Der „Goldene Mensch“ gilt heute als das Wahrzeichen des unabhängigen Kasachstans. Bis er das Unabhängigkeitsdenkmal in der Hauptstadt sowie den 5.000-Tenge-Schein schmückte, zogen jedoch nach seinem Tod schätzungsweise 2.500 Jahre ins Land. Und obwohl seine Entdeckung bereits über fünfzig Jahre zurückliegt, wirft er immer noch Fragen auf. Fragen, die auch ein Museum am Ort des historischen Geschehens beschäftigen.

Jessik ist eine kleine Stadt rund fünfzig Kilometer von der Metropole Almaty entfernt. Für die kasachische Geschichte und Identität jedoch ist der Ort von unschätzbar großer Bedeutung. 1970 wurden hier bei archäologischen Ausgrabungen die Überreste eines Skythen-Königs gefunden, der vor ca. 2.500 Jahren verstorben ist. Skythen – das waren die berittenen Nomadenvölker, die ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. die eurasische Steppe besiedelten. In historischen Berichten wurden sie auch als jene mit den spitzen Hüten bezeichnet – aufgrund ihrer hohen, nach oben spitz zulaufenden Kopfbedeckungen.

Die Entdeckung des Goldenen Menschen stellte sich in vielerlei Hinsicht als Besonderheit heraus. Obwohl es sich bei dem Kurgan, in welchem seine sterblichen Überreste gefunden wurden, um ein bereits geplündertes Grab handelte, fanden die Archäologen eine weitere Grabkammer, die etwas seitlicher und abseits der Hauptkammer gelegen war. Ob die Platzierung dieser Grabkammer in weiser Voraussicht zum Schutz vor möglichen Grabräubern geplant worden war oder es noch ein Hauptgrab gegeben hat und es sich bei dem Grab des Verstorbenen nur um eine Nebengrabkammer handelte, lässt sich heute nicht mehr sagen und ist den Spekulationen überlassen. Fest steht jedoch, dass es der Abgelegenheit der Grabkammer zu verdanken ist, dass dieser archäologisch bedeutende Fund gemacht werden konnte.

Das Runen-Rätsel der Skythen

Beigesetzt wurde der Skythe in einer Grabkammer aus Tian-Shan-Fichte. Seine Kleidung – Jacke, Hose und der markante, ungefähr 70 cm hohe Spitzhut – waren mit Unmengen von verschieden geformten Goldplättchen besetzt. Dem immensen Vorkommen an Gold in der Grabkammer verdankt der Tote auch seinen Namen – der „Goldene Mensch“. Ebenso wie der Spitzhut war auch der Gürtel mit kunstvoll geformten goldenen Tierfiguren verziert, welche typisch sind für die Skythen. Darüber hinaus fanden sich neben dem Goldschmuck auch Waffen, Keramikgeschirr, aus Keramik gefertigte Grabbeigaben sowie eine flache, aus Silber gefertigte Trinkschale.

Diese zog besondere Aufmerksamkeit auf sich, da ihre Oberfläche mit einer Inschrift aus 26 Runen überzogen war. Das ist insofern bemerkenswert, als dass nach damaligem Wissensstand die Skythen eigentlich keine Schriftsprachen benutzt haben. Zudem lässt sich die Herkunft und Bedeutung der Runeninschrift nicht mit Sicherheit bestimmen, auch wenn diese jenen Runen ähnelt, die später von weiter südlich lokalisierten Turkstämmen verwendet wurden. Es stellt sich daher die Frage, ob dies die ersten Hinweise auf eine eigene Schriftsprache der Skythen sind, oder ob es sich bei der gefundenen Trinkschale um einen importierten Wertgegenstand handelt, der seiner Bedeutung wegen dem Toten auf die Reise ins Jenseits mitgegeben wurde.

Der Goldene Mensch – Mann oder Frau?

Zwar konnten Wissenschaftler das Alter der gefundenen Person auf etwa 17-18 Jahre eingrenzen, jedoch wirft das Geschlecht weiterhin Fragen auf. So ließ sich bis heute nicht gänzlich klären, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Auch wenn in westlichen Berichten irreführenderweise des Öfteren vom Goldenen Mann von Jessik gesprochen wird, findet man auf Russisch die Bezeichnung золотой человек (Zolotoy Chelovek) und im Kasachischen Алтын адам (Altyn Adam). Beide Namen bedeuten übersetzt „der goldene Mensch“.

Ob es sich nun um eine Frau oder einen Mann handelt, wird sich wahrscheinlich nicht in allzu naher Zukunft klären lassen, da die dafür notwendigen Untersuchungen des Genmaterials sehr kostspielig sind. Hinweise und Indizien lassen sich jedoch für beide Argumentationslinien finden. Auch wenn das Geschlecht der Person sich vorerst nicht identifizieren lässt, so lassen die prunkvollen Grabbeigaben und die reich verzierte Kleidung des Verstorbenen darauf schließen, dass es sich um eine hochrangige und angesehene Persönlichkeit gehandelt haben muss.

Wessen Interesse geweckt ist oder wer bereits vorhandenes Wissen vertiefen bzw. auffrischen möchte, kann dies im Staatlichen Historisch-Kulturellen Museum von Jessik tun. Dort finden sich nicht nur eine Replika der Kleidung des Goldenen Menschen, sondern auch weitere Fundstücke diverser Ausgrabungen sowie Zeugnisse des frühen Nomadentums im heutigen Kasachstan. Für jeden, der dies wünscht, besteht die Möglichkeit einer Führung durch das Museum auf Kasachischer, Russisch oder Englisch. Zudem kann man einige der mit ihren sechs Metern Höhe und sechzig Metern Durchmesser durchaus imposanten Hügelgräber vor Ort besichtigen und einen Blick in deren Innerstes zu werfen.

Von Anne Lemke

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