Dennis Röhrig, Leiter des Stadtarchivs Montabaur, erscheint immer wieder mit interessanten Veröffentlichungen zur Geschichte der Stadt und des Bundeslandes Rheinland-Pfalz in der Presse. Er erklärte sich freundlicherweise bereit, die Fragen der Deutschen Allgemeinen Zeitung zu beantworten.
Herr Röhrig, Wissenschaftler und Forscher in deutschen Archiven glauben, dass Deutschland eine einzigartige Situation bei der Aufbewahrung wichtiger historischer Dokumente aus der Zeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hat. Da es damals kein einheitliches politisches und staatliches Zentrum gab, entschied jeder Staat innerhalb der Agglomeration eigenständig, welche Dokumente für die Geschichte und Nachwelt erhalten werden sollten. Bedeutet das, dass das Archiv der Stadt Montabaur, das Sie verwalten, einzigartige Zeugnisse der Geschichte aufbewahren kann, die in keinem anderen Archiv zu finden sind?
Das erste deutsche Papier wurde Ende des 14. Jahrhunderts in der Stadt Nürnberg hergestellt. Die Fabrik von Ulmann Stromer hieß Papiermühle. Etwa zur gleichen Zeit druckte in der heutigen rheinland-pfälzischen Hauptstadt Mainz der Juwelier und Erfinder Johannes Gutenberg als erster in Europa Bücher auf einer eigens konstruierten Maschine. Beide Erfindungen haben Deutschland geholfen, groß zu werden und einen großen Beitrag zur Entwicklung der Weltkultur zu leisten. Allerdings ist unklar, wann genau die ersten Dokumente aufkamen, die spezielle Institutionen, sogenannte Archive, erforderten. Die Blütezeit des Buchdrucks begann im 15. und 16. Jahrhundert. Papier hatte damals eine andere Konsistenz und war interessanterweise fester. Ende des 19. Jahrhunderts und bis Ende der 1980er Jahre verlor es jedoch überall an Qualität, wodurch viele Dokumente in den Archiven unlesbar wurden. Dies geschah weltweit, da das Papier poröser und nicht mehr so stabil wurde.
Wann wurde das Archiv Montabaur gegründet und aus welchem Jahr stammen die ältesten Dokumente? Sind sie leicht zu lesen?
Das älteste Dokument, eine mittelalterliche Urkundensammlung, stammt ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert. Obwohl Deutschland zu dieser Zeit noch kein eigenes Papier hatte, gab es eine Notwendigkeit, wichtige Dokumente aufzubewahren. Was genau in den Archiven aufbewahrt wurde, hängt von der Zeit und dem Ort ab. In Deutschland wurde Papier zu dieser Zeit importiert, während in anderen Ländern wie China Papier hergestellt wurde. Aufgrund des hohen Preises von importiertem Papier wurden wichtige Dokumente als „Papierjuwelen“ bezeichnet und entsprechend geschützt.
Für unsere ältesten Urkunden, die auf 1347 datiert sind, wurde noch Pergament statt Papier verwendet. In Deutschland wurde erst ab dem späten Mittelalter schon maschinell Papier hergestellt. Im Montabaurer Archiv bemühen wir uns, interessante Informationen auf unserer Website zu veröffentlichen und sicherzustellen, dass der Name Rudolf I. von Habsburg nicht in Vergessenheit gerät. Rudolf I. war ein König aus der Habsburger-Dynastie und ein Anwärter auf den Thron des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches. Im Jahr 1291 verlieh er Montabaur und einigen anderen Siedlungen den Status von Städten. Die Siedlung bestand jedoch bereits viele Jahrhunderte, bevor sie offiziell als Stadt anerkannt wurde. In Bezug auf die Schwierigkeit, alte Dokumente zu lesen, liegt das Problem oft nicht an den Dokumenten selbst, sondern an der veralteten Schrift und Sprache, die in ihnen verwendet werden. Die Archivare müssen oft historische Schriftarten und Sprachmuster studieren, um die Dokumente zu verstehen und zu übersetzen.
Die Stadt Montabaur ist klein, aber man kann hier Geschichte riechen. Schöne Stadt. Die Bewohner lieben sie.
In der Stadt gibt es ein reiches historisches Erbe. Wie Ausgrabungen gezeigt haben, stand die erste steinerne Kirche, die laut einer Urkunde am 13. Februar des Jahres 959 eingeweiht wurde, an derselben Stelle wie die heutige Kirche St. Peter in Ketten. Obwohl die heutige Kirche nicht identisch mit ihrer Vorgängerin ist, bleibt sie ein wichtiges Symbol der Stadtgeschichte. Die Kirche St. Peter in Ketten stammt aus dem zehnten Jahrhundert und zeugt von der Bedeutung des christlichen Glaubens in der Region und ist ein beeindruckendes Beispiel mittelalterlicher Architektur. Sie ist das älteste noch existierende Gebäude in der Altstadt von Montabaur und befindet sich am Rande der Kirchstraße.
Im Zuge einer Neustrukturierung des Findbuches zu unserem Zeitungsarchiv bin ich kürzlich auf eine Sonderausgabe der Westerwälder Volkszeitung aus dem Juni 1930 gestoßen, die den Feierlichkeiten zum 1.000-jährigen Jubiläum von Montabaur gewidmet war. Dokumente, in denen die Stadt auf die eine oder andere Weise erwähnt wird, befinden sich nicht nur in unserem Archiv, sondern auch beispielsweise in Archiven in Koblenz oder Wiesbaden. Einige von ihnen sind älter als unsere ältesten. Verschiedene Dokumente wurden zusammengetragen und befinden sich nun an dem Ort, an dem sie am besten aufbewahrt werden können.
Tausend Jahre Geschichte bedeuten Tausende von Namen bemerkenswerter Menschen.
Wir versuchen, den Nachkommen sowie allen weiteren interessierten Bürgern und Bürgerinnen die Namen derjenigen Personen unserer Stadt zu übermitteln, die überregional bedeutend waren. Ein Beispiel hierfür ist Peter Altmeier, der zweite Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, der unter seinen Kollegen als politischer „Langleber“ gilt: Er war bis heute der am längsten regierende Ministerpräsident aller Ministerpräsidenten in Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Peter Altmeier Regierungspräsident in Montabaur, bevor er Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz wurde.
Ein weiterer bekannter Name ist Paul von Hindenburg (1847-1934), Heerführer, Feldmarschall der preußischen Armee und Reichspräsident des Deutschen Reiches von 1925 bis zu seinem Tod 1934. Er war auch derjenige, der Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannte. Einige seiner Vorfahren, die Familie Schwickert, stammten aus der Stadt Wirges, vier Kilometer von Montabaur entfernt. Aber nicht nur hohe Beamte haben ein gutes Gedächtnis hinterlassen. Die Stadt Montabaur ist auch überregional als „Stadt der Schuhmacher“ bekannt. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde in Montabaur viel Schuhwerk hergestellt und das Schuhmacherhandwerk erlebte hier ein ganzes Jahrhundert lang seine Blütezeit.
Das größte und hellste Gebäude in Montabaur ist das gleichnamige Schloss. Was können Sie darüber sagen?
Schloss Montabaur diente bis 1803 als Residenz der Kurfürsten von Trier an der Linie Trier-Koblenz-Montabaur. Der letzte Trierer Kurfürst Clemens Wenzeslaus hielt sich oft in Montabaur auf. Er wurde unter anderem von der Jagd angezogen, und das Schloss selbst wurde manchmal als Jagdschloss bezeichnet. Im Bezirk gab es luxuriöse Ländereien für Jäger. Bis heute ist der Stadtwald erhalten geblieben, in dem man sich entspannen, Vögeln lauschen und Pferde reiten kann.
Das Herzogtum Nassau, zu dem Montabaur 1806-1866 gehörte, verfügte über die größten Waldbestände Deutschlands. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Region um Montabaur von den Franzosen besetzt. Während dieser Zeit, insbesondere zwischen 1921 und 1929, wurde viel Wald in der Umgebung gerodet und wirtschaftlich ausgebeutet. Die Franzosen zerstörten viele Waldwege und übten eine übermäßige Jagd aus, was große wirtschaftliche Schäden für die Stadt verursachte. Aber nicht nur die Franzosen waren für diese Zerstörungen verantwortlich. Aufgrund der Armut in den zwanziger Jahren haben auch viele Deutsche illegal Wald gerodet. Ich habe kürzlich einen Aufsatz über diese Zeit verfasst und dafür Quellen im Stadtarchiv genutzt, um meine Erkenntnisse zu stützen.
In der Umgebung von Montabaur gibt es viele katholische Kirchen. Sie fallen auf und erregen Aufmerksamkeit. Es gibt weniger lutherische (protestantische) Kirchen. Wie erklärt die Geschichte das?
Montabaur war schon immer eine sehr katholische Stadt. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siedelten sich hier immer mehr evangelisch bzw. evangelisch-lutherische Familien an. Überproportional häufig waren diese Verwaltungsbeamte, da die Stadt ein Verwaltungsbezirk und eine Beamtenstadt war und ist. Und noch heute ist sie die Hauptstadt des Westerwaldkreises. Bis ins 19. Jahrhundert lebten Protestanten und Katholiken oft in verschiedenen Territorien in ganz Deutschland. Doch dann änderte sich alles, besonders mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871. Nicht lange davor zogen immer mehr Protestanten in zuvor rein katholische Gebiete. Sie lebten dort als evangelische Minderheit. So auch in Montabaur.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde hier die Evangelische Pauluskirche gegründet, eine Chronik dieses Ereignisses befindet sich in der Archivbibliothek.
Vom Alter her ist das eine relativ junge Kirche. Zum Vergleich: Die katholische Kirche St. Peter in Ketten besteht fast 1000 Jahre. Außerdem hatte Montabaur bis zum Zweiten Weltkrieg immer eine jüdische Minderheit. Über mehrere Jahrhunderte hinweg bis in die 1880er Jahre gab es in der Vorderen Rebstockstraße ein jüdisches Gebetshaus. In den 1880er Jahren wurde jedoch die Synagoge in der Wallstraße erbaut, welche das Gebetshaus ersetzte.
Leider wurde die Synagoge in der Reichspogromnacht im November 1938 von der SA aus Höhr-Grenzhausen niedergebrannt. Paradoxerweise steht aber das viel ältere jüdische Gebetshaus an der Vorderen Rebstockstraße noch heute. Es dauerte jedoch bis lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, bis die Vorurteile zwischen Katholiken und Protestanten beseitigt wurden. Die Geschichte Montabaurs ist eng mit religiösen Persönlichkeiten wie Katharina Kasper verbunden, die den Orden „Arme Dienstmägde Jesu Christi“ gegründet hat und 2018 von Papst Franziskus heiliggesprochen wurde, sowie Ignatius Lötschert, dem Gründer des Ordens „Barmherziger Brüder“. Beide Orden sind sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands bekannt.
Welche Epoche wird im Archiv am vielseitigsten präsentiert?
Grundsätzlich handelt es sich um Dokumente, Zähllisten (Zensus), Protokollbücher, Stockbücher und Register des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Einige der Dokumente aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind noch nicht einsehbar, da sie noch unter Geheimhaltung stehen. Aber in der Geschichte während des Kalten Krieges, als Deutschland in West und Ost geteilt war, war in Montabaur ein Raketenartillerie-Bataillon mit Atomraketen oder Raketen stationiert, an welchen man Atomsprengköpfe anbringen konnte. Jetzt gibt es an dieser Stelle einen Ausstellungsraum. Ich spreche davon, um es deutlich zu machen: Die Geschichte Westdeutschlands spiegelte sich in der Geschichte der Stadt Montabaur wider.
Man merkt, dass Sie die Geschichte und Ihre Arbeit sehr lieben. Möchten Sie ein Buch schreiben?
Jede Seite im Archiv ist wie ein Teil eines Buches. Obwohl zum Beispiel Dokumente aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert vorhanden sind, können sie studiert werden. Es wäre schön, sie in einem Buch zu sehen. Dies ist eine Garantie dafür, dass sie ihre Nachkommen erreichen. Aber jetzt sammeln und archivieren wir weiterhin Materialien und Zeitungen mit historischen Veröffentlichungen. Außerdem digitalisieren wir aktiv Dokumente, und dafür haben wir die Internetseite digitalarchive.montabaur.de angelegt.
Die globale wie nationale Geschichte Deutschlands spiegelt sich auch in der Geschichte Montabaurs wider. Die Stadt spielte eine Rolle bei der Bildung von Rheinland-Pfalz. So wurde im Hotel Waldesruh bei Montabaur nach dem Zweiten Weltkrieg an der Niederschrift der Verfassung von Rheinland-Pfalz gearbeitet. Ebenfalls in Montabaur lebte Freiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein, der nach den napoleonischen Kriegen unter anderem zur Reformentwicklung in Preußen beitrug. Nicht zu vergessen ist George Marshall, Friedennobelpreisträger und Schöpfer des Marshallplans, der nach dem Ersten Weltkrieg eine Zeit lang in Montabaur stationiert war.
Jede Seite im Archiv ist unbezahlbar. Ich möchte, dass jeder dies versteht und liebt, so wie ich meine Arbeit und mein Archiv liebe.