Rührend, wie sich wildfremde Menschen in Foren umeinander kümmern. Wer mit seinen Sorgen seinen Partner einschläfert, kann sich getrost in einem Forum auslassen. Manchmal beschimpfen sich die Leute auch. Die Stimmung kann schnell kippen. Aber in diesem Fall ging alles ganz herzlich zu.

Ich will mich nicht zu sehr über Foren lustig machen, weil ich immer wieder davon profitiere, ohne mich selbst zu outen oder zu engagieren. All die Fragen, die ich habe, haben viele andere Menschen auch. Der Unterschied zwischen mir und diesen anderen Menschen ist, dass die anderen ihre Fragen offen und ehrlich mitteilen, wohingegen ich mich als blinder Passagier, Voyeur und Nutznießer anpirsche. Aber genug der Selbstanzeige, zum eigentlichen Fall. Ich hatte mir Tatar gekauft und weil ich aus lauter Gier viel zu viel gekauft hatte, wollte ich in Erfahrung bringen, wie lange man Tatar im Kühlschrank aufbewahren kann. Schnell die Frage in Google eingetippt und schon wurde ich zu einem entsprechenden Forum gelenkt. Natürlich war jemand anders schon mal mit genau diesem „Problem“ konfrontiert. Und tatsächlich mit einem „Problem“. Aus meiner Sicht wäre der Sache ein kurzer Schlagabtausch angemessen gewesen: „Wie lange darf man Tatar im Kühlschrank aufbewahren?“ Antwort: „Nur einen Tag.“ So in etwa. Jedoch …

Da saß meine Leidensgenossin zerknirscht vor einem Berg Tatar, oh je, oh je, und wusste nicht ein noch aus, weil ihr Freund eingeschlafen sei, sie, allein im Wachzustand zurückgelassen, aber nicht so viel Fleischmasse essen könne. Sie ärgere sich bei dem Gedanken, das alles wegschmeißen zu müssen. Was nun, was tun? rief sie Unterstützung suchend in die Welt. Der Ruf wurde erhört, die Hilfe kam, von verschiedenen Seiten herbeieilend. Die tröstenden Antworten, vor allem aber konstruktiven Vorschläge, die Masse einfach kurzerhand zu braten, um das Tatar in Frikadellen, wahlweise Salsiccia, umzuwandeln und am nächsten Tag zu verspeisen, wurden mit Unmut erwidert, die Fragestellerin möge das nicht. Die Prinzessin ließ sich nicht so leicht von ihrer Erbse runterlocken, es folgten weitere konstruktive Vorschläge, z.B. eine Bolognese-Soße daraus zu machen. Nein, sie möge keine solche Soße. Spätestens an dieser Stelle hätte ich ihr gern die Löffel langgezogen, aber erstens bin ich ja keine aktive Forendialogistin und zweitens geht mich das nichts an, wenn die Trost-Ritter nicht ihre Geduld verlieren. Nicht mein Forum, nicht mein Dialog, nicht meine Geduld.

Aber wahrscheinlich bin ich zu streng mit der Tatar-Drama-Queen, und hinter ihren vermeintlich kleinen Sorgen steckt was ganz Großes. Paare trennen sich ja auch nur augenscheinlich wegen einer Zahnpastatube. Und die einfühlsamen Ritter haben erkannt, dass die untröstliche Tatar-Prinzessin ganz andere Nöte hat. Kompensation und Projektion und so was. Der berüchtigte Hilfeschrei. Die Tatar-Frage nur der Tropfen, der das Fass usw. Aber egal, Hauptsache, meine Frage wurde beantwortet. Und das wurde sie. Schleunigst wieder raus aus dem Forum und ran an den Herd. Meine Tatar-Frikadelle hat mir sehr gut geschmeckt, und bei nächster Gelegenheit muss ich unbedingt mal wieder eine Salsiccia essen. Dem Forum sei Dank.

Julia Siebert

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