erschließbar ist. Die Kosten sind mittlerweile in eine enorme Höhe geschossen, was allein schon eine deutliche Verschlechterung der Rentabilität der geplanten Förderung bewirken wird. Zudem haben sich die allgemeinen internationalen Rahmenbedingungen für das Ölbusiness in den letzten etwa fünf Jahren spürbar verändert. Vor allem in den USA hat man Technologien wirtschaftlich einsatzbereit gemacht, die das in großen Mengen und in vielen Ländern vorhandene Schiefergas nutzbar machen. Dadurch konnten die USA in sehr kurzer Zeit ihre Ölimporte drastisch reduzieren, weil dort jetzt Kraftwerke in wachsendem Maße mit Gas betrieben werden. Viele andere Länder stehen bereit, diese Technologien ebenfalls zu nutzen. Die Nachfrage nach Erdöl könnte sich deshalb nicht so stark entwickeln, wie das in den Szenarien zu Kaschagan zu Grunde gelegt wurde.

Die Firma ConocoPhillips, die jetzt 8,4 Prozent aller Anteile am Kaschagan-Konsortium hält, soll einen Ausstieg aus dem Projekt planen, die Firma Total ebenfalls. Beide Unternehmen müssten dazu einen Käufer ihrer Anteile finden, was ein eher schwieriges Unterfangen sein dürfte. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Weiterführung des Projektes erst einmal ausgesetzt wird, um Klarheit in den vielen Problemfragen zu gewinnen. Weitere Zeitverzögerung aber bedeutet sofort wieder steigende Kosten.

Egal, wie die Kaschagan-Story ausgeht, sie könnte als Lehrbeispiel für die Qualifizierung der Planungsprozesse für andere Projekte dienen. Schließlich gibt es nicht nur im Ölsektor den Hang zu überambitionierten Projekten.

Bodo Lochmann

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