Einmal im Jahr, wenn die kalte Jahreszeit beginnt, kommt der Udo, unser Haus- und Hof-Heizungssanitäter, wartet und wienert sehr sorgfältig und gewissenhaft meine Heizung und erzählt währenddessen, was ihm seit der letzten Wartung wiederfahren ist. Allerhand.

Weil Udo so viel Stress mit seiner zukünftigen Ex-Frau hatte, wollte er einfach mal abschalten. Sich zurückziehen. Und wo kann man das als Mann am besten? Im Wald! O-Ton: „Ab in den Wald und Arschlecken!“

Also ist Udo mit sechs Flaschen Bier, fünf Beruhigungstabletten und ohne Taschenlampe in den Wald. Plötzlich klingelt sein Handy, nanu, die Polizei! Wo er denn sei, was er da mache, und er solle doch bitte da rauskommen, aus dem Wald. Udo war und ist sich keiner Straftat oder sonstigen Schuld bewusst und blieb zunächst, wo er war. Vor allem, weil er keine Taschenlampe dabei hatte. Er wolle Selbstmord begehen, befand die Polizei. Nein, das wolle er nicht, sagte Udo, das müsse er ja schließlich selbst am besten wissen. Udo hatte auch plausible Argumente parat: WENN er sich das Leben nehmen würde, dann würde er erstens nicht ans Handy gehen, zweitens hätte er dann seinen Wagen nicht so offensichtlich geparkt und außerdem hätte er dann mehr als nur fünf Tabletten eingesteckt. Die Taschenlampe spielte in der Argumentation eine wichtige Rolle. Udo versicherte aber, dass er natürlich keine brauche, weil er ja vorgehabt hätte, im Wald zu übernachten und erst am nächsten Morgen, wenn es wieder hell wäre, zurückzufahren, weil man ja betrunken nicht fahren sollte! Und außerdem, wenn er was macht, dann richtig, keine halben Sachen, basta.

Trotzdem befand die Polizei, er solle jetzt rauskommen, er müsse nur dem Blaulicht folgen. Er versuchte es sogar, aber da er ja bekanntlich keine Taschenlampe dabei und außerdem schon den Großteil seiner Biere intus hatte, fiel er zweimal in die Sträucher und fand, die Polizei solle doch lieber zu ihm kommen. Da sie ihn trotz mehrmaliger Handygespräche nicht fand, tauchte plötzlich ein Hubschrauber auf. Es fehlt der Teil der Geschichte zwischen dem Auftauchen des Hubschraubers und wie er dann doch noch zur Polizei kam, also wer wen fand oder holte. Aber wenn Udo einmal ins Erzählen gekommen ist, lässt er sich durch nichts unterbrechen, da muss man seine Rückfragen zurückstellen und gewisse Lücken hinnehmen. Jedenfalls, kaum war er bei der Polizei, hatte er schneller, als er gucken konnte, eine Spritze im Arm. Weg war er. Er wachte auf der Intensivstation einer Klinik auf und wurde erst entlassen, als mehrfach die Tabletten abgezählt wurden, die noch in der heimischen Packung verblieben waren, um auszurechnen, ob er wirklich nur die harmlose Dosis von fünf bei sich hatte, um einen Selbstmordversuch auszuschließen. Es wurde mehrfach gezählt, gerechnet, Udo behielt recht und durfte endlich heim, da Selbstmordabsichten ausgeschlossen wurden. So kann es einem ergehen, wenn man im Wald abschalten will!

Ich bin empört. Jeder sollte sich mal ungestört entziehen dürfen, finde ich. Dass wir Frauen kompliziert sind und mit unseren Launen und Ansprüchen den Männern den letzten Nerv rauben können, dass sich Männer tendenziell eher eingeengt und in ihrer Freiheit beschnitten fühlen, ist generationen- und kulturübergreifend bekannt. Mindestens braucht ein Mann seine Kneipe oder seinen Hobbykeller, um dort heimlich sonst was zu tun, um sich von den nervlichen Strapazen einer Beziehung zu erholen, um dann eben nicht Selbstmord (oder gar einen Mord) zu begehen. Aber erstens kann sich nicht jeder Mann einen eigenen Hobbykeller leisten, auch in Deutschland nicht. Und zweitens ist es viel natürlicher, eben archaisch, in den Wald zu gehen, ein Lagerfeuer zu entfachen, zu angeln und Bier zu trinken. In Sibirien gehört das zum unbedingten Muss. Für Udo wurde es zum Trauma.

14/11/08

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